Depressionen sind eine schwere Erkrankung. Sie kostet Lebensjahre. Betroffene fallen lange aus. Psychische Erkrankungen – darunter sehr oft Depressionen – sind zudem heute der Hauptgrund für Erwerbsminderungen. Ehe es so weit kommt, kann man einiges tun.
Entscheidend ist die Veranlagung
Der entscheidende Erkrankungsfaktor ist die Veranlagung zu einer Depression. „Die häufigste falsche Vorstellung von Depressionen ist, dass sie in erster Linie eine Reaktion auf negative Lebensumstände sei“, stellt Ulrich Hegerl klar. Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suiziprävention und Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main
„Ohne eine Veranlagung zu Depressionen erkranken Menschen trotz der widrigsten Bitternisse nicht an Depressionen”, erklärt Hegerl. „Die Veranlagung für eine Depression kann erworben sein, zum Beispiel durch eine Missbrauchserfahrung oder andere Traumata in der Kindheit. Oder sie kann vererbt sein – die Hälfte der Erkrankten hat auch erkrankte Angehörige.“ Da die Menschen sich die Veranlagung nicht ausgesucht haben, gibt es keinen Grund, sie als Zeichen persönlichen Versagens zu sehen.
Auslöser und wie man sie vermeidet, wenn möglich
Indes: Äußere Faktoren oder das eigene Verhalten können eine depressive Episode (Erkrankungsphase) triggern (auslösen) und beeinflussen. Hier setzen Prävention und Psychotherapie an.
Die Auslöser sind vielfältig. Einige Beispiele sind:
- Verluste,
- Veränderung des Schlaf-Wach-Rhythmus, zum Beispiel im Urlaub,
- dauernde Überlastung.
Als Schutzfaktoren und Empfehlungen nennt Hegerl:
- Stimmigkeit im Leben herstellen, das heißt: eine Balance zwischen dem, was man tut, soll, möchte und kann.
- Sich bewegen: Körperliche Aktivität und Sport heben die Stimmung und stabilisieren.
- Bettzeiten regulieren: Längere Schlaf- und Bettzeiten können Depressionen verschlechtern. Betroffene sollten lernen, wie bei ihnen Schlaf und Bettzeit mit der Stimmung am Morgen zusammenhängen, und es dann gegebenenfalls vermeiden, früher ins Bett zu gehen und länger liegen zu bleiben – auch nicht im Urlaub.
- Relaxen: Ein ausgewogenes Verhältnis von Anspannung und Entspannung ist wichtig.
- Soziale Kontakte aufbauen und halten: Verbundenheit stärkt.
Der Job ist meist nicht der Auslöser
Gut zu wissen: Depressiv Erkrankte empfinden auch einfache Tätigkeiten in Job und Alltag als Überforderung, zum Beispiel das Teamgespräch oder Einkäufe. Diese tief sitzende Erschöpfung ist nicht Auslöser, sondern Folge der Depression.
Zwar können Überforderung und toxische Arbeitsplatzbedingungen bei Menschen mit einer Veranlagung zu Depression eine Krankheitsphase auslösen. Doch meist ist nach Expertenansicht die Berufstätigkeit eher förderlich für psychische Gesundheit. Denn eine Arbeitsstelle bedeutet Aufgaben, Einkommen, ein Miteinander und eine Tagesstruktur.
Psychisch stärker werden: Trainingssache!
Es gibt viele Wege, ein ausgewogenes Verhältnis von Stress und Erholung zu erzielen und damit Trigger zu mindern. Die Krankenkassen und andere Einrichtungen bieten dazu Kurse an. Denn psychisch stärker zu werden, das kann man lernen.
Zum Beispiel Überlastung schneller zu erkennen und gegenzusteuern. Oder bewusst zu entspannen, statt nach einem vollen Arbeitstag zu dösen oder zu scrollen.
Was die Kurse betrifft: Nicht jedem sagen Gruppenveranstaltungen oder feste Termine zu. Daher gibt es viele Angebote auch online. Dazu zählen:
- Kurse in Stressmanagement: Grenzen ziehen, Alltag entstressen, negative Emotionen bewältigen, Energiequellen anzapfen.
- Kurse in Entspannung: Ob Meditation, Muskelentspannung, Yoga oder autogenes Training – diese Methoden sind bewährt.
- Kurse in Resilienz: Sie stärken die psychische Widerstandskraft gegen Krisen. Resilienzfaktoren sind zum Beispiel Akzeptanz, Positivität, Zutrauen in die eigene Lösungskompetenz und ein soziales Netzwerk.
- Apps: Apps für verschiedene Altersgruppen funktionieren zum Beispiel wie ein digitales Tagebuch – mit Übungen und Tipps für Situationen, in denen der Alltag in Schieflage gerät. Die Apps sind praxisnah und individuell.
Oder man geht seinen eigenen Weg: Auftanken kann man auch beim Wandern oder bei einer Motorradtour mit Freunden.

