Köln. Das hier wird wohl jeden freuen: In Deutschland sind die aktuellen Corona-Fallzahlen erfreulich niedrig. Doch schon bei der Frage nach dem Warum fängt der heikle Dissens an.
Mehrheitsmeinung: Wir haben das Virus ganz gut im Griff, weil die Politik so entschieden gegengesteuert hat – und wir alle das geduldig mitgetragen haben. Andere sehen das alles ganz anders: Sie treibt die Wut auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie immer wieder auf die Straße.
Es ist paradox: Je erfolgreicher eine Maßnahme ist, je mehr sie ihr Ziel erreicht, desto eher muss man sich dafür rechtfertigen.
Wobei – auch Experten und Wissenschaftler waren zuletzt ja oft uneins. Maske ja oder nein, Kinder sind ein Infektionsrisiko oder keins – wir alle haben mitbekommen, wie die Standpunkte da auseinandergingen.
Streit über den richtigen Umgang mit dem Virus
Ist das schlimm? Nein! Der Dissens an sich ist ja nichts Negatives. In der Wissenschaft nicht, und in einer Demokratie schon gar nicht. Die lebt ja vom Grundrecht darauf, politische Entscheidungen kritisch zu hinterfragen. Besonders dann, wenn so viele von deren Folgen betroffen sind. Wie beim Corona-Lockdown. Unternehmen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken müssen. Firmen, die plötzlich am Abgrund stehen. Familien, die nicht mehr wissen, wie sie den Alltag bewältigen sollen.
Doch der Streit über den richtigen Umgang mit dem Virus fördert in diesen Zeiten eben auch Risse in unserer Gesellschaft zutage. Jeder fünfte Wahlberechtigte in Deutschland meint, Politik und Medien übertrieben die Gefährlichkeit des Corona-Virus ganz bewusst. Um die Öffentlichkeit zu täuschen. Das ergab eine aktuelle Umfrage der Meinungsforscher von Infratest dimap.
Am Ende bleiben nur Gegner übrig – und kein Diskurs
Zu welch steilen Thesen das mitunter führt, kann man derzeit immer wieder auf den sogenannten Hygiene-Demos sehen. Dass die gerade in unsicheren Zeiten scheinbar erlösende Aussicht, komplexen Problemstellungen mit hübsch einfachen Antworten begegnen zu können, vielfach auf fruchtbaren Boden fällt, ist vielleicht noch verständlich.
Wahrhaft bedenklich aber ist, wenn die relative gesellschaftliche Breite des Protests von den extremen Rändern des Meinungsspektrums gekapert wird. Dann nämlich ist der Diskurs schnell am Ende. Weil es keine Diskutanten mehr gibt, sondern nur noch Gegner. Zu beobachten ist das Phänomen verhärteter Fronten oft. Klimaleugner bekämpfen Klimaretter. Europagegner die EU-Anhänger. Befeuert wird der Zank von gänzlich ungeprüften „News“ aus den sozialen Netzwerken. Und dann treibt der Zorn die Menschen auf die Straße. Der Zorn auf etwas, was sie meist „das System“ nennen.
Fakten und Argumente? Dringen dann oft nicht mehr durch. Dabei tut es doch immer gut, mal innerlich abzukühlen, auch in der hitzigsten Debatte. Sich zu fragen: Worüber streiten oder reden wir hier eigentlich? Wer hat wann was behauptet? aktiv macht das jetzt. Am Beispiel dreier Thesen der Corona-Protestierer, denen wir auf den Grund gehen. Wir haben nachgeschaut, was dran ist an der These, dass Funkwellen von Handymasten Corona übertragen. Wollten wissen, warum Bill Gates in den Augen so vieler kein Wohltäter, sondern ein Feindbild ist. Und den erbitterten Zank um die Rolle von Wissenschaftlern wie dem Berliner Virologen Christian Drosten in der Corona-Krise haben wir auch mal durchleuchtet.
Verschwörungstheorie 1: 5G überträgt Corona
Die Theorie, der neue Mobilfunkstandard 5G verbreite gezielt das Corona-Virus, tauchte im Januar zum ersten Mal in sozialen Netzwerken auf. Entsprechende Videos wurden bereits millionenfach angesehen. Schon zuvor wurde die Technik kritisch beäugt. Seine Strahlung ermögliche den Netzbetreibern eine Gedankenkontrolle, so eine Theorie. Auch für das Artensterben oder Krebserkrankungen bei Menschen wurde 5G bereits verantwortlich gemacht.
Im Iran gibt es keine 5G-Masten – Corona-Infizierte dagegen schon
Wissenschaftlich lässt sich keine der Theorien erhärten. Bei der Strahlung von Mobilfunkmasten handelt es sich um Mikrowellen, auf denen Viren nicht „mitreisen“ können. Wissenschaftler führen zudem an, dass sich Corona bekanntlich auch in Ländern wie dem Iran stark verbreitet habe. Dort aber gibt es keine 5G-Sendemasten.
Eine Krebsgefahr durch Mobilfunk hat bislang durch keine wissenschaftliche Studie eindeutig bewiesen werden können. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat demnach festgestellt, dass „nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind“. Voraussetzung: Die Grenzwerte werden eingehalten. Darüber wiederum wachen sowohl internationale als auch nationale Experten-Kommissionen.
Viele Frequenzen sind schon seit Jahren im Einsatz
Überhaupt ist Strahlung nicht gleich Strahlung. Röntgenstrahlen oder UV-Licht etwa haben so viel Energie, dass sie bei Zellen zu Mutationen führen können. Man nennt das „ionisierende Strahlung“. Mobilfunkwellen indes liegen genau wie Rundfunkwellen oder das elektromagnetische Feld einer Kaffeemaschine im nicht ionisierenden Bereich des elektromagnetischen Spektrums.
