Kalkar. Jetzt bloß nicht runtergucken! Schließlich zieht das Karussell „Vertical Swing“ im Wunderland Kalkar seine Besucher auf schwindelerregende 60 Meter Höhe. Oben, am Betonrand des Kühlturms angekommen, kann man dann den Ausblick über den nahen Rhein genießen.
Moment mal, Kühlturm? Genau. Die Attraktion des Freizeitparks am Niederrhein steht in einer ausgedienten Industrie-Anlage besonderer Art: dem Kernkraftwerksbau in Kalkar. Der gut 6 Milliarden Euro teure „Schnelle Brüter“ ging nie ans Netz, wurde dafür 1995 ein Freizeitpark – mit Hotelbetten im umgebauten Reaktorgebäude. Besucher pro Jahr: 300.000.
Solche Zeugen des industriellen Wandels gibt es viele: Ehemalige Werften an der Küste, geschlossene Kohlegruben in Bayern und dem Saarland, geflutete Tagebaulöcher im Osten – viele wurden zu neuem Leben erweckt. Wie im Ruhrgebiet. „Ein Kernkraftwerk haben wir nicht, dafür aber den Landschaftspark Nord in Duisburg oder den Gasometer in Oberhausen“, zählt Axel Biermann, Chef von Ruhrgebiet Tourismus in Oberhausen, zwei Beispiele auf.
Damit habe sich die Region, vor Jahren noch als Schmuddelecke der Nation verpönt, ein touristisches Alleinstellungsmerkmal geschaffen, so Biermann: „Paris hat den Eiffelturm, wir haben das Weltkulturerbe Zeche Zollverein.“ Das kommt an. Allein 2015 brachten Tagestouristen, die besonders gern aufpolierte Industriedenkmäler besuchen, 4,2 Milliarden Euro in die Region.
Sie treffen dort auf ein riesiges Angebot. Entlang der 400 Kilometer langen „Route der Industriekultur“ liegen ehemalige Hochöfen, Halden und Fördertürme, die heute Erlebnis- und Naherholungsparks sind. Insgesamt kommt so eine Fläche von gut 9.000 Fußballfeldern zusammen. Dort finden Open-Air-Konzerte und Ausstellungen statt, werden Wandertouren über renaturierte Abraumhalden organisiert oder vom Alpenverein Kletterevents an Backstein-Schloten und ehemaligen Vorratsbunkern veranstaltet. „Für uns ist das eine riesige Erfolgsgeschichte“, so Ruhrtoursimus-Chef Biermann.
Die findet auch andernorts Nachahmer. Beispiel: die Leipziger Seenplatte. Bis heute werden die dort durch den Braunkohletagebau ausgebaggerten Löcher geflutet. So entstand eine einzigartige Seenlandschaft, die bald größer sein wird als die Mecklenburgische Seenplatte – mit einer Marina, Rad- und Wanderwegen und einem Kanupark, in dem man auf einer künstlichen Wildwasserbahn raften kann.