Oberkochen/Stuttgart.In der Industrie sind schon lange nicht mehr nur reine Fachkenntnisse gefragt. Neben Mathe und Physik legen Ausbilder und Chefs auch immer größeren Wert auf Soft Skills, also Fähigkeiten, die mit der Persönlichkeit zu tun haben. Eine Analyse der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass durch die anhaltenden Krisen Eigenschaften wie Besonnenheit, Einfühlungsvermögen und eine positive Grundhaltung deutlich wichtiger geworden sind. Angeführt werden die Top Ten der Soft Skills allerdings nach wie vor von Klassikern wie Einsatzbereitschaft, Teamfähigkeit oder Selbstständigkeit, gefolgt von Verlässlichkeit und Kommunikationsfähigkeit. Und gerade in der Industrie werden auch Einfallsreichtum und Ideenfindung großgeschrieben.

In der Ausbildung können persönliche Fähigkeiten gezielt vermittelt werden

Die Beispiele des Feinoptik-Spezialisten Zeiss und des Herstellers von Motorsägen und -geräten Stihl zeigen, wie diese Skills in der Ausbildung vermittelt werden können – sei es durch soziales Engagement außerhalb der Firma oder durch Projekte im Betrieb.

Video: So trainieren Zeiss-Azubi innovatives Denken und Problemlösung

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Zeiss-Azubis brüten neue Ideen aus

Das Team um Yannick Peitl (links) hat ein Messgerät entwickelt. Das war ihr Projekt im sogenannten „Makeathon“. In diesem Wettbewerb haben verschiedene Azubi-Teams eine Woche lang miteinander gewetteifert: in Sachen Einfallsreichtum, Problemlösung, Kooperation – aber auch in der der praktischen Umsetzung von Ideen. Am Ende musste ein Prototyp auf dem Tisch stehen.

Der Prototyp sieht aus wie von Daniel Düsentrieb – aber er funktioniert! Mit diesem Apparat können die technischen Azubis im Ausbildungsbereich in Oberkochen künftig das Kühlwasser der Maschinen prüfen. „Bisher stehen wir an jeder Maschine rund zehn Minuten mit dem Refraktometer, um unter anderem den pH-Wert zu messen. Unser Gerät macht das automatisch, und wir müssen nur noch ablesen“, berichtet Peitl (19) stolz.

Vivian Nill (18) bestellt online ihr Frühstück bei der Kantine. Dafür hat sie mit ihrem Makeathon-Team eigens ein Bestellsystem programmiert. „Früher mussten immer ein paar von uns bei rund 200 Azubis die Wünsche fürs Frühstück abfragen. Das ist jetzt zum Glück nicht mehr nötig“, freut sich Nill. Wie Peitl lernt sie Zerspanungsmechanik im zweiten Lehrjahr.

Ausbilder Johannes Legner setzt auf Design Thinking. „Für die Makeathon-Woche haben wir die Azubis in dieser Methode geschult. Sie fördert Kreativität und innovatives Denken“, erzählt Legner. Zuerst mussten die Azubis ein reales Problem ermitteln, das sie in ihrem Arbeitsalltag nervt. Und dann gemeinsam eine Lösung erarbeiten und das Projekt bis zum Schluss durchziehen – auch wenn das Ergebnis noch nicht ganz perfekt war. „Der Wettweberbscharkater des Makeathon hat unsere Azubis erst recht angespornt, sich ins Zeug zu legen“, sagt er zufrieden.

Design Thinking: Kreativ an Probleme herangehen

Diese Methode erleichtert die Entwicklung von Innovationen. Das Besondere daran: Man überlegt nicht, welches neue Produkt am Ende herauskommen könnte, sondern geht von einem Problem aus, das für eine bestimmte Zielgruppe gelöst werden soll. Die Herangehensweise umfasst die folgenden fünf Schritte:

  • Problem definieren
  • Bedarf verstehen
  • Idee finden
  • Prototyp entwickeln
  • Testen

Stihl-Nachwuchs hilft Bedürftigen

Sina Hasani (17), angehender Industriemechaniker, teilt heute Essen an Bedürftige aus. Nanu, ist das etwa Teil der Ausbildung? Ja! Das ist ein Projekt, das der Motorsägen-Spezialist Stihl aus Waiblingen für seine Azubis im ersten Lehrjahr anbietet. Fast alle machen mit. aktiv schaut Hasani über die Schulter. Er erzählt: „Ich wollte unbedingt dabei sein. Es interessiert mich einfach, was hier gemacht wird und wie viele Menschen herkommen. Denn ich bin aus einem Dorf, da gibt’s so was wie die Vesperkirche nicht.“

Die Kirche in Stuttgart ist voller Menschen. Sie suchen sich einen Sitzplatz im Warmen. Die „Vesperkirche“ findet regelmäßig bis in den März in der Leonhardskirche statt, neben Essen gibt’s hier auch medizinische Versorgung, Haarschnitte, Fußpflege und vieles mehr. Dafür sorgen rund 800 ehrenamtliche Helfer. Viele von ihnen kommen von Unternehmen wie Stihl! Etwa 30 Helfergruppen werden regelmäßig von Firmen geschickt.

Das Team von Stihl packt Pakete mit Essen. Denn hier gibt’s nicht nur warmes Mittagessen, sondern auch Pakete zum Mitnehmen. Vorher haben die Azubis und alle anderen Ehrenamtler eine Einführung bekommen. Sie haben etwa erfahren, wo es einen Kehrbesen gibt, wenn mal was runterfällt. Und: dass sie sich gerne zu den Gästen setzen dürfen. Natürlich ist auch Zeit zum Plaudern. „Ich bin Azubi bei Stihl“, erzählt Hasani einer Helferin, die neben ihm arbeitet.

Warum macht Stihl eigentlich mit? Ausbildungsleiterin Dr. Ivesa Buchholz sagt: „Es ist uns eine Herzensangelegenheit, nicht nur Fachkenntnisse zu vermitteln, sondern auch soziale Kompetenzen und vieles mehr. Wir vermitteln zum Beispiel auch Lernmethoden und fördern die Persönlichkeitsentwicklung. Eine Ausbildung ist viel mehr als nur ein Abschluss!“ Stihl bildet derzeit insgesamt 170 junge Leute in sechs Ausbildungsberufen und neun dualen Studiengängen aus.

Empathie wird im Job wichtiger

Einfühlungsvermögen, Verständnis und Sensibilität für andere: Das alles ist Empathie. Und diese Schlüsselkompetenz wird im Berufsleben immer wichtiger. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte: „Die Jobs der Zukunft“. Sie analysiert die Trends in der Berufswelt bis 2035.Empathie wird im Job wichtiger

Warum das so ist? Eigentlich ganz einfach: Vieles kann automatisiert werden! Nicht aber die Interaktion zwischen Menschen.

Unternehmen müssten sich daher zunehmend als soziale Organisationen begreifen, die ihre Kultur bewusst gestalten und Werte fördern, heißt es in der Studie.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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