Bundesweit gibt es nach Schätzungen einer aktuellen, im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellten Studie inzwischen bundesweit rund 3.100 Pflege-WGs, allerdings mit großen Unterschieden in den einzelnen Bundesländern.

Vorteile und Leistungen der Wohngemeinschaften

Auch der Sozialstaat fördert diese neue Form der Versorgung: Der Umbau einer Immobilie für eine Pflege-WG wird mit 2.500 Euro pro Bewohner, maximal 10.000 Euro pro WG gefördert. Zusätzlich gibt’s Geld für individuell notwendige Umbaumaßnahmen, und zwar bis zu 4.000 Euro pro Bewohner, insgesamt höchstens 16.000 Euro. Außerdem zahlt die Pflegekasse einen Wohngruppenzuschlag von 214 Euro pro Person und Monat, zusätzlich zu den normalen Pflegeleistungen.

„Ein wesentlicher Vorteil einer Pflege-WG sind kleinere Gruppen, die eine individuelle Betreuung nach den Wünschen der Bewohner ermöglichen“, erklärt Brigitte Herkert, Projektleiterin bei der „Koordinationsstelle ambulant betreute Wohngemeinschaften in Bayern“. Nicht die Heimleitung entscheidet, welche Angebote es gibt, sondern die Bewohner selbst bestimmen, wie intensiv die Betreuung sein soll, was sie essen und trinken, und welche Aktivitäten es geben soll.

Ein weiterer Pluspunkt: „Oft entstehen enge emotionale Bindungen zwischen den Bewohnern“, so die Erfahrung der Expertin. Gemeinschaftsgefühl, feste Bezugspersonen, zusammen einen möglichst normalen Alltag gestalten, kurzum: ein familiäres Miteinander in kleinen Gruppen.

Das klingt gut, für so manchen viel besser jedenfalls als ein Leben im Heim, in dem es nicht selten eine auf Effizienz getrimmte Standardversorgung gibt, vielfach mit überlastetem, ständig wechselndem Personal. Aber: Das, was in der Theorie gut klingt, ist in der Praxis nicht immer einfach umzusetzen. Viele Angehörige haben auch schlicht falsche Erwartungen. Die wichtigsten Annahmen zum Thema daher im Überblick.

Annahme 1: „Pflege-WGs sind für eine Übergangszeit, bevor der Senior endgültig ins Heim muss“

Falsch. „Die Pflege-WG ist keine Übergangslösung, sondern eine Alternative zum klassischen Pflegeheim“, erklärt Herkert. Wer in eine Pflege-WG einzieht, soll dort möglichst bis zum Lebensende versorgt werden, auch dann, wenn im Lauf der Zeit der Pflegebedarf steigt oder der Bewohner bettlägerig wird.

Annahme 2: „Der Senior kann in seiner Wohnung bleiben und dort eine WG gründen“

Falsch. „Mini-Pflege-WGs mit zwei oder drei Bewohnern sind zwar theoretisch möglich, finanziell aber kaum umsetzbar, denn das wird normalerweise einfach zu teuer“, sagt die Expertin. Damit das Ganze bezahlbar bleibt, müssen Pflege-WGs in den meisten Fällen mindestens acht bis zehn Bewohner haben.

Deshalb ist es allein aus Platzgründen auch nur selten möglich, eine solche Pflege-WG in normalen Wohnimmobilien einzurichten. „Erfahrungsgemäß muss der notwendige Wohnraum erst geschaffen werden“, so die Expertin. In der Praxis werden geeignete Immobilien wie beispielsweise leer stehende Büroräume entsprechend umgebaut oder aber die Pflege-WG wird im Rahmen von Neubauprojekten direkt eingeplant.

Annahme 3: „Pflege-WGs verursachen niedrigere Kosten als klassische Heime“

Falsch. „Aufgrund der kleineren Gruppen sind Pflege-WGs erfahrungsgemäß häufig gleich teuer oder sogar teurer als ein Heimplatz“, erläutert die Expertin. Das liegt daran, dass bestimmte Kosten, beispielsweise für eine Nachtwache, fürs Einkaufen oder für die Betreuung in einer Pflege-WG auf weniger Personen verteilt werden als in einem klassischen Heim.

Um Geld zu sparen, kann man sich aber darauf einigen, dass bestimmte Arbeiten von den Angehörigen selbst erledigt werden und nicht von Dienstleistern, beispielsweise die Reinigung des Zimmers oder die Pflege der Wäsche.