Zudem: Der 5G-Standard mag neu sein. Die dafür verwendeten Frequenzen sind es dagegen nicht. Die meisten nämlich waren bereits bei vorherigen Standards im Einsatz. Neu sind tatsächlich die sogenannten Millimeterwellen über 24 Gigahertz. Aber nur im Mobilfunk: In zahlreichen Assistenzsystemen in Autos dagegen messen Millimeterwellen seit Jahren beispielsweise den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug.
Verschwörungstheorie 2: Forscher dienen bloß der Politik
Diskussionen und Konflikte darüber, was bestimmte Forschungsergebnisse denn nun tatsächlich bedeuten, sind unverzichtbar für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Nur, dass sie normalerweise nicht unter den Augen der Öffentlichkeit ablaufen – die sich davon auch noch schnellstmöglich die Lösung eines akuten Problems verspricht.
Das Verfahren, in dem sich Wissenschaftler vorläufige Forschungsergebnisse gegenseitig zeigen, auf Fehler hinweisen und dadurch schlauer werden, heißt „Peer Review“. Es dauert meistens viele Monate. In der Corona-Krise mit allen ihren Unsicherheiten freilich reden plötzlich alle mit – Gesellschaft, Medien, Politik.
Neue Einsichten – neue Schlussfolgerungen
Um sich mal ein wenig in die Lage der Wissenschaftler hineinzuversetzen, muss man nur mal zurückdenken an die Zeit seit dem Lockdown im März. Es geht uns doch allen so: Unser Verständnis von der Krankheit und ihren Auswirkungen auf unser Leben hat sich ständig weiterentwickelt. Aufgrund dieser neuen Einsichten ziehen wir andere Schlussfolgerungen für unser Handeln als davor.
Korrekturen gehören zur Demokratie
Diese Entwicklung wird sich fortsetzen – mit immer neuen Irrtümern und Einsichten. Die renommierte amerikanische Wissenschaftsphilosophin Sandra Mitchell hat das mal so formuliert: „Wir können nicht so tun, als seien wir sicher, wenn es nicht so ist – und wir können nicht beharrlich Sicherheit fordern, wo man sie nicht finden wird.“
Das gilt auch in der Politik. Wissenschaftler vieler Disziplinen werden angehört – ob Virologen, Ökonomen oder Pädagogen. Die Regierungen von Bund und Ländern wägen dann ab und treffen Entscheidungen – die wiederum nicht allen Menschen gefallen. Dass darüber öffentlich gestritten wird, ist in Ordnung. Ebenso, dass Entscheidungen korrigiert werden. So geht halt Demokratie.
Verschwörungstheorie 3: Bill Gates will die Weltherrschaft
Was viele der Demonstranten Gates vorwerfen, geht auf einen Auftritt im März 2015 zurück. Im kanadischen Vancouver warnte Gates vor einer neuen Bedrohung für die Menschheit durch Pandemien. Hinter ihm auf der Bühne wurde ein millionenfach vergrößertes Virus an die Wand projiziert. In dieser Darstellung vor fünf Jahren glauben heutzutage manche den Corona-Keim zu erkennen. Beweise? Fehlanzeige. Vielmehr wird Gates hier sein Weitblick zum Verhängnis – der freilich auf wissenschaftlichen Studien gründete.
Der Kampf gegen Krankheiten gehört zu den zentralen Themen der Bill- und Melinda-Gates-Stiftung. 50 Milliarden Dollar aus ihrem Privatvermögen haben der Gründer des Microsoft-Konzerns und seine Frau Melinda Gates da reingesteckt. Projekte in rund 130 Ländern der Welt werden so finanziert.
Markierung auf der Haut als Impfpass in Schwellenländern
Um die Entwicklung von Impfstoffen voranzutreiben, etwa gegen Aids oder Malaria, arbeitet die Stiftung auch mit der Pharma-Industrie zusammen. Zudem unterstützt sie die Forschung an „Quantum Dot Tattoos“. In Schwellenländern mit schwachem Gesundheitssystem könnten diese Markierungen auf der Haut als Impfpässe dienen – mithilfe von Infrarotlicht. Sie aus der Ferne via Tracking auszulesen, wie es manche befürchten, ist technisch gar nicht möglich.
Mikrochips wiederum spielen in einem ganz anderen Projekt der Gates-Stiftung eine Rolle. Frauen unter die Haut gepflanzt, so das Ziel, könnten sie vor Schwangerschaften schützen. Per Fernbedienung soll sich die Zufuhr von Wirkstoffen ein- und ausschalten lassen. Eine Technik, von der auf Dauer auch chronisch Kranke profitieren könnten.
Weltgesundheitsorganisation ist auf Spenden angewiesen
Das größte Engagement der Stiftung jedoch gilt dem Kampf gegen Kinderlähmung, also Polio. Hier unterstützt sie die Weltgesundheitsorganisation WHO. Etwa 10 Prozent des WHO-Budgets kamen zuletzt von der Gates-Stiftung. Die Pflichtbeiträge der Mitgliedsstaaten reichen für deren Arbeit bei Weitem nicht. Sie ist auf viele reiche Spender angewiesen.
Bill Gates selbst ist „zutiefst irritiert“ von den Anfeindungen, wie er kürzlich der „Süddeutschen Zeitung“ sagte. Covid-19 sei doch schon tödlich genug: „Wir brauchen nicht obendrein eine Ausbreitung von Fehlinformationen, um es noch schlimmer zu machen.“