Erinnern Sie sich noch an das „Turboloch“? Das war der kurze Moment des Gasgebens, bei dem von Vorwärtsdrang nix zu spüren war, ehe das Fahrzeug dann richtig beschleunigte. Heute ist das längst Geschichte – auch dank intelligenter Entwicklungen wie dem Universellen Turbo Aktuator (UTA) der Hella Fahrzeugkomponenten (HFK).

Fast alle modernen Verbrennungsmotoren – speziell Hybride – sind mit einem Turbolader ausgerüstet. Er sorgt für höhere Motorleistungen bei niedrigerem Verbrauch und gleichzeitig geringeren Emissionen. Daher werden die Aggregate inzwischen auch in weniger leistungsstarken Autos eingesetzt.

Ursprünglich war Litauen im Gespräch

Noch effizienter arbeiten sie mit dem Modul UTA, das vom international tätigen Automobilzulieferer Hella entwickelt und produziert wird. Die dritte Generation des unscheinbaren, aber äußerst wirkungsvollen Geräts läuft gerade in Bremen vom Band.

„Ursprünglich sollte das Produkt in Litauen hergestellt werden“, berichtet HFK-Geschäftsführer Michael Winkler, „doch dann kam 2019 die Anfrage, ob wir das Modul nicht zu günstigeren Bedingungen als im Baltikum produzieren können.“ Die Bremer nahmen die Herausforderung an, auch aufgrund der hohen Kompetenz in den Bereichen Sensoren, Aktoren und Kunststoffspritzguss.

Kleiner, robuster, leistungsfähiger

Ein 15-köpfiges Projektteam wurde gebildet, das sich um den Aufbau der Fertigungslinie kümmerte. Zum Team aus Ingenieuren und Technikern gehören Qualitätsingenieur Timo Vogt, Fertigungsplaner André Köhnsen und der Prozess-Spezialist Markus Krause, der erläutert, was UTA kann. „Das Modul sitzt direkt am Turbolader und steuert die Stellung der Turbolader-Schaufeln. Mithilfe des integrierten Positionssensors lässt sich der Winkel der Leitschaufeln im Turbolader immer optimal einstellen.“ Mit anderen Worten: Das Gerät verbessert die Leistungsfähigkeit des Turboladers und sorgt auch bei niedrigen Drehzahlen für eine kraftvolle Beschleunigung.

Hella Fahrzeugkomponenten setzte auf Fertigung in Deutschland statt auf Outsourcing

Die Anforderungen an die dritte Generation des Moduls waren ambitioniert. „Sie ist kleiner, robuster, leistungsfähiger und langlebiger als ihre Vorgängermodelle“, sagt André Köhnsen. Rund 250 Gramm leicht und nur etwa zwei Zigarettenschachteln groß, passt das Gerät in die beengten Motorraumverhältnisse nahezu jedes Fahrzeugs.

Zahlreiche Produktions- und Prüfschritte

Das Gehäuse des UTA ist aus Kunststoff, sein Inneres besteht aus rund zwei Dutzend Einzelteilen wie Dichtungen, Wellen, Zahnrädern, einer Halbleiterplatine, Sensoren und Steckverbindungen.

Alle Teile müssen exakt positioniert und miteinander verbunden werden. „Dazu sind zahlreiche Produktions- und Prüfschritte nötig, die insgesamt eine voll automatisierte Fertigungslinie ergeben“, erklärt Qualitätsingenieur Vogt.

Ein Jahr Planung für die neue Anlage

Gemeinsam mit drei Zulieferern designten und planten die Bremer Ingenieure über einen Zeitraum von rund zwölf Monaten die Produktionslinie, angefangen bei der Kunststoffspritzanlage bis zur Übergabe- und Prüfstation am Ende der Maschine. Die Corona-Pandemie erschwerte die Arbeiten erheblich, denn gemeinsame Teamsitzungen oder eine Abnahme von Anlagenteilen vor Ort waren unmöglich. So wurde die Endabnahme per Videoübertragung organisiert und durchgeführt.

Das in mehreren Jahrzehnten in Bremen erworbene Wissen für Kunststoffspritzguss, Sensorik und Aktorik half bei der Gestaltung der Produktionsstrecke enorm. So fertigt HFK bereits seit über 20 Jahren Bauteile in Hybridspritzgusstechnik. Dabei wird in einem Prozessschritt eine Verbindung zwischen dem Kunststoff, in diesem Fall Polyamid, und dem Metall hergestellt. Diese Art der Verbindung ersetzt das herkömmliche Fügen oder Einkleben von Metallkomponenten in das Kunststoffgehäuse.