Annahme 4: „Der Senior sollte so lange wie möglich zu Hause bleiben und erst dann in die Wohngruppe einziehen“

Stimmt teilweise. „Einerseits ist die Pflegebedürftigkeit in der Regel Voraussetzung dafür, dass jemand in eine Pflege-WG einziehen darf“, sagt Herkert. „Andererseits ist es aber wünschenswert, dass der Bewohner noch relativ fit ist, damit die Eingewöhnung besser gelingt und der Betreffende auch tatsächlich an den gemeinschaftlichen Alltagsaktivitäten teilnehmen kann.“ Wer damit liebäugelt, den alten Eltern ihren Lebensabend in einer Pflege-WG so schön wie möglich zu machen, sollte den Umzug deshalb nicht zu früh und nicht zu spät angehen.

Annahme 5: „Die passende WG kann man sich suchen, wenn es so weit ist“

Falsch. „Plätze in Pflege-WGs sind oft schwerer zu bekommen als ein Platz im Heim“, so die Expertin. Zum einen gibt es insgesamt weit weniger WG-Plätze als Heimplätze. Zum anderen werden seltener Plätze frei, weil die Bewohner beim Einzug meist noch relativ gesund sind, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer also oft deutlich länger ist als in einem Heim. Zum dritten entscheiden die Bewohner selbst, ob ein Interessent tatsächlich in die Pflege-WG einziehen darf.

Dabei geht es in der Regel auch nach Sympathie und nach der Bereitschaft der Angehörigen, sich einzubringen. In einem Pflegeheim dagegen entscheidet die Heimleitung, wer einzieht, und die Bewohner haben kein Mitspracherecht. Deshalb ist eine frühzeitige Suche nach einer passenden WG sehr empfehlenswert.

Annahme 6: „Wenn sich keine Pflege-WG finden lässt, kann ich einfach eine gründen“

Stimmt eher nicht. In der Praxis werden die meisten Pflege-WGs nicht von Angehörigen gegründet, sondern von Vereinen, Wohlfahrtsverbänden oder anderen Organisationen. „Grundsätzlich ist es aber möglich, selbst eine Pflege-WG zu gründen“, erklärt Herkert. Allerdings braucht man dazu einen langen Atem.

„Mal schnell“ als Angehöriger eine Pflege-WG für den Senior starten, das funktioniert nach Erfahrung der Expertin nicht. Realistisch ist nach ihrer Einschätzung eine Vorlaufzeit von etwa ein bis zwei Jahren. Eigentlich logisch: Allein schon für die Suche nach einer passenden Immobilie und die meist notwendigen Umbauten geht oft viel Zeit ins Land. Außerdem müssen je nach Bundesland zusätzlich diverse Auflagen erfüllt werden, beispielsweise bei Fluchtwegen oder dem Brandschutz.

Auch für die eigentliche Betreuung müssen verschiedene Bedingungen eingehalten werden. „Es genügt nicht, wenn zur Betreuung der Bewohner eine osteuropäische 24-Stunden-Pflegekraft eingestellt wird“, so Herkert. Vielmehr braucht man ein langfristiges, tragfähiges Betreuungskonzept, Maßnahmen zur Qualitätssicherung, muss teilweise Meldepflichten einhalten und vieles mehr. Was auf den ersten Blick extrem bürokratisch klingt, macht aber durchaus Sinn: „Die Gründung einer Pflege-WG ist eine langfristige Sache, denn die WG besteht ja weiter, auch wenn einer der Bewohner stirbt“, erläutert die Expertin.

Wenn die Eltern ihren Lebensabend in einer Pflege-WG verbringen sollen, geht es in der Praxis also meist nicht um eine Neugründung, sondern darum, einen freien Platz in einer bestehenden WG zu finden.

Annahme 7: „In der Pflege-WG kann man selbst bestimmen, wie der Senior versorgt werden soll“

Teilweise richtig. Die Bewohner entscheiden zwar selbst, denn es gibt keine Heimleitung. Trotzdem kann nicht jeder individuelle Wunsch erfüllt werden. „Alle Entscheidungen werden von den Bewohnern beziehungsweise deren Angehörigen gemeinschaftlich beschlossen“, erläutert Herkert.

In der Praxis sind normalerweise nicht die Bewohner selbst, sondern deren Angehörige mit der Selbstverwaltung der Pflege-WG befasst. Damit das gut klappt, brauchen Angehörige viel Zeit und Energie, um sich bei den nötigen Entscheidungen des Alltags intensiv zu engagieren. Regelmäßige Gruppentreffen mit den anderen Angehörigen gehören also dazu – und auch die Bereitschaft, Konflikte auszudiskutieren. Schließlich sind so viele unterschiedliche Menschen nicht immer derselben Meinung.

Wie gut die Selbstverwaltung funktioniert, hängt sehr vom Einzelfall ab. Je besser die Chemie untereinander stimmt, desto besser läuft es auch mit der WG. Doch der Einsatz lohnt sich: „Wenn das Miteinander aller Beteiligten gelingt, ist eine Pflege-WG eine tolle Sache“, findet Herkert.