Berlin. Tief unter der Erde Brandenburgs liegen sie: 67.000 Tonnen Kohlendioxid. Fünf Jahre lang presste man das Klimagas bei Ketzin in 630 Meter Tiefe. 2013 war Schluss. Bürgerproteste, Politikerwiderstand und ein restriktives Kohlendioxid-Speicherungsgesetz setzten der Technik ein Ende.

Jetzt ist das Thema wieder heiß. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, damals prominenter Gegner des Speicherns, macht sich heute für das Wegpacken von Klimagas stark: „Lieber CO2 in die Erde als in die Atmosphäre.“

Der Grund für den Sinneswandel: Bis 2045 will die Regierung Deutschland klimaneutral machen, sagt Klimaschutzexperte Jens Burchardt von der Beraterfirma Boston Consulting Group (BCG): „Das Ziel, netto kein Klimagas mehr auszustoßen, werden wir ohne CO2-Speicherung nicht erreichen!“

CO2 im Boden wegspeichern ist für manche Branchen die Lösung

Denn es gibt ein Problem: Manche Branchen wie etwa die Zement- und Kalk-Industrie können Teile ihrer CO2-Emissionen nicht vermeiden. Dort werden zwei Drittel des Kohlendioxids durch das Brennen aus dem Rohmaterial freigesetzt. Auch bei Müllverbrennung und Glashütten gibt es prozessbedingte Emissionen.

„In diesen Fällen ist das Wegspeichern des CO2 die Alternative“, erklärt Burchardt. Das Klimagas würde dazu in Waschanlagen aus den Abgasen der Fabrik abgetrennt, verflüssigt und dann irgendwo tief in die Erde gepresst. Der englische Fachbegriff dafür heißt „Carbon Capture and Storage“, kurz: CCS.

Auch die Landwirtschaft lässt sich so klimaneutral machen. Für das stark klimaschädliche Methangas aus Rindermägen zum Beispiel würde man eine gleich schädliche Menge CO2 verpressen, die man etwa aus der Luft filtert oder aus der Verbrennung von Holz und Biomasse abtrennt. 

„Die Speicherkapazitäten reichen für Jahrzehnte!“

Laut Studien lassen sich hierzulande 30 bis 55 Millionen Tonnen Klimagas pro Jahr nicht vermeiden. Die könnte man in erschöpften Erdgasfeldern in Norddeutschland speichern oder unter der Nordsee. Dort bietet zwei Kilometer unter dem Meeresboden Buntsandstein viel Platz, berichtet Professor Klaus Wallmann vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „Die Kapazitäten reichen für Jahrzehnte!“ Die geologische Bundesanstalt schätzt die Aufnahmefähigkeit auf 4 bis 10 Milliarden Tonnen Klimagas. In der gesamten Nordsee kalkulieren Experten sie auf gewaltige 150 Milliarden Tonnen.

Die größten Speicher liegen vor der Küste Norwegens. Schon seit 1996 packt der Equinor-Konzern unter der Gasförderanlage Sleipner CO2 weg. Dort und unter der Anlage Snohvit pumpt man jährlich 1,7 Millionen Tonnen in die Tiefe. Jetzt will Norwegen das zum Geschäft machen. Ähnliche Projekte gibt es in Island, Großbritannien oder den Niederlanden.

Umweltschützer protestieren gegen solche „CO2-Endlager“. Wie sicher sind sie? Bei dem Speicherversuch in Brandenburg gab es bisher keine Undichtigkeiten. Die Risiken am Meeresboden erforscht seit 15 Jahren Professor Wallmann. Auch er sagt: „Bei den norwegischen Anlagen haben wir keine Leckagen entdeckt.“

Die Speichertechnik braucht eine Anschubfinanzierung

Ganz ausschließen könne man Lecks jedoch nicht. Im Umkreis alter Bohrlöcher trete schon mal Gas aus, wenige Tonnen im Jahr. „Käme es zu ähnlichen CO2-Leckagen, wäre der Schaden gering, wie Tests zeigten“, sagt Wallmann. „Das ist verantwortbar.“ Zumal die Nordsee pro Jahr ohnehin 35 Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre aufnehme.

Was kostet die Entsorgung? „Im Jahr 2030, bei etablierter Infrastruktur, rechnen wir für die meisten Branchen mit 70 bis 100 Euro pro Tonne CO2“, sagt BCG-Experte Burchardt. Das wäre dann wohl preiswerter, als für den Ausstoß des Gases zu zahlen. Hintergrund ist, dass Unternehmen für den Ausstoß von Klimagas Verschmutzungsrechte benötigen. 2022 kosteten diese Zertifikate im Schnitt bereits 80 Euro je Tonne und der Preis dürfte weiter steigen.

Aber: Für die Firmen, die die CO2-Speicherung als Erste nutzen, werde es anfangs sehr teuer, zumindest bis Pipelines, Kesselwagen, Terminals und Tankschiffe gebaut und finanziert sind. „In dieser Phase wird öffentliche Anschubunterstützung nötig sein.“ Viel Arbeit für Minister Habeck.

Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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