Stuttgart. Keine Region der Welt hat eine so enge Verbindung zum Auto wie Baden-Württemberg. Hier wurde es erfunden. Und hier entstehen wichtige Meilensteine der Technik, die Straßen immer mehr zu einem sicheren Pflaster machen.
Mercedes-Benz aus Stuttgart war zum Beispiel 1978 der weltweit erste Autohersteller, der ein Antiblockiersystem (ABS) serienmäßig einbaute. Und ein Schwieberdinger Bosch-Ingenieur war es, der Anfang der 1990er Jahre den Schleuderschutz ESP entwickelte: Dieser rettete laut Bosch-Unfallforschung europaweit nach seiner Markteinführung in 20 Jahren etwa 6.000 Menschenleben! Heute kommen aus Baden-Württemberg Autos, die selbst eine Notbremsung einleiten oder den Crash schon abmildern, bevor er eintritt. Die Branche steckt im Südwesten jährlich mehr als 9 Milliarden Euro in neue Entwicklungen, das Thema Sicherheit steht ganz oben.
Heute gibt es in Deutschland pro Jahr etwa 8000 Verkehrstote weniger als Anfang der 1990er Jahre
Das spiegelt sich auch in der Unfallstatistik wieder: 1970 kamen auf Deutschlands Straßen noch 21.332 Menschen ums Leben, 1991 waren es etwa die Hälfte – zuletzt lag die Zahl der Opfer bei rund 3.200. Zum Vergleich: In den Haushalten sterben pro Jahr durch Unfälle fast 10.000 Bundesbürger.
Und die Entwicklung in Sachen Sicherheit geht weiter. Die Branche hat eine Zukunftsvision: dass es eines Tages eine Welt mit null Verkehrsunfällen gibt.
Neue Airbags und Gurte denken voraus
Die Mercedes S-Klasse war 1981 das erste deutsche Serienfahrzeug mit Airbag. Heute sind die Luftkissen nicht mehr wegzudenken – und es kommen immer wieder neue dazu, die für noch mehr Sicherheit sorgen. So hat der Autozulieferer ZF Friedrichshafen jüngst ein Modell vorgestellt, das sich schon vor dem Crash entfaltet. Und zwar an der Außenseite des Autos. Das schafft für den Aufprall eine zusätzliche Knautschzone.
Tests des Unternehmens haben ergeben, dass damit die Verletzungsschwere der Autoinsassen um bis zu 40 Prozent vermindert werden kann.
Auch beim Anschnallgurt gibt’s Neues. Der „aktive Gurtstraffer“, ebenfalls von ZF, erfährt von Assistenz- und Sicherheitssystemen, wenn eine Situation brenzlig ist. Und zieht schon vor einem möglichen Aufprall den Gurt straffer, damit den Insassen weniger passiert. Übrigens wird der Gurt häufig unterschätzt. Wenn alle Autoinsassen in Deutschland korrekt angeschnallt wären, gäbe es pro Jahr rund 200 Verkehrstote weniger, das ergab eine Auswertung der Unfallforschung der Versicherer.
Dennoch ist durch die Gurtpflicht die Zahl der Unfallopfer rapide gesunken. Seit 1974 müssen alle Neuwagen mit Sicherheitsgurten ausgestattet sein. In den folgenden zehn Jahren ist die Zahl der Verkehrstoten hierzulande um rund 7.000 gesunken.
Auch für ältere Autos interessant: Der Unfallmeldestecker
Natürlich kann sich nicht jeder einen Neuwagen voller Sicherheitstechnik leisten. Deshalb gibt’s vom Technologiekonzern Bosch mit Hauptsitz in Stuttgart für ein paar Euro einen „Unfallmeldestecker“, der zusammen mit einer Smartphone-App auch ältere Autos sicherer macht.
Hintergrund: Schon seit 2018 müssen neue Autos mit dem europäischen Notrufsystem „eCall“ ausgerüstet sein, das automatisch Unfälle erkennt und Hilfe ruft. Aber eben nur die Neuwagen! Mit dem Unfallmeldestecker lassen sich auch ältere Modelle nachrüsten.
