Herr Jonietz, Ihr Unternehmen „Was hab’ ich?“ ist eine gemeinnützige GmbH. Seit 2011 haben Sie rund 70.000 Arztbefunde auf Anfrage von Patienten in verständlichere Sprache übersetzt. Es gab da also einen gewissen Bedarf?

Der Bedarf nach verständlichen Diagnosen war von Anfang an enorm. Innerhalb der ersten vier Wochen wurden uns damals über 500 Befunde zugesandt, die wir alle übersetzt haben. Damals wie heute ist das für die Nutzer übrigens kostenlos. Der erste Ansturm hat uns gezeigt: Wir machen das Richtige. Inzwischen ist aus einem Studentenprojekt ein Sozialunternehmen geworden. Bisher hatten wir gut 3.000 Mediziner als Übersetzer an Bord.

Ihr Team verändert sich also ständig?

Ja, und das ist ganz bewusst so gewählt. Neben elf fest angestellten Ärzten haben wir hauptsächlich Studierende und zusätzliche Ärzte im Team, die ehrenamtlich Befunde übersetzen. Durch den ständigen Wechsel stellen wir sicher, dass so viele angehende Mediziner wie möglich lernen, Befunde patientengerecht zu erklären. Das wird aus unserer Sicht im Medizinstudium immer noch viel zu wenig thematisiert. Und das, obwohl der Arztberuf doch ein sprechender Beruf ist!

Mangelt es im Arzt-Alltag nicht auch an der Zeit, Diagnosen immer verständlich zu erklären?

Vor allem ist es eine Frage des Verständnisses und der Bereitschaft. Ob ich statt „Hypertonie“ einfach „Bluthochdruck“ sage, macht zeitlich doch keinen Unterschied. Aber mein Gegenüber versteht mich besser! Ich muss mir einfach bewusst sein: Mit meinem Fachkollegen spreche ich anders als mit einem Patienten.

Auch Patienten sind oft in einer aufregenden Ausnahmesituation – und behalten oder begreifen nicht immer alles, was der Arzt oder die Ärztin ihnen erklärt.

Absolut, deshalb ist eine gute mündliche Kommunikation auch nur der erste Schritt. Warum gibt es bislang nach einem Klinikaufenthalt nur einen Arzt- und keinen Patientenbrief? Gerade der Patient hat doch ein Anrecht auf verständliche Informationen über seine eigene Gesundheit. Und zwar niedergeschrieben, um sie in einer ruhigen Minute lesen oder auch Angehörigen zeigen zu können.

Deshalb bieten Sie nun auch eine Lösung für solche Patientenbriefe an. Was verbirgt sich dahinter?

Uns ist klar, dass wir mit der Online-Befundübersetzung das eigentliche Problem nicht lösen. Jedes Jahr sind rund 19 Millionen Patienten stationär im Krankenhaus und jeder bekommt am Ende einen Entlass-Brief in die Hand gedrückt. Warum setzen wir nicht genau da an? Also haben wir eine Software für Krankenhäuser entwickelt, die vollautomatisch ein Entlass-Dokument in einfacher Sprache erstellt.

Kann das inzwischen nicht einfach eine KI übernehmen?

Wir nutzen eben keine KI! Diese Tools haben bei Gesundheitsinformationen das Problem, dass nicht klar ist, wie ärztlich fundiert die Informationen sind, auf die sie im Netz zurückgreifen. Unser Programm wurde inhaltlich von Ärzten geschrieben und greift nur auf vorher geprüfte Informationen zurück. So bekommt jeder seine Diagnose verständlich erklärt, egal, wie fit er mit digitalen Medien ist.

Einen Arztbefund zu googeln, ist für Sie also auch keine gute Idee?

Eher nicht. Die Menge an qualitativ guten und verständlichen Infos im Netz hat zwar zugenommen. Oft fehlt aber leider das Wissen, um diese zu filtern und zu bewerten. Die Fachkompetenz des Absenders einzuschätzen ist für Laien auch sehr schwer. Und man sollte immer hinterfragen: Was ist die Absicht? Mit welcher Motivation werden hier Infos verbreitet? Geht es nur um Klicks? Bei verständlichen Arztbefunden wären viele Online-Suchen nicht mehr nötig.

Nadine Keuthen
aktiv-Redakteurin

Nadine Keuthen stürzt sich bei aktiv gerne auf Themen aus der Welt der Wissenschaft und Forschung. Die Begeisterung dafür haben ihr Masterstudium Technik- und Innovationskommunikation und ihre Zeit beim Kinderradio geweckt. Zuvor wurde sie an der Hochschule Macromedia als Journalistin ausgebildet und arbeitete im Lokalfunk und in der Sportberichterstattung. Sobald die Sonne scheint, ist Nadine mit dem Camper unterwegs und schnürt die Wanderschuhe. 

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