Berlin. Corona ändert gerade scheinbar alles: Die Bundesliga spielt ohne Fans, Kinder gehen kaum in die Schule – und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Computerspiele! Wer sich in diesen Tagen der Kontaktbeschränkung einsam fühle, der solle doch einfach mit Freunden gemeinsam daddeln, rät die WHO aktuell in ihrer Kampagne „Play apart together“.

Klingt gut, oder? Und man muss ja nicht gleich so heftig zocken wie Mohammed Harkous. Der gebürtige Bochumer nämlich spielt die Fußball-Simulation „Fifa“ – und zwar bis zu acht Stunden täglich. Das muss er sogar: Denn Harkous ist ein sogenannter E-Sportler, ein professioneller Computerspieler.

Und ein höchst erfolgreicher dazu. Im vergangenen Jahr sicherte sich Harkous in London im Finale den Fifa-Weltmeistertitel. Damit ist „MoAuba“ einer der ganz wenigen Deutschen unter den aktuellen E-Sport-Stars.

Was eigentlich verwundert. Denn die Begeisterung fürs Gaming ist hierzulande riesengroß. Und sie wächst stetig weiter.

Großveranstaltungen abgesagt? Dann wird online geguckt!

Ein paar Zahlen: Etwa 34 Millionen Deutsche daddeln regelmäßig Computerspiele. Und lassen sich den Spaß so einiges kosten: Rund 4 Milliarden Euro setzte die Branche in Deutschland im vergangenen Jahr allein mit Videospiel-Software um – Rekordwert. Marktbeobachter rechnen für das laufende Jahr mit einem weiteren deutlichen Plus – wegen der Corona-Pandemie. „57 Prozent der deutschen Video-Gamer geben an, dass sie aktuell deutlich mehr Zeit mit Videospielen verbringen als noch vor Corona“, sagt Michael Heina, E-Sport-Experte beim Marktforschungsunternehmen Nielsen.

Doch nicht nur das aktive Zocken steht derzeit hoch im Kurs. Gaming-Fans haben auch immer mehr Freude daran, anderen beim Spielen von Top-Titeln wie „League of Legends“, „Starcraft“ oder „Counter Strike“ zuzusehen.

Schon in den vergangenen Jahren füllten Live-Veranstaltungen dieser Art auch in Deutschland ja immer größere Hallen. Zwar fallen derartige Groß-Events derzeit aus bekannten Gründen aus. Dafür aber verfolgen Millionen Fans die Live-Wettkämpfe von E-Sportlern eben auf Internet-Plattformen wie Twitch oder Youtube.

Und zwar, bis die Augen viereckig sind: Allein im März zählte die Übertragungsplattform Twitch weltweit sagenhafte 30 Millionen Zuschauerstunden für die beiden Top-Titel „League of Legends“ und „Counter Strike“. Laut einer Studie des US-Marktforschungsunternehmens Newzoo verfolgten noch 2018 etwa 380 Millionen E-Sport-Fans die virtuellen Wettkämpfe. Nächstes Jahr sollen es bereits 550 Millionen sein.

Freistoß: Auch die Fußball-Simulation „Fifa“ zählt bei aktiven Zockern wie passiven ­Bildschirm-Fans zu den beliebtesten Spielen.

Nielsen-Experte Heina hält es gar für denkbar, dass der Bildschirm-Sport von der Coronakrise durchaus auch langfristig profitieren könnte. „In der aktuellen Lage wäre es möglich, dass es zu einer Art Babyboom im E-Sport kommt, weil die Gruppe der Gamer einfach immer größer wird.“

Mehr aktive Gamer, dazu immer mehr passive Zuschauer – das weckt Interesse. Längst haben Unternehmen wie SAP, Vodafone oder Intel den E-Sport als Sponsoring-Plattform entdeckt. Vor wenigen Wochen verkündete auch der bayerische Autobauer BMW seinen Einstieg. Gleich fünf internationale E-Sport-Teams will BMW ab sofort unterstützen. „Wir erachten E-Sport als vielversprechende und wachsende Ergänzung unserer Marketing-Aktivitäten“, so BMW-Markenchef Jens Thiemer.

Warum das so ist, erklärt auch eine Studie der Beraterfirma Deloitte. Die hat unter anderem die Zielgruppe des Daddel-Spektakels unter die Lupe genommen. Ergebnis: Wer sich für E-Sport interessiert, ist in der Regel jung, technikaffin, gebildet und konsumfreudig. Klingt nach dem Traum eines jeden Marketing-Verantwortlichen.

30 Millionen Dollar Preisgeld an einem einzigen Wochenende

Und überhaupt: Wie viel Musik schon jetzt im Markt ist, lässt sich an den Preisgeldern bei Top-Wettkämpfen ablesen. So pulverisierte zuletzt gleich die erste „Fortnite“-Weltmeisterschaft alle Preisgeldrekorde: 30 Millionen Dollar wurden an einem einzigen Wochenende ausgeschüttet. Allein 3 Millionen strich der Sieger ein.

Summen, von denen der amtierende Fifa-Champion Mohammed Harkous nur träumen kann. Für seinen Triumph kassierte er eher bescheidene 225.000 Euro. Was ihn aber nicht groß störte. „Reicht mir komplett. Wenn es um 3 Millionen gehen würde, würde mein ganzer Körper zittern.“ Das wäre beim E-Sport schlecht …