In Deutschland gibt es mindestens 300 verschiedene Brotsorten – und jede Menge Mythen, die sich um das beliebte Nahrungsmittel ranken. An welchen angeblichen Volksweisheiten ist etwas dran und welche sind zu dick aufgetragen? aktiv hat einen Experten befragt: Heiko Zentgraf, Geschäftsführer der Vereinigung Getreide-, Markt- und Ernährungsforschung (GMF). Von den folgenden Erkenntnissen dürfen Sie sich deshalb gerne eine Scheibe abschneiden.

Mythos 1: Brot ist ein Dickmacher

Das weiß im Grunde jeder: Ob man von einem Nahrungsmittel zunimmt, hängt immer von der verspeisten Menge ab. Doch nicht nur in Model-Castingshows wird oft standfest behauptet, man solle doch besser auf Brot verzichten, wenn man schlanker werden wolle. „Eine grundsätzliche Fehleinschätzung“, so Zentgraf. Denn die Nährstoff-Zusammensetzungen von Brot und Brötchen, anderen Getreideprodukten und von Mahlerzeugnissen seien sogar eine sehr gute Basis für eine erfolgreiche Schlankheitskost.

Sein Tipp für eine Brotdiät: „Lieber Brotscheiben dicker schneiden und dann dünner belegen als sonst. So kann man locker vier bis sechs Kilo in einem Monat abnehmen.“ Wie gut dieses Rezept für das Abnehmen funktioniere, zeige ein Diät-Konzept, das die GMF gemeinsam mit der Hochschule Niederrhein entwickelt hat. Die dazugehörige Broschüre mit vielen Ernährungstipps und Rezepten finden Sie zum kostenlosen Download unter www.brotdiaet.de

Und die folgende Grafik zeigt, wie hohe Anteile an einzelnen Nährstoffen die Menschen in Deutschland allein durch Mahlerzeugnisse decken:


Mythos 2: Knäckebrot und Eiweißbrot machen schlank

Eine Kalorie ist eine Kalorie – das liegt so klar auf der Hand wie eine sauber geschnittene Scheibe Brot. Sind Knäcke- und Eiweißbrot überhaupt mit anderen Sorten vergleichbar? Hierbei kommt es auf die Perspektive an: „Beim Knäckebrot handelt es sich um Trockenflachbrot. Das bedeutet: Es beinhaltet weniger Feuchtigkeit und wird vorm Backen dünn ausgewalzt“, erklärt der GMF-Experte.

„Durch den geringeren Wasseranteil haben 100 Gramm Knäckebrot zwar mehr Energie als 100 Gramm herkömmliches Brot. Umgekehrt jedoch hat eine Scheibe Knäckebrot, die nur etwa zehn Gramm wiegt, weniger Energie als eine Schreibe von normalem Brot.“ Um auf 100 Gramm Knäckebrot zu kommen, müsste man davon also zehn Scheiben essen. Der Schlankheitseffekt rührt eher daher, dass kaum jemand so viele Scheiben vertilgen möchte.

Und wie sind die Abnehm-Chancen mit Eiweißbrot, bei dem quasi die Kohlenhydrate gegen Eiweiß ausgetauscht werden? Zentgraf: „Das bringt im Hinblick auf die Energiewerte gar nichts. Ein Gramm Kohlenhydrate hat genauso viele Kalorien wie ein Gramm Eiweiß.“ Außerdem müsse man beim Kauf genau hinschauen: „Viele sogenannte Eiweißbrote enthalten Ölsaaten wie etwa Leinsamen oder Sonnenblumenkerne und sind dadurch relativ fettreich. Ein Gramm Fett hat neun Kalorien – doppelt so viel Energie wie ein Gramm Kohlenhydrate oder Eiweiß.“ Bei einer solchen Scheibe könne man dann ganz leicht auch zu höheren Energiewerten kommen als bei herkömmlichem Brot.

Mythos 3: Brotschimmel kann man einfach abschneiden

Ein gefährlicher Irrtum! Zwar ist nicht jede Schimmelpilzart auf Nahrungsmitteln giftig, doch das können selbst Mikrobiologen oft nicht mit bloßem Auge beurteilen. Außerdem könnten bereits Pilzsporen an solchen Brotstellen sitzen, die noch keinen erkennbaren Schimmel aufweisen. Zentgraf warnt: „Schimmelarten, die die sogenannten Aflatoxine bilden können, sind sowohl für den Menschen als auch für Tiere giftig.“ Also: Auch keine Haustiere mit angeschimmeltem Brot füttern!

