Freising. Zwischen Freude und Frust liegen für Martin Nieder genau ein Jahr und rund 30.000 Euro. „Als ich mit meinem Neuwagen seinerzeit das erste Mal nach Hause gefahren bin“, sagt Nieder, „da war’s die pure Freude.“ Jetzt aber ist da fast nur noch Frust. Der Grund: „Es ist ein Diesel. Statt Fahrspaß winken mir ja vielleicht bald Fahrverbote.“

Ein Sonntag im Oktober, Martin Nieder, Mitte 50, steht auf einem schottrigen Parkplatz im bayerischen Freising. Ein Dutzend örtlicher Autohändler hat zur „Freisinger Autoschau“ geladen. Funkelnde Neuwagen wie Perlen an der Schnur, Wimpel und Fahnen flattern im Herbstwind, es riecht nach Bratwurst.

Im Schlepptau hat Nieder seinen Sohn Alexander. Der Fahranfänger braucht bald ein eigenes Auto, die beiden wollen sich „einen Marktüberblick verschaffen“. Auch wenn Vater Nieder, eigentlich leidenschaftlicher PS-Ritter, sich mit Autos derzeit ja am liebsten gar nicht mehr beschäftigen möchte. „Ist einfach nicht gut für meine Laune.“

Heiliges Blechle! Ein Auto-Fan auf Distanz zum Objekt seiner Passion! Ist das nur ein Einzelfall, oder erkaltet da vielleicht generell was im Autoland? In einer Zeit, in der sich Dieselfahrer fast am Pranger fühlen, angesichts der ganzen Dauerdiskussion um drohende Fahrverbote. Einer Zeit, in der manche den Verbrennungsmotor wegen der dräuenden E-Auto-Revolution schon als Auslaufmodell abstempeln.

Die Deutschen und ihr vierrädriges Familienmitglied, das war stets eine ganz besondere Liaison. Die oft länger hielt als manche Ehe. Was dem Ami die Knarre, ist dem Deutschen die Karre – gern allsamstäglich gewaschen und poliert. Kurz: Liebe, irgendwie.

Autokäufer haben mehr Beratungsbedarf

Aber gilt das noch? Geht man nach der offiziellen Statistik, dann läuft die Sache im Moment eigentlich überraschend rund. Laut Flensburger Kraftfahrt-Bundesamt wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres hierzulande rund 1,8 Millionen Neuwagen zugelassen. 3 Prozent mehr als im Vorjahr. Rund ein Drittel davon entfiel nach Behördenangaben auf private Zulassungen. Auch hier ein hübsches Plus von 2,5 Prozent.

Und ein Crash beim Neuwagengeschäft scheint derzeit auch so gar nicht in Sicht. Im Gegenteil: Laut einer aktuellen Studie der Aral AG ist die Neuanschaffungsneigung der deutschen Autofahrer so hoch wie lange nicht. So gab jeder vierte Befragte an, sich innerhalb der nächsten 18 Monate ein neues Auto kaufen zu wollen. Vor zwei Jahren lag dieser Wert noch 9 Prozentpunkte niedriger.

Auf dem Schotterparkplatz in Freising flanieren Familien mit Kinderwagen vorbei an neuen Limousinen und SUVs. Bei Toyota verteilen sie kostenlose Putzschwämme, ein Besucher steckt seinen Kopf tief unter die weit geöffnete Haube eines schwarzen Audi, es sieht aus, als würde ihn der Bolide gleich fressen.

An einer Laterne lehnt einer der Autohausbesitzer und zieht an seiner Kippe. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, was wundert, denn Schlechtes hat auch er nicht zu verkünden. „Wir verkaufen wie immer“, sagt er, gefragt seien vor allem PS-starke Modelle, auch für Sonderausstattung greife die Kundschaft gern und tief in die Schatulle. „Assistenzsysteme, Head-up-Displays, alles was das Fahren noch bequemer macht, ist gefragt“, sagt der Mann. Die Technik fasziniere die Leute eben, „daran ändert auch das Gezänk ums Auto nichts.“ Okay, bekennt er dann, verunsichert sei der ein oder andere Autofahrer sicherlich schon. Er und seine Händlerkollegen müssten in nahezu allen Verkaufsgesprächen deutlich mehr Beratunsgzeit aufwenden als früher. „Die Kunden fragen schon, wie das mit dem Diesel weitergeht.“

Karin Hess fragt sich das auch. Mit Sohn Tim hat sich die Freisingerin in einen Zweisitzer mit Elektroantrieb gezwängt. „Witzig, ganz gut für die Stadt“ sei der, dazu bezahlbar, bloß die fehlenden Scheiben irritieren die Frau: „Irgendwie halbherzig.“ Zwar sei sie ohnehin meist mit dem Rad unterwegs, trotzdem stehen zwei Benziner vor dem Eigenheim. „Zum Glück kein Diesel.“ Von der Auto-Industrie, gerade der deutschen, ist sie enttäuscht. „Die haben die Elektromobilität verpennt.“

Deutsche Stromer bald Weltmarktführer?

