Dortmund/München. „Atemschutzmasken?“ Da zuckt die junge Apothekerin in der City einer deutschen Großstadt bedauernd mit den Schultern. „Alles weg, schon am Vormittag waren wir wieder ausverkauft.“ Zwar sei die alteingesessene Apotheke erst am Vortag beliefert worden. „Aber wir haben nur einen Bruchteil der Bestellung erhalten.“ Nun denke man daran, die Abgabemenge pro Kunden zu begrenzen.

Mangelware Mundschutz – wer hätte das jemals für möglich gehalten. Egal ob bei Krankenhäusern, Pflegeheimen, Apotheken oder Otto Normalverbrauchern, in diesem so surreal wirkenden Corona-Krisenfrühling stehen Atemmasken aller Arten ganz oben auf den Einkaufszetteln. Folge: Mancherorts sind sie nur schwer zu bekommen. Und der Nachschub aus Fernost, wo das Gros der Masken gefertigt wird, stockt.

Wir können tolle Maschinen – aber keine simplen Masken?

Schon wird Kritik laut: War das wirklich eine gute Idee mit der Globalisierung? Wenn sie dazu führt, dass Deutschland zwar die Welt beglücken kann mit hochkomplexen Anlagen, Maschinen, Autos, Chemieprodukten. Aber die Versorgung mit OP-Masken, einem vergleichsweise simplen Produkt aus Kunststoffvlies mit Gummibändchen, in Krisenzeiten so gar nicht klappt? Die Kritik mag für manche überzeugend klingen – aber trifft sie den Kern?

Erst mal muss man feststellen: Mit dem Problem mangelnden Masken-Nachschubs kämpft Deutschland nicht allein. Rund um den Globus rangeln Länder um die begehrten Lieferungen. Die Corona-Pandemie hat den unscheinbaren Mundschutz zur heiß begehrten Ware gemacht. Angesichts Millionen Erkrankter ist der Bedarf an Atemschutzmasken nun mal rund um die Welt enorm in die Höhe geschnellt.

Zwölf Milliarden Masken für Deutschland

Es erklärt sich fast von selbst, dass das noch eine Weile so bleiben wird. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bezifferte den zukünftigen Bedarf an Masken für Deutschland auf zwölf Milliarden Stück – pro Jahr! Angesichts solcher Dimensionen könnte einem schon mulmig werden. Nur: Muss es das? Geradezu beruhigend nüchtern klingt Thomas Bredehorn, Experte für Krankenhauslieferketten beim Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund, wenn er erklärt, was da eigentlich passiert ist auf dem weltweiten Maskenmarkt.

Nämlich nicht viel mehr als das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. „Als erstes Land wurde bekanntlich China von der Corona-Epidemie getroffen“, sagt er, „und zwar ausgerechnet Wuhan, wo viele Betriebe sitzen, die Medizinprodukte für den Weltmarkt herstellen.“ Mit Folgen für die Maskenproduktion. Schon vor der Pandemie stellte die Volksrepublik weltweit die Hälfte aller Masken her. Das Land verfügt über eine vollständige Lieferkette für deren Herstellung, in der 90 Prozent der Rohstoffe vor Ort bezogen werden. Auch US-Hersteller wie etwa 3M produzieren das Gros ihrer Masken deshalb in China.

Lager vielerorts leer

Folge der Viruswelle: „Die Nachfrage explodierte, gleichzeitig aber sank die Produktionsmenge, weil manche Werke in China schlicht nicht mehr arbeiten konnten“, erklärt Bredehorn. Weil Peking anfänglich sogar einen Ausfuhrstopp für Masken verhängte, geriet die gesamte globale Lieferkette aus dem Takt. „In der Folge konnte auch in Deutschland die Nachfrage nicht mehr wie gewohnt befriedigt werden.“ In manchen Krankenhäusern sei die Versorgung mit Masken anfänglich dabei durchaus gefährdet gewesen, so der Fraunhofer-Experte. „Die hatten zwar noch Masken, drohten aber, in einen kritischen Zustand reinzulaufen.“

Hohe weltweite Nachfrage, verknapptes Angebot, da ahnt man schon, was passiert: Der Preis steigt. Und zwar saftig. Besonders bei den begehrten FFP2-Masken. Die haben einen Filter und schützen den Träger wirksam vor Viren. Für sie muss man mittlerweile 10 Euro und mehr hinlegen. Vor der Coronakrise kosteten sie weniger als 50 Cent. Das ist eine Preissteigerung um mehr als das 20-Fache.

