Garching/Innsbruck. Sie sind smart, rechnen unfassbar schnell – und gehorchen dabei Gesetzen, die selbst dem alten Albert (Einstein!) irgendwie spooky vorkamen: Quantencomputer! Noch funktionieren sie nur im Labor. Doch das weltweite Rennen um dieses nächste große Ding der Tech-Szene ist längst eröffnet.

So, und wenn Sie jetzt denken, puh, anstrengend, Physik und Computerzeug, nix wie weg – lesen Sie besser mal weiter! Weil:

Quantencomputer werden unser Leben verändern!

Sie werden verändern, wie wir denken und arbeiten!

Vielleicht können wir dank Quantencomputern sogar Krebs heilen!

Und das alles – womöglich bereits bald. So. Jetzt wollen Sie bestimmt doch weiterlesen, oder?

Weltweites Wettrennen um Qubits

Quantencomputer also. Wenn ein normaler Rechner ein Klappfahrrad ist, dann wäre ein Quantencomputer ein Formel-1-Geschoss – so gigantisch ist der Unterschied. Und die neue Geschwindigkeitsdimension ist beileibe kein Selbstzweck: Die unfassbare Rechenpower wird vollkommen neue Anwendungsmöglichkeiten schaffen.

Und damit Werte. Vor Kurzem erst sorgten Zahlen der US-Unternehmensberatung Boston Consulting Group für Aufsehen: Bis zu 850 Milliarden Dollar Wertschöpfung könnten demnach im Jahr 2050 weltweit auf Quantencomputer zurückgehen. Und: Marktschätzungen zufolge sollen allein die Hersteller der neuen Superrechner schon Ende dieses Jahrzehnts einen Umsatz von 65 Milliarden Dollar für sich verbuchen können.

Deutschland führend in der Grundlagenforschung

Kein Wunder, dass sich Tech-Giganten wie Google oder IBM, aber auch viele Forschungseinrichtungen und Start-ups rund um den Globus ein heißes Rennen um die neue Technik liefern. Ganz vorn mit dabei ist Europa und vor allem: Deutschland. Aber dazu an späterer Stelle mehr. Weil: Man möchte ja dann doch langsam zumindest mal ansatzweise verstehen, wie diese neuen Zauberdinger überhaupt funktionieren.

Deshalb: Videocall mit Professor Dieter Kranzlmüller, Leiter des Leibniz-Rechenzentrums der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Garching vor den Toren Münchens. Er sagt: „Quantencomputer werden für gewisse Anwendungen fantastische Leistungssteigerungen bringen, selbst im Vergleich zu den derzeit schnellsten Supercomputern der Welt.“

Der Mann muss das wissen – mit dem „SuperMUC-NG“ verfügt sein Institut immerhin über einen der derzeit schnellsten Rechner Europas. Doch auch der kocht, quantenphysikalisch gesehen, bloß mit Wasser. Heißt: Er rechnet mit Bits. Deren Talent aber ist vergleichsweise bescheiden. Sie können nur zwei Werte annehmen: 0 oder 1. „Wäre ein Bit eine Lampe, dann wäre diese also entweder an oder aus“, erklärt Kranzlmüller laiengerecht.

Google ließ mit Sycamore die Qubits tanzen

Und hier nähert man sich dem Kern: Quantencomputer nämlich sind sozusagen so etwas wie ein Dimmer. Sie rechnen mit sogenannten Qubits. „Die können 0 und 1 gleichzeitig darstellen.“ Physiker nennen diesen Zwitterzustand „Superposition“. Um ihn zu erreichen, nutzen die Rechner die scheinbar magischen Gesetze der Quantenphysik.

Das klingt zwar echt nerdig. Aber der Effekt ist spektakulär: Die Rechenpower von Quantencomputern steigt exponentiell mit der Anzahl der Qubits an. Und welche, haha, Quantensprünge das ermöglicht, war vor gut eineinhalb Jahren eindrucksvoll zu erkennen.

Da nämlich ließ Google mal kurz die Muskeln spielen. In seiner Forschungsabteilung ließ der Internetkonzern seinen Quantencomputer „Sycamore“ ein komplexes mathematisches Problem lösen. Nach exakt 200 Sekunden spuckte die magische Maschine die korrekte Antwort aus. Laut Google hätten selbst die fixesten konventionellen Computer dafür ein klein wenig länger gebraucht – nämlich etwa 10.000 Jahre! Man könnte das durchaus eindrucksvoll nennen.

Für Lieferando braucht man keinen Quantencomputer

Bloß: Wofür ist das jetzt gut? „Wenn man nur online eine Pizza bestellen will, braucht’s dafür keinen Quantencomputer“, grinst Experte Kranzlmüller. Wenn es dagegen um komplexe Simulationen gehe, um Rechnungen mit so vielen Variablen, dass herkömmliche Rechner in die Knie gingen, dann schlüge die Stunde der cleveren Qubits. „Bei der Entwicklung neuer Medikamente etwa, in der Krebsforschung, bei der Simulation von Corona-Viren oder Körperfunktionen können Quantencomputer ihre Stärken ausspielen“, sagt Kranzlmüller.