Brot kommt schimmelfrei aus dem Ofen. Die meisten Schimmelinfektionen passieren im Haushalt. Vor allem können feuchte Brotkrümel die Pilzbildung fördern. Ein Tipp vom Ernährungsexperten: „Brotbehälter sollten möglichst luftdicht sein und mindestens einmal wöchentlich mit Essig ausgerieben und dann gut trockengerieben werden.“

Mythos 4: Brot wird im Kühlschrank altbacken

Dieser Mythos trifft durchaus zu. Denn im Kühlschrank wird dem Brot Feuchtigkeit entzogen. Doch würde Zentgraf eine Ausnahme machen: „Bei sehr schwüler Witterung im Sommer ist es wichtiger, dem Schimmelbefall durch das Kühlen vorzubeugen, als die Aufbewahrungszeit bei Zimmertemperatur zu verlängern.“ Das Einfrieren und Auftauen von Brot sei jedoch nicht weiter problematisch. Besonders praktisch: „Brot in Scheiben einfrieren. So kann man danach immer einzelne Portionen auftauen. Direkt im Toaster geht’s am schnellsten.“

Mythos 5: Ofenfrisches Brot verursacht Bauchschmerzen

Hierauf gibt es laut dem GMF-Geschäftsführer keinen allgemeingültigen medizinischen Reim: „Ob noch warmes Brot zu Verdauungsbeschwerden führt, hängt von der persönlichen Disposition des Essers ab.“ Den Mythos gebe es ja auch über frisch gekochte Marmelade, frisch gepressten Apfelsaft und frisch gebackenen Leberkäse. „Ich vermute, das alles schmeckt so gut, dass man zu schnell und zu viel auf einmal davon isst – und manche, aber bei Weitem nicht alle, können dann unter Umständen Bauchschmerzen bekommen.“

Mythos 6: Von Brot bekommt man Verstopfung

„Ganz im Gegenteil: Die Ballaststoffe des Getreides fördern sogar die Verdauung“, so Zentgraf. Getreideerzeugnisse und damit auch Brot- und Backwaren seien die wichtigste Ballaststoffquelle für den Menschen. Der Lebensmittel-Kenner verweist auf aktuelle Daten zum täglichen Beitrag an der Bedarfsdeckung von Nährstoffen: Danach kommen 33 Prozent der Ballaststoffe aus Getreideprodukten.

„Der hohe Prozentsatz liegt darin begründet, dass jede Brotsorte wie auch sogar jedes Brötchen und Weißbrot zu mehr als drei Prozent aus Ballaststoffen bestehen“, erläutert Zentgraf. Vollkornbrot aus Weizen enthalte etwa sieben Prozent, Vollkornbrot aus Roggen circa neun Prozent Ballaststoffe – beide Brotsorten gelten damit offiziell als ballaststoffreich, was grundsätzlich bei einem Anteil ab sechs Prozent der Fall ist.

Mythos 7: Je dicker die Kruste, desto besser die Brotqualität

Das liegt im Auge des Betrachters beziehungsweise am Gaumen des Genießers. So erwarten die meisten beispielsweise von einem guten Baguette eine zarte, knusprige Kruste, während sie bei einem zünftigen Bauernbrot dicker sein sollte. „Grundsätzlich ist es wichtig, dass Brot und auch Brötchen gut ausgebacken sind“, so Zentgraf. In der Kruste sei der Wasseranteil deutlich niedriger als in der Krume, dem inneren Brotlaib – eine gute Vorbeugung gegen schnellen Schimmelbefall.

Mythos 8: Je dunkler das Brot, desto besser die Brotqualität

Stimmt nur bedingt. Beim Begriff „dunkel“ muss man zwei Dinge unterscheiden: Geht’s um die Kruste oder die Krume? Die Krustenfarbe ist, wie gesagt, eher Geschmackssache – solange das Brotäußere nicht verbrannt ist. Was den Nährwert des Brotinneren betrifft, weiß Zentgraf: „Brote und Brötchen aus Vollkorn oder aus dunkleren Mehlen mit einem hohen Anteil an Getreidekorn-Randschichten haben mehr Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe. Weizenmehl und helleres Brot beinhalten zwar weniger von diesen Nährstoffen, dafür aber mehr pflanzliches Eiweiß.“ Der GMF-Geschäftsführer empfiehlt deshalb, die ganze in Deutschland verfügbare Brotvielfalt zu nutzen.

