Dreieich. Direkt nach dem Schulabschluss mit Ausbildung oder Studium beginnen? Viele junge Leute zögern da, nicht wenige sehnen sich nach einer besonderen Erfahrung: Ein fernes Land, eine fremde Kultur, eine neue Sprache monatelang kennenlernen, dabei Familienanschluss haben und sogar noch etwas Geld verdienen …
… das geht, als Au-pair. Also als Betreuer der Kinder einer ausländischen Familie. Viele junge Deutsche zieht es auf diesem Weg ins Ausland. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber die Agenturen verzeichnen steigenden Zulauf. Und Deutschland entsendet mehr Au-pairs, als es aufnimmt: „Wir sind weltweit gesehen Entsendeland Nummer eins“, erklärt Judith Liehr aus Dreieich (bei Frankfurt).
Sie ist erste Vorsitzende von Au-pair Society, dem Bundesverband der Au-pair-Agenturen, Au-pairs und Gastfamilien in Deutschland. Im Gespräch mit AKTIV gibt sie wichtige Tipps für junge Leute und potenzielle Gastfamilien.
Agentur einschalten – oder sich selbst vermitteln?
Au-pair Society setzt besondere Maßstäbe bei der Vermittlung. „Dazu zählen zum Beispiel die ständige Erreichbarkeit der Agentur und ein Ansprechpartner vor Ort für das Au-pair“, so Liehr. Auch solide Tipps und Informationen im Vorfeld gehören zum Service von seriösen Agenturen.
„Man kann sich auch auf eigene Faust einen Au-pair-Aufenthalt organisieren“, weiß die Expertin, „aber dieser sollte dann lieber nur im EU-Ausland sein – und man sollte die Familie, in die man geht, schon persönlich gut kennen.“ So werden rechtliche Probleme und andere böse Überraschungen vermieden. Denn nicht immer verläuft der Aufenthalt reibungslos. „Wir haben eine Notruf-Hotline für Au-pairs eingerichtet, die Probleme in ihren Gastländern oder mit ihrer Gastfamilie haben“, berichtet Liehr. „98 Prozent der Anrufe kommen von Au-pairs, die nicht über eine Agentur vermittelt wurden.“
Wer kommt für einen Au-pair-Einsatz infrage?
„Der interkulturelle Austausch steht im Vordergrund“, betont die Au-pair-Expertin weiter. „Daher sollten junge Leute offen und flexibel sein, echtes Interesse an Gastland und Sprache haben, aber auch an der Kinderbetreuung.“ Ein Sprachkurs ist meistens zentraler Bestandteil des Au-pair-Aufenthalts.
Für eine Bewerbung verlangen die meisten Agenturen unter anderem ein polizeiliches Führungszeugnis (mehr dazu bei aktiv), ein ärztliches Attest sowie den Nachweis über Erfahrungen im Bereich Kinderbetreuung.
Dann und wann mal auf die kleinen Geschwister aufgepasst zu haben – das reicht da aber nicht aus! „Als Nachweis kann ein Praktikum in einem Kindergarten dienen oder die ehrenamtliche Betreuung von Kindern in einem Sportverein“, so Liehr.
Die Agentur erstellt aus den Angaben ein Profil und sucht passende Gastfamilien. Au-pair und Gastgeber können sich via Mail, Telefon und Skype vorab austauschen und gucken, ob es passt. „Man muss nicht gleich bei der ersten Familie zusagen“, rät die Expertin. „Man muss einfach ein gutes Gefühl haben.“
Was sollte alles im Vertrag stehen?
Sind sich Au-pair und Gastfamilie sympathisch, wird über die Agentur ein Vertrag aufgesetzt. „Der ist wichtig! Jedes Au-pair sollte auf einem Vertrag bestehen.“
Darin werden die Arbeitszeiten und die Aufgaben fixiert (Mithilfe im Haushalt kann dazugehören, aber nicht regelmäßige Putz- und Aufräumtätigkeiten im ganzen Haus), aber auch die Freizeit-Vorgaben: mindestens ein bis zwei Tage pro Woche. Auch das Taschengeld und der Sprachkurs werden schriftlich festgehalten, außerdem der Jahresurlaub bei sehr langen Aufenthalten.