Weniger Abfall, mehr Effizienz

„Wir gießen gewissermaßen das Gehäuse um das Innenleben herum“, sagt Markus Krause. Damit spart sich HFK weitere Verarbeitungsschritte, minimiert Abfall und optimiert den Energieeinsatz. „Die tonnenschweren Spritzgusswerkzeuge können wir zudem selbst warten und instand setzen, weil wir über eine eigene Werkstatt verfügen. Das macht uns flexibler und auch im Reparaturfall unabhängig von Zulieferern und Werkstätten außerhalb des Betriebs“, erklärt der Ingenieur.

Nach dem Spritzgussvorgang nimmt das Modul dann an rund zwei Dutzend Stationen Gestalt an. Jeder Produktionsschritt wird aufwendig überprüft – zum Beispiel mit Sensoren, Kameras und 3-D-Scanner. Jede noch so kleine Abweichung sowie auch jeder einzelne Produktionsschritt werden aufgenommen und dokumentiert.

So ist Produktion auch am Standort D möglich

Für die neue Produktionslinie wurde im Werk eine Fläche von rund 40 mal 12 Metern hergerichtet. Der Boden wurde saniert, Beleuchtungen wurden angebracht und neue Leitungen verlegt. 2021 erfolgte dann der erste Probelauf.

Ein geschulter Mitarbeiter kann die Linie allein bedienen und führen. In diesem Fall ist das Dennis Schattschneider. Er ist Fachkraft für Technik und kennt die Fertigungslinie aus dem Effeff: „Ich starte jeden Morgen die Produktion, überwache und kontrolliere die einzelnen Prozessschritte und sorge für den Teilenachschub an den einzelnen Produktionsstationen.“ Im Idealfall beschränke sich seine Aufgabe auf Überwachung, Kontrolle und das Auffüllen des Materials.

Bis zu 2,4 Millionen Module pro Jahr

Schattschneider ist für das Wechseln der Spritzgusswerkzeuge verantwortlich, führt diese Aufgabe durch, sucht Fehler und behebt sie. „Insgesamt läuft die Produktion schon sehr rund“, erzählt der gelernte Mechatroniker. Alle neun Sekunden entsteht ein UTA, pro Jahr kann die Anlage bis zu 2,4 Millionen Module herstellen.

„Dank der extrem hohen Fertigungstiefe und Automation sowie unseres exzellenten Know-hows in den Bereichen Kunststoffspritzguss, Sensorik und Aktorik konnten wir den Produktionsauftrag für dieses anspruchsvolle Modul nach Bremen holen“, freut sich HFK-Chef Winkler. Er hebt besonders das Engagement der Techniker und Ingenieure des Standorts hervor, die die Herausforderungen angenommen und gezeigt hätten, dass auch unter den Rahmenbedingungen eines Hochlohnstandorts Produktion in Deutschland zu wettbewerbsfähigen Konditionen weiterhin möglich sei.

„Die Mobilität der Zukunft ist elektrisch“

Nicht zuletzt deshalb ist ihm um die Zukunft des Werks nicht bange. Ähnlich sehen es seine Managerkollegen Uwe Knipper, verantwortlich für den Elektronik-Vertrieb für VW, und Marco Döbrich, Segment-Leiter Sensoren.

„Die Mobilität der Zukunft ist elektrisch, autonom und vernetzt“, sagt beispielsweise Knipper. „Dafür sind wir gut gerüstet.“ Und Döbrich ergänzt: „Hellas Know-how in den Bereichen Fahrerassistenz, Sensorik und Energiemanagement ist im Markt bekannt, und die Produkte sind gefragt.“

Gute Chancen im neuen FORVIA-Konzern

Seit Anfang 2022 ist das Bremer Unternehmen Teil des Zusammenschlusses zwischen Faurecia und Hella. Der französische Zulieferer hat rund 80 Prozent der Hella-Aktien übernommen. Es entsteht mit 150.000 Mitarbeitenden und einem jährlichen Umsatz von weit über 20 Milliarden Euro der siebtgrößte Autozulieferer der Welt mit dem Namen FORVIA.

Faurecia ist vor allem in den Sparten Sitze, Innenausstattung und Clean Mobility aktiv. Hella bringt Expertise in den Bereichen Elektronik, Sensorik sowie Aktuatorik ein.

HFK-Geschäftsführer Winkler sieht der Zusammenarbeit optimistisch entgegen. „Wir sind dank unserer engagierten Beschäftigten in der Lage, aus unserer Technologieführerschaft nun auch eine Marktführerschaft zu machen. Wir wollen auch künftig innovative Produkte wie den UTA auf den Markt bringen und damit unseren Standort im Wettbewerb dauerhaft stärken.“

Lothar Steckel
Autor

Als Geschäftsführer einer Bremer Kommunikationsagentur weiß Lothar Steckel, was Nordlichter bewegt. So berichtet er für aktiv seit mehr als drei Jahrzehnten vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie, Logistik- und Hafenwirtschaft, aber auch über Kultur- und Freizeitthemen in den fünf norddeutschen Bundesländern.

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