Und wie steht’s um die Haltbarkeit? „Knusprige, überwiegend weizenhaltige Sorten sind kürzer haltbar – man sollte sie deshalb öfter frisch einkaufen. Die eher roggenhaltigen Sorten eignen sich besonders gut für längere Aufbewahrungszeiten im Haushalt, auch mal übers Wochenende oder über Feiertage.“ Nach Zentgraf gilt folgende Faustregel: Die Frischhaltedauer steigt

  • je höher der Roggenanteil ist,
  • je höher der Anteil von Schrot oder Vollkorn ist,
  • wenn das Brot mit Sauerteig gebacken wird.

Es gibt noch weitere Zutaten oder Rezepturen, die die Brotkrume optisch dunkler wirken lassen. Beispielsweise Malzmehle, die die Teigbildung optimieren und dem Brot eine ganz leicht süßliche Geschmacksnuance geben. Aber auch die Ofentemperatur oder das Backverfahren selbst können zu einer dunkleren Krume führen – etwa beim Rheinischen Schwarzbrot und beim Pumpernickel.

Mythos 9: Vollkornbrot, das aus groben Körnern besteht, ist gesünder als Vollkornbrot aus fein gemahlenem Mehl

Laut Zentgraf bleibt der Nährstoffgehalt identisch, denn es wird bei der Herstellung von feinerem Vollkornbrot nichts abgesiebt. Doch: „Bei Vollkornbrot aus fein gemahlenem Mehl ist die Bioverfügbarkeit von verschiedenen Vitaminen und Mineralstoffen besser. Das heißt, diese sind dann für die Verdauungssekrete leichter zugänglich und können über den Verdauungstrakt leichter vom Körper aufgenommen werden.“

Übrigens: Nach den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs müssen bei einem echten Vollkornbrot mindestens 90 Prozent der Getreidezutaten aus Vollkornerzeugnissen bestehen. Also Obacht vor optischen Täuschungen: Leinsamen, Kürbiskerne & Co. gelten beim Vollkornbrot nicht als Körner. Und auch wenn beispielsweise von Drei- oder Sechskornbroten die Rede ist, werden für die Körnerzahl nur die Getreidearten gezählt.

Mythos 10: Brot vom Discounter ist schlechter als das aus der Bäckerei oder selbstgebackenes

Das ist ebenfalls Geschmackssache, die von den Zutaten, der Rezeptur und den individuellen Backkünsten des jeweiligen Herstellers abhängen. „Ernährungsphysiologisch macht es keinen Unterschied, wo ein Brot gebacken wird. Wie in allen Berufen kommt es auch beim Backen darauf an, wie gut man sein Handwerk versteht“, so Zentgraf. Ob’s mehr oder weniger gut schmecke, müsse der Kunde entscheiden.

Das gelte auch für das Selberbacken: Dem, der regelmäßig sein Brot zu Hause herstellen möchte, empfiehlt der Experte einen Backofen mit einer sogenannten Schwadenfunktion: „Solche Haushaltsöfen sind zwar teurer, aber in diesen kann wie in einem professionellen Backbetrieb Wasserdampf auf das Brot geleitet werden – gut für die Krustenbildung.“

Übrigens, wer gerne mal selber backen möchte, findet in dem Buch „Mein Brot. Einfach. Gut.“ zwei Dutzend verblüffend einfache Rezepte und viel Wissenswertes rund um Getreide, Mehl und Brot. Und das Beste: Das Buch von Professor Friedrich Longin und der Fachautorin Charlotte Grill gibt’s kostenlos zum Download von der Website der Universität Hohenheim: weizen.uni-hohenheim.de/backbuch

Jan-Hendrik Kurze
Leitender Redakteur aktiv-online

Jan-Hendrik Kurze ist der leitende Redakteur Online bei aktiv. Studiert hat er Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Erste Erfahrungen mit Wirtschaftsthemen sammelte er im Berliner Stadtmarketing. In verschiedenen Kommunikationsbereichen – unter anderem bei ARD Digital, SAT.1 und beim Axel-Springer-Verlag – entdeckte er sein Faible für digitale Medien. Auf privaten Reisen hat er meist nur Augen für eine andere große Liebe: La Bella Italia. 

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