Königsberg/Peißenberg/Coburg. Um fünf Uhr klingelt der Wecker. Doch Sascha König (35) ist meistens schon vorher wach. Gewohnheit. Gegen halb sechs steigt der Mann vom Kundenservice der Fränkischen Rohrwerke dann allein in seinen Golf – und ist doch in bester Gesellschaft: Zwei Drittel aller Beschäftigten in Bayern fahren im Auto zur Arbeit.

Nur wenige sind so lange wie König unterwegs. Der Thüringer muss 84 Kilometer fahren, um von Viernau bei Suhl ins unterfränkische Königsberg zu kommen. Allerdings braucht mittlerweile jeder Vierte länger als eine halbe Stunde zu seinem Arbeitsplatz. Eine Stunde täglich – das summiert sich in einem Arbeitsleben auf ein volles Jahr.

„Arbeitnehmer sind heute so häufig und so lange wie nie zuvor unterwegs“, sagt Anette Haas vom Institut für Arbeitsmark- und Berufsforschung in Nürnberg. Ihre Begründung: Die Menschen müssten heute flexibler sein und zunehmend Kompromisse eingehen, etwa um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

„Inzwischen sind mehr Frauen erwerbstätig“, erklärt Haas. Ein Wohnort muss dann zu zwei Jobs passen. „Früher war Pendeln oft die Vorstufe zum Umzug, heute ist es eine Dauerlösung“, sagt die Expertin.

Wer nah an der Firma wohnt, kommt erfahrungsgemäß eher mal am Wochenende rein

Sascha König pendelt seit zwölf Jahren. Knapp 40.000 Kilometer sind es jährlich. Das kostet. Alle vier Jahre kauft er sich ein neues Auto, jede Woche tankt er einmal voll.

Weil König in Bayern viel mehr verdient als in Thüringen, lohnt sich das dennoch. Zudem wollen er, seine Frau und sein Sohn im Heimatort wohnen bleiben. Auch Eltern und Bruder leben dort. Da König gerne fährt, macht ihm Pendeln nichts aus. „Für mich ist es Entspannung“, sagt er. „Und wenn ich heimkomme, ist der Arbeitstag abgehakt.“

Die lange Heimfahrt ist ein klarer Schnitt zwischen Job und Privatleben. Das gilt noch stärker für Dirk von der Bey (53), Personalleiter des Luftfahrt-Zulieferers Aerotech in Peißenberg (Oberbayern). Der Familienvater pendelt nur fürs Wochenende zu Frau und Söhnen nach Stuttgart. Auch ihm ist es wichtig, dass die Familie im gewohnten Umfeld bleibt. Trotz Stress sagt er: „Mittlerweile ist alles eingespielt.“

Von der Bey ist schon seit acht Jahren die Woche über weg. Auch vor seinem Einstieg bei Aerotech 2011 hat er weit entfernt gearbeitet. Er kann dem großen Abstand zum Büro mittlerweile sogar etwas Positives abgewinnen. „Wäre ich näher dran, wäre ich auch mal am Wochenende in der Firma.“

So geht es einem, der gar nicht pendelt, immer wieder: Für Dietmar Horn (54), Kran- und Staplerfahrer beim Maschinenbauer Waldrich Coburg, ist es zur Arbeit nur ein Katzensprung – im wörtlichen Sinn. Das Grundstück seines Mietshauses grenzt ans Firmengelände. Horn ist bei der Feuerwehr-Leitzentrale gemeldet. Im Alarmfall läutet auch sein Telefon, weil er überall im Werk die Türen öffnen kann. Wiederholt wurde er schon aus dem Bett geklingelt. „Zum Glück immer nur Fehlalarm“, sagt er.

Er hat sogar schon mal nächtliche Einbrecher gemeldet. Als die Polizei eintraf, seien die Ganoven aber schon über alle Berge gewesen. Die Nähe zur Firma hat für Horn auch private Vorteile. Mit seinem Sohn, der ebenfalls bei Waldrich arbeitet, kommt er mittags zum Essen nach Hause. Seine Frau ist chronisch krank. „Ich bin sehr froh, dass ich so immer nach ihr sehen kann.“

Interview: "Rituale sind hilfreich"

Was Pendler beachten sollten, erklärt Gerhard Laub, Verkehrspsychologe des Tüv Süd.

Wieso empfinden viele Leute Pendeln als Stress?
Die Zeit im Auto oder im Zug ist weitgehend fremdbestimmt. Und ständig kann etwas Unvorhersehbares und Ungeplantes passieren, auf das man keinen Einfluss hat. Außerdem geraten viele Menschen durch das Pendeln unter Zeitdruck.

Wie lässt sich die Belastung reduzieren?
Wichtig ist zunächst mal die eigene Einstellung. Wer sich über das Pendeln jeden Tag ärgert, leidet umso mehr darunter. Wer sich bewusst fürs Pendeln entschieden hat und positiv denkt, kommt besser damit klar.

Zu welcher Art von Beschäftigung raten Sie?
Egal ob Musik im Auto oder Zeitung und Buch im Zug: Hilfreich sind vor allem eingespielte Rituale, mit denen man leichter vom Job abschalten kann. Meistens entwickeln sie sich von selbst. Besonders wichtig ist das Gefühl, die Zeit sinnvoll genutzt zu haben.

Ist Pendeln dann auch was auf Dauer?
Der Mensch gewöhnt sich an fast alles. Wer aber am Wochenende nur noch platt auf dem Sofa liegt, sollte sich fragen, ob die Belastung nicht doch zu groß ist.