Wiesbaden. Hessen und die hessischen Unternehmen brauchen mehr und klügere Globalisierung – und trotz aller die Welt umspannenden Probleme nicht weniger. Das war die einhellige Meinung der Teilnehmer kürzlich am 30. Hessischen Unternehmertag.

Knapp 1.000 Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung waren zu der Veranstaltung in das Kurhaus nach Wiesbaden gekommen. Auf dem Spitzentreffen der hessischen Wirtschaft sprachen Wolf Matthias Mang, Präsident der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), Ministerpräsident Boris Rhein und Jan Rinnert, Vorsitzender der Geschäftsführung und CEO der Heraeus Holding in Hanau.

Mehr Freihandelsabkommen und strategische Partner

Zum Auftakt betonte Unternehmerpräsident Mang: „Als weltweit tätige Unternehmer wissen wir genau: Abhängigkeiten von einzelnen Ländern machen uns erpressbar.“ Doch durch weitere Freihandelsabkommen oder strategische Partnerschaften könne man den wirtschaftlichen Austausch verbreitern und nachhaltig stärken.

„Wenn wir Wachstum und Wohlstand für uns, unsere Kinder und Kindeskinder und für möglichst viele Menschen auf dieser Welt wollen, wird uns dies nicht durch eine Rückverlagerung von Produktion nach Deutschland gelingen“, betonte der Unternehmer.

Im Gegenteil: Notwendig sei vielmehr eine weitere internationale Verbreiterung sowohl im Hinblick auf Liefer- als auch auf Absatzmärkte. Mang: „Wir brauchen mehr und bessere Globalisierung, nicht weniger.“ Schließlich gebe es ja nicht nur China, Russland und die USA, sondern viele weitere interessante Länder in Asien, Nord- und Südamerika sowie Afrika.

„Globalisierung neu gestalten heißt, hier wieder kreativer zu werden“, betonte der VhU-Präsident. Eine Rolle rückwärts im Sinne von De-Globalisierung, De-Industrialisierung und De-Growth – dem Wunsch nach weniger Wachstum – löse nicht nur für uns keine Probleme, sondern sei unter einem globalen Blick geradezu menschenverachtend. Mang: „Mit welchem Recht kommen wir Ländern, in denen Milliarden Menschen immer noch in bitterer Armut leben, mit Verzichtsappellen“, so Mang.

„Zuversicht für ein modernes Hessen von morgen schaffen“

„Globalisierung ändert sich, das bedeutet für viele Unternehmen Risiken, bietet aber auch enorme Chancen“, betonte auch Jan Rinnert. Wertschöpfungsketten würden aufgebrochen und neu zusammengestellt. Unseren Wohlstand und unsere Werte könnten wir nur aus einer Position der Stärke entwickeln. „Und dazu brauchen wir ein starkes, geeintes Europa und ein reformiertes Deutschland“, sagte der CEO der Heraeus Gruppe.

Um Wohlstand und Wachstum für die Zukunft zu sichern, will sich auch die Politik für ein starkes Europa mit internationalen Handelsbeziehungen einsetzen. Wie Ministerpräsident Boris Rhein betonte, gehe es aber auch darum, die Chancen der Energiewende im Zuge des Klimawandels, der Demografie und der Digitalisierung frühzeitig zu nutzen. „Wir wollen Zuversicht für ein modernes Hessen von morgen schaffen und investieren in die Trends der Zukunft, damit wir für die richtigen Rahmenbedingungen am Wirtschaftsstandort Hessen sorgen“, so Rhein abschließend.

Die Hessen-Champions 2022

Grenzebach BSH in Bad Hersfeld, Energiesysteme Groß in Niestetal und die Vacuumschmelze in Hanau sind die Hessen-Champions 2022. Sie konnten sich unter den insgesamt 53 Teilnehmern und den 10 Finalisten des Wettbewerbs durchsetzen. Der Innovations- und Wachstumspreis des Landes Hessen wird jedes Jahr vom Hessischen Wirtschaftsministerium, der VhU und der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Hessen ausgeschrieben und im Rahmen des Hessischen Unternehmertags verliehen.

Kategorie Weltmarktführer

Vacuumschmelze in Hanau (VAC) entwickelt seit fast 100 Jahren metallische Legierungen, magnetische Spezialwerkstoffe und Produkte, die man fast überall braucht. So wird etwa der Werkstoff VITROPERM® eingesetzt bei Stromsensoren für Wasser-, Solar- und Windkraft, Bauelementen für smarte Stromzähler, faltbaren OLED-Displays und mehr. Weltweit hat die VAC 4.300 Mitarbeitende. VAC-CEO Dr. Erik Eschen (rechts): „Jedes Jahr bringen wir Dutzende neuer Produkte auf den Markt.“ Im Bild mit Entwicklungschef Dr. Ralf Koch.

Kategorie Innovation

Grenzebach BSH in Bad Hersfeld hat ein Verfahren zur direkten Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm entwickelt. Und das gelingt durch ein neues Verfahren, das in Kläranlagen durchgeführt werden kann – ohne eine vorgelagerte Verbrennung, weite Transportwege, Deponiestoffe und ohne den Einsatz von Chemikalien. Phosphor trägt zum Pflanzenwachstum bei und ist unverzichtbar für die Herstellung von Düngern sowie Produkten wie Futter- und Arzneimittel. Im Bild freut sich Grenzebach-Manager Michael Meyer über den Preis.

Kategorie Jobmotor

Energiesysteme Groß in Niestetal (ESG) ist eines der führenden Unternehmen im Bereich Photovoltaik und Energiespeicher in Nordhessen. Der Betrieb plant, baut und wartet an acht Standorten in Nordhessen und Südniedersachsen Photovoltaik-Anlagen von kleinen Solaranlagen fürs Einfamilienhaus bis zu großen Industrieanlagen im Megawattbereich. Aktuell zählt ESG 56 Beschäftigte. 2020 wurden 9 und 2021 weitere 14 Vollzeitarbeitsplätze geschaffen. Das durchschnittliche Mitarbeiterwachstum liegt derzeit bei 34 Prozent. Bis 2025 will man auf 100 Voll- und Teilzeitstellen kommen. „Mich treibt es an, die Energiewende voranzubringen“, so Firmen­gründer Björn Groß – links im Bild mit Vertriebsleiter Lorin Wischnewski.

Mehr vom Unternehmertag unter vhu.de/hut-2022.

Maja Becker-Mohr
Autorin

Maja Becker-Mohr ist für aktiv in den Unternehmen der hessischen Metall-, Elektro- und IT-Industrie sowie der papier- und kunststoffverarbeitenden Industrie unterwegs. Die Diplom-Meteorologin entdeckte ihr Herz für Wirtschaftsthemen als Redakteurin bei den VDI-Nachrichten in Düsseldorf, was sich bei ihr als Kommunikationschefin beim Arbeitgeberverband Hessenchemie noch vertiefte. In der Freizeit streift sie am liebsten durch Wald, Feld und Flur.

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