Köln. Es ist eine geniale Erfindung, die heute Milliarden Menschen bewegt: das Fahrrad. Vor 200 Jahren baute Karl Freiherr von Drais ein hölzernes Laufrad, den Urahn des modernen Bikes. Der Mensch als Motor seiner selbst – an der Grundidee hat sich bis heute kaum etwas geändert.
Jetzt erfinden Deutschlands Radschmieden das Veloziped wieder neu. Als Wunderwaffe gegen Staus. Als Fitness-Gerät für mehr Lebensfreude. Als Lifestyle-Produkt für modebewusste Freizeit-Biker.
Die deutsche Fahrrad-Industrie zeigt, wie man mit kreativen Ideen und technischen Raffinessen einiges ans Rollen bringen kann. 28.000 Menschen arbeiten in der Branche, die letztes Jahr 5,2 Milliarden Euro erwirtschaftet hat. Zwar bauen die meisten Firmen ihre Produkte mit Komponenten aus China oder Taiwan. Doch einige Unternehmen setzen neue Maßstäbe.
Antrieb
Europaweit wurden 2016 rund 1,7 Millionen E-Bikes verkauft, davon 605.000 in Deutschland. Und Bosch ist bei Motoren für solche Räder Marktführer: In jedem vierten E-Bike, das auf dem Kontinent verkauft wird, steckt nach Schätzungen von Branchenkennern ein Antrieb der Schwaben.
Derzeit haben 15 Prozent aller in Deutschland verkauften Räder einen Motor. „Langfristig halten wir einen Anteil von 30 bis 40 Prozent am gesamten Fahrradmarkt für realistisch“, sagt Claus Fleischer, Leiter des Produktbereichs Bosch eBike Systems mit Sitz im schwäbischen Reutlingen. Für noch mehr Power sorgt ein neues Kraftpaket (eine Kombi aus zwei Akkus) mit einer Leistung von bis zu 1.000 Wattstunden – für weite Strecken, starke Steigungen und hohe Lasten.
Inzwischen gibt es zahlreiche Modelle, auf die auch jüngere Radler abfahren. Die hippen Velos sehen gut aus – kosten aber eine Stange Geld.
Die Heidelberger Manufaktur Coboc gilt in der Szene als megacool. Deren minimalistisches E-Bike mit Singlespeed-Antrieb (also nur einem Gang) wiegt gerade mal 14 Kilo – normalerweise kommt ein Elektro-Rad locker auf mehr als 20 Kilo. Hergestellt wird das Rad in Handarbeit. Akku und Elektronik sind komplett im Unterrohr des leichten Alu-Rahmens eingebaut. Die Preise sind auch exklusiv: so um die 4.000 Euro.
Felgen
Lightweight in Friedrichshafen produziert sie aus dem extrem leichten Material Karbon. Der neue Radsatz „Wegweiser“ wiegt je nach Variante nur 1.400 bis 1.450 Gramm. Dafür muss man 3.500 Euro lockermachen. Mit diesem Laufrad betritt das Unternehmen in der Produktion Neuland. Es wird nicht mehr wie sonst in der Branche üblich per Hand montiert – sondern vollautomatisch. Das senkt auf Dauer die Kosten.
Was sich mit Leichtbau so alles machen lässt, wird beim neuen puristischen Bike des Sportwagenbauers Bugatti deutlich: Das Stadtrad mit gerader Lenkstange, Riemenantrieb und Lightweight-Laufrädern wiegt weniger als fünf Kilo.
Schaltung
Rohloff in Fuldatal bei Kassel hat letztes Jahr seine Getriebe-Nabenschaltung „Speedhub“ überarbeitet – und fertigt dafür jetzt Steckritzel an. Der Clou: Für den Wechsel reicht ein kleiner Schlitzschraubendreher. Die Getriebe aus Hessen bieten so viele Übersetzungen wie eine Kettenschaltung – und laufen noch nach 100.000 Kilometern.
Eine Kettenschaltung, die nicht auf der Hinterradnabe sitzt, sondern im Tretlager, produziert Pinion in Denkendorf bei Stuttgart. Mit dem Top-Modell lassen sich 18 Gänge schalten. Neu ist die C-Linie für maximal 12 Gänge. Dabei kommt eine Fertigungstechnik aus dem Autobau zur Anwendung: das Magnesium-Druckguss-Verfahren. Im Gegensatz zur hochwertigeren P-Linie werden die Gehäuse nicht mehr aufwendig aus Aluminium gefräst, sondern gegossen. Das macht die Neuheit in der Fertigung günstiger und um ein Drittel leichter.
Licht
Die Lampen der Firma Busch & Müller überstrahlen alte Funzeln um Längen. So leuchtet die Lumotec-Serie (150 Lux) 60 Meter weit. „Noch wichtiger ist für uns die gleichmäßige Ausleuchtung, auch der Ränder“, sagt Sebastian Göttling, Marketingleiter des Unternehmens im sauerländischen Meinerzhagen. Die Leuchte kostet in der E-Bike-Variante 149,90 Euro.
Auch bei eingeschaltetem Licht muss man kaum kräftiger in die Pedale treten. Die Tübinger Maschinenbaufirma Wilfried Schmidt hat den Nabendynamo „Son“ perfektioniert, der im Gegensatz zur häufig verbauten Massenware kaum Wirbelströme erzeugt, die das Vorderrad abbremsen. Und die neueste Variante ist auch noch sehr leicht, wiegt nur 400 Gramm. Zudem hat das Unternehmen ein neues Rücklicht im Angebot, das sich in das hintere Schutzblech integrieren lässt (75 Euro).
Rahmen
Die Masse kommt aus Fernost – doch immer mehr gut betuchte Freiluft-Fans entscheiden sich für einen exklusiven Rahmen aus einer deutschen Manufaktur, egal ob aus Stahl, Alu oder Karbon.
Patria in Leopoldshöhe bei Bielefeld stellt ausschließlich Stahlrahmen nach Maß her – klassisch gelötet und gemufft. Der Rahmen kostet mindestens 490 Euro. Ein Komplettrad ist kaum unter 1.500 Euro zu haben. Dafür geben die Westfalen allerdings 15 Jahre Garantie.
Nicolai im niedersächsischen Lübbrechtsen bei Hildesheim produziert dagegen Alu-Rahmen – ebenfalls in Handarbeit. Neu sind Mountainbikes mit extrem langem Rahmen, was für mehr Laufruhe und Sicherheit sorgen soll.
Corratec in Raubling bei Rosenheim verkauft maßgeschneiderte Bikes aus Karbon. Ein optischer Leckerbissen ist eine Sonder-Edition des Rennrads „CCT Evo“, das den German Design Award 2017 gewann und in einer Mini-Auflage von 25 Stück verkauft wird. Preis des Renners aus Bayern: über 10.000 Euro.
Und die Räder von Retrovelo in Leipzig wecken mit ihrem Klassik-Look und den Ballonreifen alte Kindheitserinnerungen. Ein Kontrapunkt zu den Hightech-Bikes.
Die werden jetzt auch noch vernetzt. „Wir arbeiten an der Entwicklung des Connected Bike“, sagt Georg Honkomp, Chef der Einkaufsgemeinschaft ZEG. Das Unternehmen ist ein Zusammenschluss von fast 1.000 Fahrradhändlern.
Das Online-Fahrrad hat etwa ein Navi, eine GPS-Ortung als Diebstahlschutz oder ein per Sensor gesteuertes Bremslicht. Es schlägt Alarm, wenn die Bremsen verschlissen sind. Und es könnte nach einem Sturz automatisch einen Notruf absetzen.