Stuttgart/Neckarsulm/Ostfildern. Amir Ebrahimi erinnert in seinem Outfit an die Actionfilm-Figur „Terminator“. Jetzt winkelt er die Arme an, die in einer Art Rüstung stecken. Deren Motoren fangen leise an zu surren.
Ebrahimi ist Forscher am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart. Und er steckt in einem „Exo-Skelett“ – das er mit seinem aus rund 25 Leuten bestehenden Team entwickelt hat.
„Es unterstützt meine Bewegungen“, erklärt er. Und hebt eine Hantel, als wäre sie ein Wattestäbchen. „Es ist das gleiche Prinzip wie beim E-Bike.“
Der Roboter-Anzug ist einer von vielen neuen Helfern, die im Zuge der Digitalisierung die Fabriken erobern werden – in Baden-Württemberg und letztlich rund um den Globus.
Im neuen „Future Work Lab“ in Stuttgart, wo Ebrahimi gerade seine Roboter-Jacke präsentiert, weht eine Brise Science-Fiction. Hier zeigen gleich zwei Fraunhofer-Institute (das von Ebrahimi und das für Arbeitswirtschaft und Organisation), wie das Zusammenspiel von Mensch und Maschine in Zukunft ganz konkret aussehen kann.
Da tragen Menschen zum Beispiel Sensoren am Körper, mit deren Hilfe sich ergonomisch ungünstige Bewegungen und sogar Unfälle erkennen lassen. Da gibt’s eine „Augmented Reality“-Brille, die Bilder und Infos in die Realität einblenden kann. Und einen mobilen Roboter, der als Arbeitsplatz dient und sich gespenstisch durch die Halle bewegt. Forscher entwickeln hier auch maßgeschneiderte Lösungen für Betriebe.
Einer der Partner des Future Work Lab ist der Arbeitgeberverband Südwestmetall. In vielen Betrieben der Metall- und Elektro-Industrie sind Helfer, wie sie im Future Work Lab zu bestaunen sind, schon im Einsatz.
Audi beispielsweise stattete Ende 2016 acht Wochen lang einige Montage-Mitarbeiter probeweise mit Exo-Skeletten aus, ähnlich der Roboter-Jacke der Fraunhofer-Forscher, nur für die Beine. Der „chairless chair“, zu Deutsch „stuhlloser Stuhl“, ist aus Karbon und wiegt lediglich 2,4 Kilo. Er lässt sich einfach an die Körpermaße anpassen und dann um Hüfte und Beine schnallen. Wer dieses Teil anhat, kann sich überall hinsetzen, hat eine bessere Haltung und entlastete Beine.
Audi probierte es bereits vor zwei Jahren erstmals aus. Produktionsvorstand Professor Hubert Waltl erklärt: „Damit steigern wir das Wohlbefinden unserer Mitarbeiter und unterstützen nachhaltig ihre Gesundheit.“ Nicht zuletzt zähle auch der wirtschaftliche Aspekt: Ein ergonomisch gestaltetes Arbeitsumfeld sorge „für mehr Produktivität und noch bessere Qualität“. Auch viele andere Hilfen, etwa zum Heben schwerer Teile, hat das Unternehmen im Einsatz.
Mit dem Test wollte man auch herausfinden, ob sich die Mitarbeiter mit dem Tragen eines Exo-Skeletts langfristig anfreunden könnten. Mathias Keil, Leiter Industrial Engineering Methoden bei der Audi AG, berichtet: „Die Rückmeldungen waren durchweg positiv.“
Jetzt wird die praktische Arbeitshilfe weiter angepasst: Das Gewicht wird verringert, der Tragekomfort verbessert, die Polsterung optimiert. Der chairless chair soll nach einem weiteren Test noch im Laufe dieses Jahres im Serienprozess eingesetzt werden.
Zu den wichtigsten Helfern werden in Zukunft natürlich auch Roboter zählen, die in direktem Kontakt mit Menschen arbeiten. Die ersten Exemplare sind in den Betrieben schon im Einsatz, zum Beispiel in der Technologiefabrik des Esslinger Automatisierungstechnik-Herstellers Festo in Ostfildern-Scharnhausen.
Ein Roboter entlastet dort seine Kollegen, indem er in der Ventilmontage die besonders ermüdenden und belastenden Greif- und Fügeaufgaben erledigt – angenehm für die Beschäftigten. Und wenn ihm jemand gefährlich zu nahe kommt, dann hält er sofort inne. Dafür sorgen seine Sensoren.
Um die sichere Zusammenarbeit von Mensch und Roboter weiter zu erforschen, beteiligt sich Festo auch an einem Forschungsprojekt speziell zu diesem Thema.
Auch viele andere neue Technologien, die mit der Digitalisierung Einzug halten, könnten den Mitarbeitern bestimmte Arbeitsschritte abnehmen, erklärt Heinrich Frontzek, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Festo: „Zum Beispiel das Sammeln, Auswerten und Nutzen von Daten zur Steuerung von Prozessen.“ Dafür kämen andere Aufgaben hinzu. Etwa das Überwachen einer größeren Zahl von Maschinen und Prozessen, die in Netzwerken verbunden sind.
Festo-Mitarbeiter sind von neuer Lösung „begeistert“
Bei Festo werden die Möglichkeiten der Digitalisierung auch im Kleinen genutzt, wo es sich anbietet. Neuerdings zum Beispiel mit einem intelligenten Handschuh, der Barcodes lesen kann: Innen hat er Sensoren, die bei Daumendruck den Scanner auf dem Handrücken auslösen. Ganz einfach, aber raffiniert. Während Mitarbeiter bisher die Materialbehälter mit einer Hand greifen und derweil mit der anderen Hand das Scangerät bedienen mussten, haben sie nun beide Hände zum Greifen frei.
Ergonomisch ist das die bessere Lösung. Festo-Mitarbeiter Blerim Krasniqi ist begeistert – „und meine Kollegen in der Logistik sind es auch“, sagt er. Noch ein Vorteil: Das Scannen geht auf diese Weise viel schneller.
Und Schnelligkeit ist für Unternehmen wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Märkte erforderten eine immer höhere Geschwindigkeit, erklärt Ansgar Kriwet, Vorstandsmitglied bei Festo. Die Digitalisierung helfe nicht nur, viele Prozesse innerhalb des eigenen Unternehmens zu beschleunigen: „Digital erweiterte Produkte von uns beschleunigen auch die Prozesse bei unseren Kunden, vom Konstruktionsprozess der Maschine bis zum Service.“ Denn Festo liefert selbst Automatisierungstechnik, die Prozesse effizienter macht: Die weltweit 18.700 Mitarbeiter des Unternehmens produzieren Antriebstechnik für Kunden in aller Welt.
So hoch entwickelt diese Technik auch ist – Frontzek, Leiter Unternehmenskommunikation, erklärt, worüber man sich auch bei Festo im Klaren ist: Der Mensch sei in der Produktion der Zukunft auch weiterhin unverzichtbar. „Er ist der flexibelste und zugleich intelligenteste Teil der Fabrik – heute und auch künftig.“