„Milch macht müde Männer munter“ – so lautete in den 50er Jahren ein Werbeslogan der westdeutschen Milch-Industrie. Später folgte die Kampagne „Die Milch macht’s“. Doch was genau macht die weiße Flüssigkeit eigentlich alles? Professor Bernhard Watzl, Leiter des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max-Rubner-Institut in Karlsruhe, gibt Antworten.
Mythos 1: Milch ist gesund und senkt das Risiko von Diabetes
Stimmt zum großen Teil. „Verschiedene wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass das Risiko sowohl für Bluthochdruck als auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes bei einem höheren Milchverzehr leicht verringert ist“, sagt Professor Bernhard Watzl. Beispiel Blutdruck: Eine Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und fettarmer Milch kann den Blutdruck um bis zu 11 Prozent senken.
„Studien zeigen zudem“, so der Experte, „dass ein erhöhter Konsum von Milch und Milchprodukten mit einem leicht verringerten Risiko für Dickdarmkrebs einhergeht.“ Aber: Prostatakrebs tritt häufiger auf, wenn Milch in großen Mengen getrunken wird, ab täglich 1,2 Liter. Allerdings ist eine solche Menge Milch pro Tag auch aus ernährungsphysiologischer Sicht nicht sinnvoll. Milch eignet sich eben nicht als Getränk wie Wasser oder Tee.
Mythos 2: Milch ist für jeden Menschen gut
Stimmt nicht. „Denn manche Menschen vertragen Kuhmilch nicht. Dafür gibt es zwei Ursachen: die Kuhmilchallergie und die Laktoseunverträglichkeit“, so Watzl. Bei der Allergie handelt es sich um eine Reaktion des Immunsystems auf das Milcheiweiß. Sie tritt in der Regel nur im Kleinkindalter auf und verliert sich bis zum Grundschulalter. In diesem Fall müssen Milchprodukte konsequent gemieden werden. Wer dies nicht tut, riskiert Asthma-Anfälle, Hautekzeme und schwere Koliken.
Anders verhält es sich bei einer Laktoseunverträglichkeit. Um Laktose zu verarbeiten, braucht der Körper ein Enzym, das den Milchzucker spaltet: die Laktase. Der menschliche Körper war lange Zeit darauf programmiert gewesen, die Herstellung dieses Enzyms spätestens im dritten Lebensjahr einzustellen. Denn dann sei ein Kind normalerweise entwöhnt. „Doch manche Menschen haben im Lauf der Evolution durch genetische Anpassungen die Fähigkeit entwickelt, Milchzucker auch im Erwachsenenalter abzubauen“, erklärt der Wissenschaftler.
Das gilt aber nicht für alle Menschen. Watzl: „In Deutschland haben 15 Prozent der Bevölkerung eine Laktoseintoleranz. Überall dort, wo Milchwirtschaft traditionell keine große Rolle gespielt hat – in Südostasien und Teilen Afrikas – haben deutlich mehr Menschen Probleme mit Laktose.“ Sie leiden nach Milchgenuss unter Blähungen, Durchfall und Magenschmerzen. Diese Personen können auf laktosefreie oder -arme Milchprodukte zurückgreifen oder Tabletten einnehmen, die bei der Spaltung des Milchzuckers helfen.
Mythos 3: Milch ist gut für die Knochen, das liegt am wichtigen Inhaltsstoff Kalzium
Stimmt. Milch hat einen hohen Kalziumgehalt. Unser Körper baut Kalzium in Knochen und Zähne ein. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DEG) empfiehlt deshalb, täglich 1.000 Milligramm Kalzium zu sich zu nehmen – zum Beispiel durch ein Glas Milch plus ein Becher Joghurt plus zwei Scheiben Käse.
„Wer in der Kindheit Milch trinkt, tut außerdem etwas für seine Knochenstabilität im Erwachsenenalter“, so Watzl. Milchverzehr stimuliert auch das Längenwachstum. Dafür können das hochwertige Protein der Milch in seiner Gesamtheit, einzelne Aminosäuren, Peptide, Mineralstoffe oder eine Kombination mehrerer Faktoren verantwortlich sein.
Mythos 4: Milch trinken macht dick
Stimmt nicht. Watzl: „Es gibt kein Nahrungsmittel, das automatisch dick macht. Es kommt immer darauf an, in welcher Menge jemand es konsumiert und in welcher Kombination.“ Allerdings ist Vollmilch mit 3,5 Gramm Fett und 64 Kalorien pro 100 Milliliter tatsächlich nicht gerade ein leichter Happen. Der Kaloriengehalt entspricht in etwa dem von Saft oder Wein, und ein halber Liter Vollmilch liefert so viele Kalorien wie eine Zwischenmahlzeit – mit vielen Proteinen.
Studien zeigen, dass die verzehrten Milchproteine im Vergleich zu anderen Proteinen besonders effektiv für den Aufbau von Muskelmasse genutzt werden.
Mythos 5: Kuhmilch ist lichtempfindlich
Stimmt. „Die meisten der in Milch enthaltenen Vitamine sind lichtempfindlich“, berichtet der Experte: „Besonders trifft dies für Vitamin B2 zu.“ Neben den Nährstoffen kann auch der Geschmack unter Lichteinfluss leiden. Dann entwickelt sich ein schwefeliges, leicht fauliges Aroma, das zwar nicht gesundheitsschädlich ist, aber als unangenehm empfunden wird. Weißglas-Flaschen sind daher nicht so gut geeignet, um Milch aufzubewahren. Besser sind dunkle Glasflaschen oder Getränkekartons.
Mythos 6: Milch wird heute nur pasteurisiert verkauft
Stimmt nicht. Im Supermarkt wird zwar tatsächlich nur erhitzte Milch verkauft. Auch Frischmilch ist pasteurisiert – das heißt: Sie wurde auf 72 Grad erhitzt. „Bei der Pasteurisierung sind die Vitaminverluste und Geschmackseinbußen allerdings minimal“, so der Professor. Diese Milch muss unbedingt gekühlt werden.
H-Milch (haltbare Milch) wird einige Sekunden auf mindestens 135 Grad Celsius erhitzt (heißt dann „ultrahocherhitzt“) und hält so ungekühlt mehrere Monate. Ist sie geöffnet, gehört sie allerdings in den Kühlschrank und hält auch dort dann nur noch ungefähr fünf Tage. Bei diesem Verfahren gehen bis zu 20 Prozent der Vitamine verloren.
Aber auch heute gibt es noch Rohmilch zu kaufen, zum Beispiel direkt beim Bio-Bauern. Es gibt sie auch als (nur leicht gefilterte) Vorzugsmilch in Reformhäusern. Sie muss innerhalb von 24 Stunden verkauft werden. Geschmack und Qualität hängen vom Futter der Kühe ab.
Mythos 7: Biomilch ist gehaltvoller als konventionelle
Stimmt. „Fressen Kühe Gras – was für die biologische Haltung vorgeschrieben ist – enthält die Milch bis zu 50 Prozent mehr Omega-3-Fettsäuren als bei konventioneller Fütterung“, sagt Watzl. „Diese Fettsäuren sind besonders gesund für Herz- und Blutgefäße.“ Und weil die meisten Menschen täglich Milch trinken, hat Biomilch langfristig Vorteile. Allerdings ist die Menge der Omega-3-Fettsäuren niedriger als zum Beispiel in Lachs.