Neuhausen/Ditzingen/Marbach/Ludwigsburg. Ellen Wohlfart hat vier Kinder. Eine passende Arbeit zu finden, hatte sich die Werkstoffwissenschaftlerin sehr schwierig vorgestellt. Aber dann schob sie vor ein paar Jahren den Kinderwagen mit ihrem jüngsten Sohn über eine Jobmesse – und Thomas Rebstock vom Automations-Spezialisten Balluff interessierte sich für sie: „Schicken Sie Ihre Unterlagen!“ Zweifelnd zeigte sie auf den Kinderwagen: „Ich habe noch mehr Kinder, Vollzeit scheidet aus …“ Egal, entgegnete er.

Die Arbeitszeit in der Metall- und Elektro-Industrie (M+E): Wie flexibel ist sie – und genügt das? Eine Emnid-Umfrage für die Metall-Arbeitgeberverbände lieferte dazu Erkenntnisse. Zum Beispiel, dass in rund zwei Dritteln der Betriebe mobiles Arbeiten oder Homeoffice prinzipiell möglich sind.

„Wir müssen flexibel auf Auftragsschwankungen reagieren können“

Und familienfreundliche Modelle sind längst Praxis. Wie bei Automations-Spezialist Balluff aus Neuhausen/Fildern. Ellen Wohlfart, die vierfache Mutter, untersucht hier gerade am Mikroskop die Beschichtung eines Sensors. „Ich durfte mein Arbeitszeitmodell von Anfang an mitbestimmen“, erzählt sie. Derzeit hat sie 22 Wochenstunden. „Heute morgen war schon Schulanmeldung für die weiterführenden Schulen, in solchen Fällen komme ich später. Dafür bleibe ich auch länger, wenn viel zu tun ist.“

Laut Umfrage können die meisten M+E-Beschäftigten ihre Arbeitszeit kurzfristig an persönliche Bedürfnisse anpassen (siehe Grafik). Aber wie gelingt es den Betrieben, die Belange der Mitarbeiter mit Erfordernissen des Geschäfts in Einklang zu bringen? Ein Spagat, der nicht einfach ist.

Rebstock, der Personalreferent, den Wohlfart auf der Jobmesse traf, schildert: „Wir müssen viel flexibler sein als früher, um Auftragsschwankungen und individuellen Kundenanforderungen gerecht zu werden.“ Die Mitarbeiter produzieren Sensor-, Identifikations- und Netzwerk-Lösungen für die Automatisierung, das Geschäft brummt. Würden sie jede Woche streng ihre tarifvertraglich festgelegten Stunden einhalten, wäre Balluff nicht ausreichend flexibel. „Letztlich stärkt auch das unsere Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Rebstock. Also haben Betriebsrat und Geschäftsführung 2008 die „bedarfsorientierte Arbeitszeit“ eingeführt: Anhand der Auftragslage wird die optimale Stundenzahl für die Folgewoche berechnet, unter Berücksichtigung von Gleitzeit- und Urlaubswünschen. Sie variiert zwischen 30 und 40 Stunden. Dann prüft jeder, was bei ihm möglich ist. „Anfangs waren viele skeptisch“, so Rebstock. „Heute finden die meisten das Modell super.“ Balluff zahlt halbjährlich einen Bonus, der sich danach richtet, wie stark sich die Belegschaft anpasst. „Die Mitarbeiter machen aber auch mit, weil sie wissen, dass Beweglichkeit für unseren Standort notwendig ist.“

Auch bei Borgwarner in Ludwigsburg werden die Mitarbeiter in die Planung einbezogen. Sie können per Smartphone kurzfristig Schichtbelegungen mit dem Unternehmen selbst organisieren. Dazu hat der Autozulieferer mit Partnern aus Software-Industrie und Forschung eine App entwickelt: Die schickt Mitarbeitern eine Mitteilung, wenn Zusatzschichten anstehen. Auch die Zu- oder Absage läuft per App. Oft können die Mitarbeiter per Gruppenabstimmung entscheiden, wer einspringt. Das System, das in der Glühkerzenfertigung eingesetzt wird, werde von allen als gerecht und transparent empfunden, heißt es bei Borgwarner.

Selbst entscheiden, wie viele Stunden man macht

Dass Beschäftigte vom Chef in der Freizeit kontaktiert werden, ist selten: bei 89 Prozent maximal einmal im Monat. 70 Prozent sind erreichbar, aber nur bei 2 Prozent fordert das der Chef. Viele sind zu mehr Flexibilität bereit: So können sich 77 Prozent vorstellen, mal länger zu arbeiten als die gesetzliche Höchstdauer von zehn Stunden (mehr dazu).

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles besuchte jüngst den Maschinenbauer Trumpf in Ditzingen. Der hatte im Herbst von Wochen- auf Jahresarbeitszeit umgestellt: Die Mitarbeiter vereinbaren, wie viel sie je nach Auftragslage arbeiten. Und entscheiden alle zwei Jahre grundsätzlich, wie viel sie je nach Lebensphase arbeiten wollen. „Bereits 20 Prozent nutzen unser Angebot, nur wenige Monate nach Einführung“, sagte Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller. Man habe also „den Bedarf für entsprechende Angebote seitens der Mitarbeiter richtig gedeutet“.

Auch Spanntechnik-Spezialist Hainbuch in Marbach/Neckar braucht und bietet flexible Modelle. Hier gibt’s zudem ein „Kinder-Büro“, in das Mitarbeiter ihren Nachwuchs bei Bedarf mitbringen können. Das nutzt zum Beispiel Anke Reichenecker hin und wieder. Die zweifache Mutter leitet ein Team von sechs Leuten, in Teilzeit. Wenn man selbst Flexibilität bekomme, gebe man auch Flexibilität zurück, sagt sie – „es ist ein intensives Geben und Nehmen“.

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