Generell sollte man mindestens ein halbes Jahr, besser noch ein volles Schuljahr von August bis Juni oder Juli Zeit haben: „Die meisten Gastfamilien gerade in beliebten Au-pair-Ländern wie Großbritannien oder den USA planen gerne so.“
Wie sieht es bei Visa und Versicherungen aus?
Was Au-pairs gerne mal vergessen: sich bei einem Aufenthalt jenseits der EU um das nötige Visum zu kümmern! In ein Land als Tourist einzureisen, obwohl man dort arbeiten will, kann zur Folge haben, dass man gleich wieder im Flieger zurück nach Deutschland sitzt. Agenturen helfen auch hier und geben Tipps, wie man ans richtige Visum kommt. Auch in Steuerfragen wissen die Experten Rat – denn in einigen Staaten sind Au-pairs steuerpflichtig.
Viele junge Menschen gehen davon aus, dass sie als Au-pair einfach weiterhin bei ihren Eltern mitversichert sind. Das reicht aber meist nicht aus! Am wichtigsten für den Auslandsaufenthalt ist erstens eine zusätzliche private Auslandsreise-Krankenversicherung (mehr dazu bei aktiv), die auch Langzeitaufenthalte abdeckt. Zweitens ist immer und überall die private Haftpflichtversicherung wichtig: Es muss also überprüft werden, ob sie auch bei längeren Auslandsaufenthalten greift oder ob eine neue Police nötig wird.
Was sollten potenzielle Gasteltern wissen?
Sie haben Kinder, die betreut werden müssen – und ein Zimmer frei? Das reicht alleine noch nicht aus: „Ein Au-pair ist eben nicht bloß eine günstige Arbeitskraft, sondern ein Familienzuwachs auf Zeit“, betont Liehr. „Man muss fähig sein, sich auf kulturelle Unterschiede einzulassen, man muss viel reden – und man muss bereit sein, dem Au-pair auch Land, Leute und Sprache näherzubringen.“ Deshalb sollte Deutsch auch erste Familiensprache sein.
Weitere Standards: Im Haushalt muss mindestens ein Kind unter 18 leben, das Zimmer des Au-pairs muss abschließbar und möbliert sein. Neben den Kosten für Unterkunft und Verpflegung müssen die Gasteltern das Taschengeld bezahlen (rund 250 Euro im Monat) sowie die Kosten für den Sprachkurs.
Außerdem wichtig: „Die Gasteltern bürgen für ihr neues Familienmitglied für die gesamte Dauer des Aufenthalts“, erklärt Anwalt Tobias Klingelhöfer vom Versicherungskonzern ARAG. „Obligatorisch ist die Versicherung des Au-pairs für den Fall der Krankheit, Schwangerschaft und Geburt sowie für den Fall eines Unfalls.“ Privathaftpflichtversicherungen schließen häufig alle im Haushalt lebenden Personen ein – dann gelten sie auch für Au-pairs. Das muss man aber checken!
Sozialversicherungsbeiträge fallen für die Betreuung nicht an: „In Deutschland gilt Au-pair-Tätigkeit als Betreuungsverhältnis besonderer Art und bleibt damit grundsätzlich sozialversicherungsfrei“, so der Experte.
Was tun, wenn es dann doch nicht passt?
Egal, ob als Au-pair oder als Gastfamilie: Wenn es Probleme gibt, sollte man diese auf keinen Fall totschweigen, bis die Situation unerträglich wird. Auch hier bietet eine Agenturvermittlung Vorteile, denn bei Problemen kann man sich an die Organisation vor Ort wenden, bei unüberbrückbaren Differenzen wird eine neue Gastfamilie beziehungsweise ein neues Au-pair gesucht. Die Notruf-Hotline des Bundesverbands Au-pair Society ist unter 0800-110287247 für Au-pairs kostenlos erreichbar (weitere Informationen: aupair-society.de).