Schweinfurt. Irgendwann kommt immer wieder mal der Zeitpunkt, an dem die Tränen des Kollegen fließen. Wolfgang Heinze (56) hat diesen Moment in seinem Büro schon häufiger erlebt. Ein Schicksalsschlag, belastende Wochen, eine aufwühlende Zeit – und nun sitzt ihm ein Mensch gegenüber, der sich öffnet, ihm sein Herz ausschüttet.

„Klar – ich bin auch ein Kummerkasten“, sagt Heinze, der Vertrauensmann für Schwerbehinderte beim Wälzlagerhersteller SKF ist und zudem seit 25 Jahren ihr (gesetzlich vorgeschriebener) Vertreter am Standort Schweinfurt. „Für alle Fragen rund ums Thema Behinderung bin ich erste Anlaufstelle für Betroffene“, erklärt er.

Vor seinem Schreibtisch sitzen dann Leute mit üblen Rückenschäden. Oder Menschen nach kräftezehrender Krebsbehandlung. Viele haben einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt hinter sich. Sie alle wollen vor allem zwei Dinge wissen: Wo und wie kann ich weiter für SKF arbeiten? Und geht das überhaupt?!

Heinze kümmert sich innerhalb und außerhalb der Firma um die Interessen seiner Klientel – dazu ist er gewählt und von sonstiger Arbeit freigestellt. Bei Behörden, vor allem dem Inklusionsamt und der Arbeitsagentur, holt er Informationen ein, beantragt Ausweise und organisiert finanzielle Zuschüsse, zum Beispiel für Arbeitshilfen.

Im Unternehmen redet er mit Vorgesetzten darüber, wie Behinderung und Arbeit eventuell doch gut miteinander zu vereinbaren sind – und welche Voraussetzungen dafür nötig wären. Geht das gar nicht, lotet er aus, ob es im Unternehmen eine andere Verwendung für den Betroffenen gibt.

„Man darf nicht zu sehr Anteil an einzelnen Schicksalen nehmen“

Wie kam er zu diesem Job? „Ich bin damals ins kalte Wasser geworfen worden“, sagt Heinze über die Anfänge. Er musste zunächst vor allem lernen, über Probleme anderer nicht auch noch daheim zu grübeln: „Man darf nicht zu sehr Anteil an einzelnen Schicksalen nehmen.“

Dabei fällt ihm gerade das besonders schwer. Denn Heinze ist selber von einer Behinderung betroffen und weiß, wie diese das Leben beeinflusst. Als er Maurerlehrling war, trat seine Krankheit erstmals auf, er musste seinen Job aufgeben. Danach fing er bei SKF als Schleifer an und wechselte später in die Verwaltung.

Damit Schwerbehinderte in der Firma bleiben können, brauchen sie einfache Tätigkeiten

Die Arbeit für Schwerbehinderte hat ihn verändert. „Man lebt sein Leben bewusster und weiß, was wirklich wichtig ist.“ Materielles etwa habe für ihn an Bedeutung verloren. Stattdessen gebe es ihm viel, Menschen zu helfen. Für fünf Gehörlose am Standort konnte er zum Beispiel einen Dolmetscher-Service organisieren: Bei Bedarf, etwa bei wichtigen Besprechungen, schaltet sich jemand per Tablet zu.

Hilfreich, so Heinze, sind Aufgaben im Betrieb, für deren Erledigung Mitarbeiter nach einer schweren Erkrankung in der Firma bleiben können. Bei SKF gibt es unter anderem eine Abteilung, in der Bauteile je nach Kundenwunsch verpackt werden. Hier können es Mitarbeiter erst mal langsamer angehen lassen, um im Beruf wieder Tritt zu fassen.

Ein wichtiges Signal der Firma an alle Mitarbeiter

Auch deshalb ist die Quote von Schwerbehinderten bei SKF in Schweinfurt mit knapp 10 Prozent fast doppelt so hoch wie gesetzlich vorgeschrieben. „Das ist nicht nur irgendwie gute PR, sondern ein wichtiges Signal an die Mitarbeiter“, betont Heinze. Alle wüssten, dass ihre Firma sie auch nach Unfall oder Krankheit nicht im Stich lässt.

Leider gibt es auch Fälle, bei denen es nur noch darum geht, einen früheren Renteneintritt zu organisieren. Auch dann ist für Heinze ganz wichtig: „Ich möchte in den Spiegel schauen können und dabei sagen, dass ich alle Alternativen versucht habe.“

Persönlich

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf? 

Mein Vorgänger hat mich für das Amt vorgeschlagen – auch, weil ich selbst behindert bin. Ich habe mir dann zugetraut, etwas zubewegen.

Was reizt Sie am meisten?

Ich habe Kontakt zu vielen Menschen und kann ihnen helfen. Wenn ich etwas erreiche, bekomme ich schnell ein Feedback.

Worauf kommt es an?

Man braucht eine sehr großePortion Einfühlungsvermögen. Der Mensch gegenüber mussimmer im Mittelpunkt stehen!

Michael Stark
aktiv-Redakteur

Michael Stark schreibt aus der Münchner aktiv-Redaktion vor allem über Betriebe und Themen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Darüber hinaus beschäftigt sich der Volkswirt immer wieder mit wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Das journalistische Handwerk lernte der gebürtige Hesse als Volontär bei der Mediengruppe Münchner Merkur/tz. An Wochenenden trifft man den Wahl-Landshuter regelmäßig im Eisstadion.

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