Auf erste Symptome achten
Depressionen sind gut behandelbar. Darum sollten Betroffene schon bei Frühzeichen ärztlichen Rat einholen, zum Beispiel in der Hausarztpraxis, betont Experte Hegerl. Erste Symptome sind unter anderem:
- rundum düstere Stimmung,
- Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle,
- Konzentrationsstörungen,
- Erschöpfung,
- Appetit- und Schlafstörungen,
- das Gefühl der inneren Leere sowie
- Tagesschwankungen, meist mit Tiefpunkten am Morgen und leichter Verbesserung am Abend.
Die Abwärtsspirale aufhalten
Zwar ersetzt nichts die professionelle Pharmako- und/oder Psychotherapie. Dennoch können ein paar eigene Schritte die gefährliche Spirale nach unten bremsen:
- Mit wohltuenden Menschen in Kontakt bleiben.
- Bewegung an der frischen Luft: Sport wirkt nachweislich stimmungsaufhellend. In vielen Städten gibt es Lauftreffs, organisiert von ehrenamtlichen Gruppen. Sie finden sie über die Deutsche Depressionshilfe oder über das Selbsthilfeportal NAKOS.
- Auch wenn es sich anders anfühlt: Wer erkrankt ist, ist nicht allein. Und Therapien helfen. Darüber informiert der Podcast „Raus aus der Depression“ mit Professor Ulrich Hegerl und dem bekannten TV-Moderator Harald Schmidt. Prominente wie Bundesligist Timo Hildebrand, Radsportprofi Jan Ullrich oder Comedian Hazel Brugger berichten, was bei ihnen gewirkt hat.
- Wartezeit nutzen: Bis man einen Facharzttermin oder eine Therapie beim psychologischen Psychotherapeuten bekommt, können Monate vergehen. Das ist zu lang. Krankenkassen und die Deutsche Depressionshilfe bieten darum digitale Tools an. Wer sie nutzt, tut dies mit ärztlicher Begleitung. Beispielsweise das Programm ifightdepression ist kostenfrei und in vielen Sprachen erhältlich. Dazu gehören Deutsch, Russisch, Arabisch, Ukrainisch und demnächst auch Türkisch.
Es kann die Besten erwischen – auch Ihre Kollegin oder Ihren Kollegen
Wenn ein Teammitglied sich verändert oder zurückzieht, macht das die anderen manchmal unsicher. Unter Umständen erkennen sie den Kollegen oder die Kollegin kaum wieder. Was tun?
„Mit Empathie kann man nicht viel falsch machen“, sagt Heike Friedewald von der Deutschen Depressionshilfe. „Zum Beispiel mit der Frage, wie es jemandem geht und wie man unterstützen kann.“
Vermutet man eine Depression, gilt es, sich über die Erkrankung zu informieren, ehe man darüber spricht. Und dies sollte dann unter vier Augen geschehen.
Ein hilfreiches Gespräch in zwei Stufen
Ulrich Hegerl rät Führungskräften, die sich um ein Teammitglied sorgen, zweistufig vorzugehen:
- Der erste Teil des Gesprächs dient ausschließlich dazu, herauszufinden, ob die Veränderungen eine Reaktion auf bestimmte Belastungen sind. Dies könnte Mobbing am Arbeitsplatz oder ein Trauerfall in der Familie sei. Ist dies der Fall, sieht die Hilfe anders aus als bei einer psychischen Erkrankung.
- Erst im zweiten Teil geht es um Rat und Hilfe. Sagt das Bauchgefühl, dass professionelle Hilfe nötig ist? Dann sollte die Führungskraft wissen, an wen sich der oder die Erkrankte zwecks Diagnose und Behandlung wenden kann. Die drei Anlaufstellen sind Hausärzte, Fachärzte für Psychiatrie und psychologische Psychotherapeuten.
„Es gibt Schulungen mit Rollenspielen für solche Mitarbeitergespräche“, sagt Hegerl. „Denn oft werden sie aus Unsicherheit vermieden.“
Eine positive Unternehmenskultur ist viel wert
Ein Pluspunkt für Betroffene ist eine offene Unternehmenskultur. Auch Menschen, die depressive Episoden hinter sich haben, können Erkrankten auf dem Weg zurück ins Leben zur Seite stehen. „Schon die Botschaft ,Ich war genau an der Stelle, wo du jetzt bist´‚ ist hilfreich für die Genesung“, sagt Heike Friedewald.

Elke Bieber schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Geschichte, Politik und Publizistik in Mainz, Berlin und Washington, D.C. Nach einem Magazinvolontariat in Berlin zog es sie in die Unternehmenskommunikation, print und digital. Wenn sie nicht in die Tasten haut, tummelt sie sich auf Wanderpfaden oder in schönen Städten wie Berlin, Berlin oder Berlin.
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