Man steckt das Mini-Teil, das man bei Kfz-Versicherungen bekommt, einfach in den Zigarettenanzünder. Bei einem Crash erkennt es über Sensoren, wie schlimm der Unfall ist. Der Stecker alarmiert automatisch die Notrufzentrale – und ortet den Unfall auch gleich über GPS.
Das kann hilfreich sein, wenn man bewusstlos fernab des großen Verkehrs im Auto liegt. Oder wenn man zwar selbst den Notruf wählen kann, aber nicht genau weiß, wo man sich befindet. Nach EU-Schätzungen kann das eCall-System jährlich europaweit bis zu 2.500 Leben retten.
Immer mehr Fahrer-Assistenzsysteme springen in die Bresche
88 Prozent aller Unfälle in der Bundesrepublik passieren wegen menschlichen Fehlverhaltens der Fahrer, das ergeben die Daten des Statistischen Bundesamts – so sind beispielsweise Müdigkeit und Ablenkung häufig Gründe für einen Crash. Der mögliche Sicherheitsgewinn durch Fahrer-Assistenzsysteme, die im Fall der Fälle einspringen, ist also riesig!
Audi produziert im Werk Neckarsulm mehrere Modelle, die per serienmäßig eingebautem Sicherheitssystem kritische Situationen erkennen, nicht nur mit anderen Fahrzeugen, sondern auch mit Fußgängern und Radfahrern. Der Fahrer wird gewarnt, und falls das nicht hilft, macht das Fahrzeug eine Vollbremsung. Auch Spurhalte- und Notfall-Assistenten springen bei menschlichem Versagen in die Bresche. In einem Oberklasse-Modell stecken zum Teil mehr als drei Dutzend Assistenzsysteme.
Lastwagen und Busse haben Notbremssysteme mit Fußgängererkennung
Sich als Radfahrer im toten Winkel eines Lkws zu befinden, ist gefährlich. Erfreulicherweise sind immer mehr Lkws mit Abbiege-Assistenten ausgestattet. Sie warnen den Fahrer, wenn er jemanden übersehen hat. Der Abbiege-Assistent von Mercedes-Benz Lkw ist mittlerweile immerhin in jedem dritten neuen Modell „Actros“ und „Antros“ eingebaut.
Seit Ende 2015 müssen neue Lastwagen übrigens mit automatischen Notbremsassistenten ausgestattet sein, um Auffahrunfälle zu verhindern. Der neueste Notbremsassistent von Daimler hat eine „Fußgängererkennung“. Er ist daher besonders auch im Stadtverkehr interessant und macht neben Lkws auch Busse sicherer, ebenso wie andere Riesen-Fahrzeuge, etwa welche der Müllabfuhr.
Elektroautos warnen Passanten
Elektroautos könnte man als Fußgänger leicht überhören. Wenn sie nicht mit Lautsprechern ausgestattet wären, die Motorgeräusche imitieren.
Entwickelt hat solche Hightech-Warnsysteme der Mittelständler Marlok Automotive aus Esslingen. Der Zulieferer ist traditionell Spezialist für Lautsprecher im Auto-Innenraum. Und hat schon 2011 als einer der Vorreiter mit Grundlagenforschung dazu begonnen, wie man Lautsprecher auch für den Motorraum von Elektroautos konstruieren kann. „Das war eine große Herausforderung“, erklärt Marlok-Entwicklungsleiter Rainer Schilling, „denn Lautsprecher sind sehr fragil, im Motorraum sind sie beispielsweise Nässe und Streusalz ausgesetzt.“
Das neueste „E-Sound“-System von Marlok kann übrigens trotz seiner kompakten Bauweise nicht nur mit hoher Frequenz-Bandbreite Motorgeräusche imitieren, sondern zugleich auch Huptöne erzeugen, wenn Fußgänger oder Radfahrer in Gefahr sind: für noch mehr Sicherheit zugunsten der schwächsten Verkehrsteilnehmer.