Eine deutsche Mundschutz- Produktion hätte in normalen Zeiten kaum eine Chance

Tja, ätzen da Kritiker, selber schuld, was verlässt man sich auch auf Lieferketten, die bis nach Asien reichen? Dabei sichert weltweite Arbeitsteilung ja den Wohlstand hierzulande (siehe Interview auf dieser Seite). Konkret: Das benötigte Material wird dort bestellt, wo es in geforderter Qualität am günstigsten zu haben ist. Im Fall der Masken heißt das: im asiatischen Markt, vor allem China! „In normalen Zeiten, bei normaler Nachfrage hat das ja auch gut funktioniert“, so Bredehorn.

Problem: Gerade ist nichts normal, gerade ist Corona. Also Rolle rückwärts, Aufbau einer Maskenproduktion in Deutschland? „Würde man versuchen, hierzulande eigene Produktionen aufzubauen, dann bekäme man Probleme, wenn die Nachfrage eines Tages abebben sollte. Die aufgrund der höheren Lohnkosten deutlich teurere Ware ließe sich dann kaum absetzen“, so der Experte. Vielleicht seien dann „Maßnahmen durch die politische Hand sinnvoll.“

Industrie rüstet um

Also müsste in diesem speziellen Fall der Staat unterstützen. Danach sieht es derzeit sogar aus. So verlautete unlängst aus dem Bundeswirtschaftsministerium, man wolle „neben der kurzfristigen Versorgung mit Schutzausrüstung auch eine Säule der Eigenfertigung in Deutschland und Europa aufbauen, um Abhängigkeiten in diesem sensiblen Bereich zu verringern.“

Genau dabei hilft die heimische Industrie. Um den akuten Bedarf bestmöglich zu decken, stellen landauf, landab Betriebe ihre Produktion um. Zum Beispiel der Autozulieferer Zettl. Beheimatet im niederbayerischen Weng, Landkreis Landshut. Normalerweise entwickelt und produziert das Unternehmen Produkte für den Automobilinnenraum. Jetzt hat der Traditionsbetrieb ein weiteres Produkt im Portfolio: Atemschutzmasken.

Mit dem nötigen Material für eine Million Masken wird Zettl vom Vlies-Hersteller Sandler aus dem oberfränkischen Schwarzenbach an der Saale beliefert. „Die Masken werden an Kliniken, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen verteilt”, so eine Sprecherin des bayerischen Wirtschaftsministeriums, das den Auftrag zur Produktion erteilt hat.

Engagement der Industrie hilft auch Krankenhäusern

Fraunhofer-Experte Thomas Bredehorn hält die Bemühungen der Industrie für hilfreich, um die aktuellen Engpässe vor allem beim einfachen Mundschutz überwinden zu können. „In der S-Bahn oder beim Einkaufen machen diese Masken wahrscheinlich Sinn“, sagt er. Dort gehe es schließlich weniger um Sterilität, sondern um das Abfangen von Tröpfchen. „Wenn es an dieser Stelle mehr Angebot gibt, hilft es, höherwertige medizinische Ware dort verfügbar zu machen, wo sie derzeit so dringend gebraucht wird – in den Gesundheitseinrichtungen.“

So lösen arbeitsteilig aufgestellte Unternehmen mit der Flexibilität und Expertise, mit der sie seit Jahr und Tag im internationalen Wettbewerb bestehen, ein akutes Problem.