Regensburg. Der Neurowissenschaftler und Psychiater Professor Volker Busch von der Uniklinik Regensburg erforscht das menschliche Gehirn – und weiß so ziemlich alles, was da in unseren Köpfen vor sich geht. aktiv hat ihn gefragt, warum wir uns mit Veränderungen im Leben eigentlich so schwertun.

Herr Professor Busch, von der Arbeitswelt bis zum Klima – alles scheint sich derzeit zu wandeln. Wann ist für einen Menschen das Maß voll?

Das ist wie immer im Leben: Die Dosis macht das Gift. Wenn sich zu viele Dinge auf einmal verändern, haben wir schnell das Gefühl, dass es uns den Boden wegzieht.

Wie steuert man dagegen?

Wir Menschen kommen am besten zurecht, wenn wir eine gewisse Balance halten können. Wenn sich viel verändert, wenn wir uns verändern müssen, dann braucht man umgekehrt auch Anker, die einen halten.

Was taugt denn als Anker?

Familie, Freunde, ein Ehrenamt. Der Mensch ist nie nur „Change“, er ist auch „Keep“! Gerade derzeit sieht man häufig Zeichen einer Bewahrungskultur.

Wo denn?

In der Rückbesinnung auf regionale Lebensmittel oder Nachbarschaftshilfe zum Beispiel. Das gibt Orientierung und Stabilität.

Trotzdem tut sich der Mensch mit Neuem oft schwer. Warum?

Weil es anstrengend ist. Wenn wir Gewohnheiten bilden, Dinge automatisieren, kostet uns das weniger Glukose und Sauerstoff. Gewohnheiten sind energieeffizient.

Der Mensch als Gewohnheitstier …

Genau. Handlungsrituale wie Schuhe binden oder Schalten beim Autofahren sind motorische Abläufe, die unser Gehirn in tiefe Hirnregionen auslagert. Da entstehen regelrechte Trampelpfade im Gehirn. Umgekehrt: Wenn wir etwas Neues lernen, verarbeiten wir das hochkortikal, ganz oben in der äußersten Schale des Gehirns. Da wird aber viel Zucker verbrannt, bis zu 20 Prozent der Tageskalorien.

Was tut unserem Hirn denn gut?

Neue Dinge, Überraschungen besonders, sind die größte Stimulation für unser Gehirn. Dann pumpt das Hirn belohnendes Dopamin. Neue Synapsen bilden sich. Studien zufolge entstehen sogar neue Nervenzellen. Das passiert aber eben nicht, wenn wir jeden Tag in grauer Routine vor uns hinleben.

Kann man das trainieren?

Absolut. Ich empfehle gern kleine Gegenteilstage. An einem Tag mal was ganz anders machen als sonst. Etwas Anspruchsvolles kochen. Sich mit einem neuen Wissensgebiet beschäftigen. Fremde Menschen kennenlernen.

Klingt ziemlich banal …

Das darf es auch sein! Aber dennoch stimulieren solche Dinge unser Gehirn auf eine besondere Weise. Wer kleine Revolutionen gegen sich selbst wagt, Mikroveränderungen im Alltag zulässt, der tut sich auch mit größeren Umwälzungen im Leben leichter.

Ist unser Hirn wankelmütig? Gemütlichkeit hier, Dopamin dort?

Energiesparende Gewohnheiten haben ihren Sinn und ihren Platz im Leben. Trotzdem belohnt unser Gehirn auch die persönliche Weiterentwicklung, das Nach-vorne-Streben.

Oft wird auch nur von Veränderung geredet …

Ja, der Zustand der sogenannten Zielbetäubung. Man hat sich was vorgenommen, musste aber noch nicht anfangen. Das ist einer der glückseligsten Zustände im Gehirn. Bei Diätwilligen ist das schön zu beobachten. Oder wenn der Chef zu Jahresbeginn erzählt, was man jetzt alles Tolles in der Firma ändern wird. Bloß: Veränderung beginnt nicht durch die Planung, sondern erst mit der Bewegung.

Das ist dann der schmerzhafte erste Schritt?

Ja, die Umsetzung ist eben anstrengend, da hört die Belohnung erst mal auf. So ist das mit uns Menschen. Wir schätzen den Fortschritt! Den Weg dahin eher weniger.

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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