Schwedt. Der Löwe ist bester Laune, kein Wunder, gleich gibt’s Götterspeise. Es ist Mittagszeit im Gruppenraum der „Schnatterenten“, und Devin (2) sitzt feixend auf einem Holzschemel und übt sein neues Lieblingsgeräusch: Löwen-Fauchen! Kurz darauf ist der Nachtisch vertilgt, Devin macht sich parat für den Mittagsschlaf. Hose runter, Töpfchen, Zähne putzen – alles fluppt, die Abläufe kennt er aus dem Effeff.

Kein Wunder: Die Kindertagesstätte Schnatterenten im brandenburgischen Schwedt ist Devins zweites Zuhause. Heute hat ihn Mutter Tina Stoye, eine Chemikantin, schon vor ihrer Frühschicht um kurz vor 5 Uhr gebracht. Und wenn für Mama in ein paar Tagen wieder Nachtschicht ansteht und Devins Papa Dennis noch sonstwo auf Montage ist, dann wird der Zweijährige hier sogar übernachten: in seiner Kita!

Betreuung über Nacht, an Wochenenden, Feiertagen, wann immer es nötig ist – schon seit zehn Jahren bietet die Schwedter Kita berufstätigen Eltern einen Rund-um-die-Uhr-Service für Klein- und Vorschulkinder. Philosophie von Leiterin Marlies Helsing: „Die Betreuungszeiten müssen sich nach den Arbeitszeiten der Eltern richten. Nicht umgekehrt.“

Das Konzept geht auf: Die Eltern sind begeistert, die Wartelisten längst übervoll. „Oft fragen mich Frauen sogar, wann sie denn schwanger werden dürften, um ihre Kinder mit Sicherheit hier unterzukriegen“, sagt Helsing.

Trotzdem: In der deutschen Kita-Landschaft sind Einrichtungen, die Kinder auch jenseits der üblichen Kernzeiten betreuen, noch immer Exoten: Experten schätzen ihre Zahl auf maximal 20.

Eigentlich verwunderlich. Denn laut Statistischem Bundesamt arbeiten hierzulande mittlerweile 27 Prozent aller Erwerbstätigen auch an den Wochenenden. Ebenfalls 27 Prozent schieben häufig auch nach 18 Uhr Dienst, fast doppelt so viele wie noch vor 20 Jahren. Und jeder zehnte muss sogar regelmäßig nachts ran. „Der Trend geht in Richtung individualisierte Arbeitszeit“, folgert der Frankfurter Sozialforscher Harald Seehausen. „Kita-Öffnungszeiten von 8 bis 16 Uhr gehen da heute eigentlich gar nicht mehr“, so der Experte.

Aber sie sind die Regel. Nach Erhebungen des Deutschen Jugendinstituts in München schließen noch immer 97 Prozent aller Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren um spätestens 18 Uhr die Pforten.

Für Katja Krüger wäre das eine Katastrophe. Es ist früher Nachmittag in Schwedt, gerade hat die alleinerziehende Altenpflegerin ihre zweijährige Tochter Lilli abgeholt. Auch die übernachtet regelmäßig bei den Schnatterenten. „In meinem Beruf ist Schichtarbeit die Regel“, berichtet die Mutter, „ohne die Kita hier wäre ich in die Arbeitslosigkeit gerutscht.“

Maximal 282 Euro plus Vereinsbeitrag und Essensgeld kostet die Eltern ein Platz bei den Schnatterenten. Was zur Deckung der tatsächlichen Betriebskosten fehlt, schießen Kommune und Landkreis dazu. Allerdings wird die Über-Nacht-Betreuung vom Staat nicht bezuschusst. Die Kita berechnet den Eltern dafür gerade mal 6 Euro pro Übernachtung.

„Für uns ist das ein Zuschussgeschäft“, stellt Leiterin Helsing klar. „Ohne unbezahlte Überstunden der Erzieherinnen und Ehrenamtler wäre das gar nicht darstellbar.“ Wohl auch deshalb sind solche Einrichtungen so selten.
Helsing weiß, dass Einrichtungen wie ihre nicht unumstritten sind. „Unsere Eltern müssen sich oft einiges anhören“, sagt sie. Von Rabeneltern sei da schnell die Rede, die ihre Kinder des Geldes wegen in fremde Hände gäben und das auch noch über Nacht. Weswegen sie die Bezeichnung „24-Stunden-Kita“ auch gar nicht gern hört. „Das klingt, als würde man hier ein Kind abstellen wie ein Auto im Parkhaus.“

Dabei wird hier kein Kind vor dem TV geparkt, sondern pädagogisch bestmöglich betreut. Übernachtungskinder müssen spätestens nach dem Mittagsschlaf am nächsten Nachmittag abgeholt werden, Eltern am Monatsende immer ihren Schichtplan vorlegen. „Und den kontrollieren wir genau.“

Kita-Ausbau

Noch immer fehlen Tausende Plätze

• Zur Umsetzung des ab August 2013 geltenden Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige fehlen laut Statistischem Bundesamt noch 220.000 Plätze.

• Derzeit sind 28 Prozent der Kinder im Alter von einem Jahr in einer Tagesbetreuung untergebracht. Bei Kindern im Alter von zwei Jahren beträgt der Wert 51 Prozent.

• Spitzenreiter in Sachen Betreuungsquote bei unter Dreijährigen ist Sachsen-Anhalt (58 Prozent), die rote Laterne schwenkt Nordrhein-Westfalen (18 Prozent).