Bremen. Es waren tolle Nachrichten für Naschkatzen und andere Schoko-Liebhaber: Unlängst verschleuderte Aldi Schokoladentafeln von Milka für 69 Cent. Eigentlich kostet eine 85-Gramm-Packung der neuen Sorte „Darkmilk“ 1,09 Euro. Eine Kampfansage an die anderen Discounter und die Supermärkte. Die reagierten prompt: Rewe senkte den Preis für gängige 100-Gramm-Tafeln von Milka auf 69 Cent, Kaufland ging da sogar auf 55 Cent runter.
Damit ist ein noch schärferer Kampf um Marktanteile entbrannt. Und Aldi überraschte mit seinem Billigangebot selbst Handelsexperten wie Peter M. Rose, Professor an der Hochschule Bremen: „Ein Novum. Aktionspreise für Markenware gab es bei Aldi noch nie.“ Und dass ausgerechnet Markenschokolade zum Ramschartikel wurde – das schien bislang undenkbar.
Denn der Schokopreis ist etwas ganz Besonderes. Egal, wie stark die Rohstoffpreise für Kakao, Milch und Zucker auch schwanken: Der Kunde spürt das kaum am Regal. Grund: Schokolade gilt im Einzelhandel als sogenanntes Ankerprodukt.
„Sie ist eines der wenigen Güter, dessen Preis fast jeder Bürger kennt“, so Rose. Da müsse der Handel ganz vorsichtig sein. Würde ein Laden für so ein Ankerprodukt mehr nehmen als die Konkurrenz, fiele das dem Kunden sofort auf: „Er geht dann davon aus, dass das gesamte Sortiment zu teuer ist.“ Andersherum ist die Sache für den Handel ähnlich heikel. Jede Preissenkung zieht Kreise, wie das Aldi-Beispiel zeigt.
Weil Schwellenpreise so wichtig sind, wurde die Tafel Schokolade jahrzehntelang kaum teurer
Die klassische 100-Gramm-Tafel kostete deshalb schon zu D-Mark- Zeiten von den 1950er Jahren an stets 99 Pfennig. Hersteller und Handel trauten sich nicht, mehr zu verlangen – auch wenn Rohstoffpreise mal wieder stark stiegen. Weil es so gefährlich ist, eine Preisschwelle zu überschreiten.
Schwellenpreise, das sind beispielsweise runde Zahlen wie 1, 2, 5 und 10 Euro. „Weil sie für Verbraucher eine abschreckende Wirkung haben, versuchen die Einzelhandelsgeschäfte, darunterzubleiben“, erklärt Rose.
Von 1950 bis 2002 stiegen die Verbraucherpreise um 322 Prozent, der Schoko-Preis aber blieb unverändert
Dass der Preis bei einem Produkt wie der Schokolade so hartnäckig stabil war, gilt im deutschen Einzelhandel als einzigartig. Während die Verbraucherpreise insgesamt in Deutschland von 1950 bis 2002, dem Jahr der Euro-Einführung, um 322 Prozent stiegen, blieb der Schoko-Preis: unverändert! Bei der normalen Preisentwicklung hätte die Tafel am Ende mehr als 4 D-Mark kosten müssen. Erst mit der Einführung des Euro-Bargelds 2002 konnte der Handel die überfälligen Preiserhöhungen nachholen.
Der offizielle Umrechnungspreis für 1 D-Mark war 0,51 Euro – doch der Verbraucher musste dann schnell 0,55 Euro und mehr pro Schokotafel hinblättern. Im Jahr 2015 war eine neue Grenze erreicht: 99 Cent.
Einkaufsgemeinschaften nehmen die Hersteller in die Zange
Sogar die fiel im Frühjahr 2016, als Hersteller Ritter Preise von 1,09 Euro durchdrücken konnte. Das ist selten. Ein Hersteller hat keinen Einfluss auf den Regalpreis, wie Handelsexperte Rose betont. Das liege an der starken Marktmacht des Einzelhandels – und eine Preisbindung durch die Hersteller gibt es im Lebensmittelhandel ja schon lange nicht mehr.
Nicht nur Aldi, Lidl und Co. selbst nehmen die Produzenten in die Zange. Es sind vor allem europaweite Einkaufsgemeinschaften wie Agecore, die unter anderem für Edeka Waren beziehen. Wie sich das auswirken kann, zeigte sich 2018: Edeka nahm 160 Artikel von Nestlé aus dem Sortiment, etwa Schokoriegel. Grund: Das konkurrierende Einkaufsbündnis Coopernic war vom Lebensmittel-Riesen Nestlé günstiger beliefert worden. Es ging um Preisunterschiede von bis zu 0,4 Prozent. Die machen viel aus im Handel, der mit geringen Margen von nur 1 bis 2 Prozent über die Runden kommen muss.
Neun Kilo Schokowaren konsumierte 2018 jeder Deutsche im Schnitt
Um sich angesichts des Preisdrucks Luft zu verschaffen, arbeiten Schoko-Produzenten auch mit Tricks. So ist die neue Sorte von Milka in ihrer 85-Gramm-Verpackung kaum von größeren Tafeln zu unterscheiden. Und immer mehr Firmen bringen Edelschokoladen auf den Markt. „Da sind die Margen höher“, so Rose, „weil die Kunden nicht so sehr auf den Preis achten.“
Gleichwohl ist davon auszugehen, dass sich Naschkatzen noch häufiger freuen dürfen. Rose: „So etwas wie bei Aldi werden wir in Zukunft wohl noch häufiger erleben.“