Bielefeld. Ein Kollege hat die Maschine falsch eingestellt. Ein anderer ist ständig pampig. Jeder kennt die Situationen, in denen man am liebsten mal richtig klarstellen würde, was einen stört. Doch Kritik ist heikel. Wer sie äußert, macht sich zuweilen unbeliebt. Und wer sie zu hören bekommt, ist oft verletzt. Deshalb hat AKTIV den renommierten Bielefelder Arbeitspsychologen Professor Tim Hagemann nach Tipps zu dem Thema gefragt.
Ist Kritik unerwünscht?
Von wegen! „Kritik ist in den Betrieben gefragt und wichtig“, sagt Experte Hagemann. „Gerade im industriellen Bereich.“ Sie ist fester Bestandteil jedes Verbesserungsprozesses. Eigentlich logisch, denn wenn die Mitarbeiter nicht sagen, wo es hakt, dann kann auch nichts verbessert werden, egal ob es um Produktionsabläufe oder das Miteinander geht.
Und dass die Beschäftigten auch selbst mit Kritik gut umgehen können, ist offenbar in den Unternehmen sogar noch wichtiger als viele andere Eigenschaften wie etwa Kreativität. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Karriere-Netzwerks Linked-In unter Personalchefs hervor.
Wie kritisiere ich, ohne den anderen zu verletzen?
Hagemann: „Man sollte darauf achten, dass man nicht direkt die Person kritisiert, sondern das Verhalten, um das es geht.“ Das kann man nämlich leichter ändern. Schlecht ist also der Satz: „Warum bist du immer so schrecklich aufbrausend?“ Besser: „Ich fand das kürzlich ganz schön forsch formuliert von dir.“
Was macht meine Kritik konstruktiv?
Das Zauberwort „konstruktive Kritik“ kennt jeder. Was das eigentlich ist, erklärt Hagemann so: „Man reitet nicht darauf herum, wieso etwas schiefgegangen ist, sondern schlägt vor, wie man etwas verbessern kann.“ Oder man äußert konkrete Wünsche. Ein Beispiel: Man fühlt sich von seinem Chef nicht ausreichend wertgeschätzt. Auf die schlaue Art könnte man das zum Beispiel so sagen: „Es wäre schön, wenn wir einmal die Woche kurz über meine Arbeitsergebnisse sprechen könnten.“
Muss ich meine Einwände immer sofort vorbringen?
Wenn man verärgert oder aufgebracht ist, sei es oft besser, seine Gefühle erst einmal sacken zu lassen, erklärt Hagemann. Zum Beispiel, indem man eine Nacht darüber schläft. „Denn wenn man direkt in die Konfrontation geht, können sich die Emotionen hochschaukeln“, erklärt der Psychologe. „Die Folge ist dann, dass es gar nicht mehr um den Sachverhalt geht, sondern nur noch darum, wer recht hat.“
Ganz schlecht! Denn das wiederum führe in der Regel zu nichts. Es gibt bei einem Streit eben oft nicht die eine Wahrheit, betont Hagemann: „Man muss auch immer daran denken, dass jeder Kollege einen Sachverhalt unterschiedlich wahrnimmt und interpretiert, das ist ganz normal.“
Wie wichtig ist die Frage, wer eigentlich an etwas schuld ist?
Ein Materialbehälter wurde falsch befüllt. Der Gabelstapler ist am falschen Platz abgestellt. Und schon ruft jemand wütend durch die Halle: Wer war das? Hagemann betont, dass die Schuldfrage meistens nicht weiterführt und auch nicht so wichtig ist: „Wann immer etwas vergessen, vermasselt, verwechselt wird, muss einfach der Prozess so gestaltet werden, dass ein Fehler nicht mehr möglich ist.“ Man könnte zum Beispiel im Team besprechen, ob man den Abstellplatz des Gabelstaplers besser kennzeichnet.
Wie steckt man Tadel selbst am besten weg?
Dass man ab und zu kritische Worte gesagt bekommt, gehört im Leben dazu, das bleibt keinem erspart. Psychologe Hagemann rät: „Man sollte versuchen, es als Tugend zu begreifen, mit Kritik gut umgehen zu können.“
Denn: Wer Arbeitsprozesse verbessern will, der kommt nicht umhin, Kritik von anderen anzunehmen und sein Verhalten auch mal zu hinterfragen. Wer hierin eine Niete ist, kann übrigens auch keine gute Führungskraft werden, ist Hagemann überzeugt.
Gibt es ein Patentrezept für mehr Kritikfähigkeit?
Ja! Hagemann verrät eine Gesprächstechnik, die im Grunde ganz einfach ist und viel bewirkt: „Kontrollierter Dialog.“ Man fasst erst einmal ruhig und mit eigenen Worten zusammen, was der Kollege oder Chef einem da gerade an den Kopf geknallt hat. „Diese Technik lernen zum Beispiel die Mitarbeiter von Callcentern, die ständig aufgebrachte Kunden in der Leitung haben“, weiß der Experte – doch in jedem Industriebetrieb sei sie ebenso nützlich für ein harmonisches Miteinander.
„Damit nimmt man oft schon 80 Prozent des Konfliktstoffs raus“, erläutert er, „weil der Kritiker merkt, dass seine Vorwürfe angekommen sind.“ Und man selbst bleibt auf diese Weise gelassener, als wenn man schon zum Gegenschlag ausholt, während der andere noch spricht. Das Kritikgespräch ist also auf gutem Weg, ruhig und sachlich zu laufen – und der Chef wird sich später darüber freuen, wie gut man in der Lage ist, seine Anregungen umzusetzen.
Sollte man sich in den Streit von Kollegen einmischen?
Bis zu einem gewissen Grad ist Streit okay. Hagemann: „Viele Leute können wunderbar streiten, sich dann wieder vertragen und abends ein Bier zusammen trinken.“ Schlecht aber sind immer wiederkehrende Streitigkeiten, die sich letztlich meist auch auf die Arbeit auswirken. Da sollte man ruhig vermittelnd eingreifen. Oder auch den Chef einschalten. „Der muss ein Auge drauf haben, dass heiße Konflikte nicht in kalte übergehen.“
Das heißt: Wenn Kollegen irgendwann gar nicht mehr miteinander reden, ist das noch viel schlimmer als Streit! Der Arbeitspsychologe sagt: „So weit sollte es nicht kommen.“