Beim Verband der Automobilindustrie (VDA) dürfte man sich angesichts dieses oft gehörten Vorwurfs mittlerweile fühlen wie Don Quijote beim Kampf gegen die Windmühlen. „Wir investieren massiv in alternative Antriebe, vor allem in die Elektromobilität“, seufzt man in der Berliner Zentrale. „Bis 2020 sind das 40 Milliarden Euro.“ Schon heute seien 30 deutsche E-Modelle auf dem Markt, in drei Jahren werden es mehr als 100 sein, bekräftigte VDA-Chef Matthias Wissmann unlängst auf der Frankfurter Automesse IAA. „Bis 2025 können wir sogar Weltmarktführer werden“, so Wissmann.

Sechs von zehn in Deutschland verkauften E-Autos stammen aktuell aus deutscher Produktion. Und in Europa liegt der Anteil der deutschen Stromer bei knapp 50 Prozent. Klingt viel. Nur: Aktuell entfallen noch immer nur 1,4 Prozent aller Pkw-Neuzulassungen auf reine Stromautos oder Plug-in-Hybride.

Laut Aral-Studie kann sich zwar mittlerweile jeder zweite Autofahrer hierzulande die Anschaffung eines E-Autos prinzipiell vorstellen. Einen Kaufvertrag unterschreiben aber würde die Mehrheit erst, wenn die Modelle genug Saft für mindestens 460 Kilometer haben, die Batterie in nur einer halben Stunde wieder vollgeladen werden kann – und der Preis kaum höher liegt als der vergleichbarer Autos mit Verbrennungsmotor. Voraussetzungen, von denen aktuelle Modelle noch weit entfernt sind.

Zurück auf dem Freisinger Schotterparkplatz. Martin Nieder, der gefrustete Dieselfahrer, schlendert seit einer Stunde mit Filius Alexander über die Freiluft-Messe und macht weiter seinem Ärger Luft. „Als Dieselfahrer fühle ich mich schon verschaukelt“, bekennt er. Seinen Wagen, ein SUV, werde er trotzdem weiterfahren: „Was soll ich auch sonst machen?“ Na ja, verkaufen? „Und herbe Einbußen hinnehmen? Auf keinen Fall!“

Viele Dieselfahrer sehen das derzeit offensichtlich anders. Nach Angaben des Internet-Portals Mobile.de stieg die Zahl der Inserate für gebrauchte Diesel zuletzt um fast 30 Prozent an. Zugleich legten die Standzeiten von Selbstzündern beim Gebrauchtwagenhändler im Bundesschnitt auf nunmehr über 100 Tage an. Zum Vergleich: Autos mit Benzinmotor rollen im Schnitt drei Wochen früher wieder vom Hof. Laut Aral-Studie dürfte sich das so schnell auch nicht wieder ändern. Nur noch 18 Prozent der vom Tankstellen-Konzern befragten Fahrer gaben an, sich beim nächsten Auto wieder für einen Diesel entscheiden zu wollen.

Klimaanlage? Fenster auf, die Haare im Fahrtwind!

Zwischenbilanz: Der Diesel also heftig umstritten, Stromer zwar in aller Munde, aber noch kaum auf der Straße. Und Benziner zwar begehrt, derzeit aber auch großflächig rabattiert, wie das Duisburger CAR-Institut vermeldet. Die Marktbeobachter notierten im September bundesweit 636 Günstig-Aktionen der Hersteller. „Das haben wir selbst zu Zeiten der staatlichen Abwrackprämie nicht gesehen“, so CAR-Chef und Autopapst Ferdinand Dudenhöffer. Verblasst sie also doch, die Aura des Autos?

Auf der Freisinger Autoschau ist mittlerweile die Feuerwehrkapelle aufmarschiert und bläst allen Ernstes „Ja, mir san mit’m Radl da“. Am Rande des Geländes beobachtet ein Rentner seinen Enkel, der Steppke sitzt in einem Streifenwagen und spielt fröhlich mit dem Blaulicht. 82 Lenze sei er jetzt, sagt der Mann, begeisterter Autofahrer seit über 60 Jahren. „Mit dem Käfer sind wir damals über die Alpen, das war Freiheit pur.“ Später dann, im BMW 1600, runter bis nach Spanien, die Kinder schwitzend hinten auf Kunstledersitzen. Klimaanlage natürlich Fehlanzeige, „Fenster runter, die Haare im Fahrtwind, herrlich war das.“

Ob der Enkel dort im Polizeiwagen wohl noch den Führerschein machen werde, das frage er sich auch ab und an. „Vielleicht sehen wir bis dahin ja das selbstfahrende Auto.“ Aber wie auch immer es komme – mit der Liebe zum Auto sei es doch am Ende irgendwie wie in allen Liebesdingen im Leben. „Mal geht’s hoch, mal runter.“ Entscheidend sei da nur eins: „Dass man dran arbeitet.“