Neue Medikamente, neue Materialien, effizientere Prozesse

Aber da geht noch mehr. Überall dort, wo das Verhalten von Molekülen simuliert und verstanden werden muss, könnten die Superstreber der Computertechnik helfen. In der Materialforschung etwa. Bessere Materialien für Akkuzellen der E-Autos? Leichtere Materialien für den Flugzeugbau? Dämmstoffe für Gebäude? Und weiter: clevere Logistik, der viel beschworene „Digitale Zwilling“ in der Industrieproduktion, effizientere Prozesse, leistungsstarke künstliche Intelligenz – alles ein Fall für … Sie wissen schon.

Und: Die Quantentechnologie schickt sich an, sogar sicherheitspolitisch relevant zu werden. Weil sie derzeit gebräuchliche Verschlüsselungssysteme im Handumdrehen knacken könnte. „Wenn Sie die Zahlenkombi ihres Fahrradschlosses vergessen haben, dann rechnet ein normaler Computer alle möglichen Kombinationen nacheinander durch“, erläutert Kranzlmüller. „Ein Quantencomputer braucht nur einen Schritt. Das ist der Unterschied.“ Spätestens da dämmert dem Laien: So ein Quantencomputer, das ist nicht bloß ein „Nice to have“. „Es ist für einen führenden Technologiestandort auch ein ‚Must do‘“, betont Peter Leibinger, Cheftechnologe des schwäbischen Laserspezialisten Trumpf. Und er setzt noch eins drauf: „Für unsere Hightech-Industrie kann der Zugang zu dieser Technologie existenziell sein.“

100 Qubits angepeilt

Das scheint sich rumgesprochen zu haben. Die Bundesregierung unterstützt deshalb die Entwicklung der Quantentechnologien mit weiteren 2 Milliarden Euro aus dem Konjunktur- und Zukunftspaket. Schon jetzt gilt Deutschland in der Grundlagenforschung als Weltspitze. Am Garchinger Leibniz-Rechenzentrum eröffnete unlängst das „Quantum Integration Centre“, finanziert aus Mitteln der Innovationsoffensive „Hightech Agenda Bayern“. Und am renommierten Forschungszentrum Jülich in Nordrhein-Westfalen entsteht gerade mit „OpenSuperQ“ ein Quantencomputer mit 100 Qubits Rechenkapazität – das ist Weltspitze. Nächstes Jahr soll das Gerät einsatzbereit sein.

Auch die Industrie ist längst auf den Zug aufgesprungen. So kooperieren Volkswagen und der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim mit Google. BASF forscht an Molekülsimulationen. Auch der Autobauer BMW testet einen kommerziellen Quantencomputer zur Optimierung seiner Lieferketten. Zudem halten immer mehr wendige Start-ups Ausschau nach neuen Anwendungen, werkeln an Hard- und Software. In Deutschland entwickelt, im Ausland vermarktet – das soll sich diesmal offensichtlich nicht wiederholen.

Qubits sind empfindliche Mimosen

Allein: Noch ist man nicht am Ziel. Denn: So rechenstark diese mysteriösen Qubits auch sind – es sind auch ausgesprochene Mimosen. Damit Quantencomputer stabil rechnen können, müssen sie derzeit noch bis zum absoluten Nullpunkt runtergekühlt werden: auf minus 273 Grad. Auch Geräusche, Erschütterungen oder gar der Versuch, sie zu messen, macht aus den magischen Qubits schnöde Bits. Das klingt nicht nur kompliziert, das ist es auch.

Und deshalb: Kriegen wir das wirklich jemals hin? Nächster Videocall, Innsbruck diesmal. Dort sitzt Rainer Blatt, Professor für Experimentalphysik und einer der weltweit führenden Quantencomputer-Experten. Spezialgebiet: Ionenfallen! Er sagt: „Ich bin absolut überzeugt, dass wir diese Technologie beherrschen können!“

GPS, Transistoren, Röntgen – all das ist Quantenphysik

Schon jetzt sei man in einer Phase des Übergangs – raus aus den Laboren, hin zum Praxiseinsatz. „Diese Rechner sind keine Fiktion mehr, es gibt sie bereits, und wir können mit ihnen rechnen!“ Überall auf der Welt werde geforscht, nicht zuletzt eben auch in Deutschland. Das weiß Blatt übrigens nur zu gut: Der Wissenschaftler koordiniert das „Munich Quantum Valley“, einen Verbund aus hochkarätigen Forschungsinstituten. Hubs wie dieser müssen kompensieren, dass es in Deutschland und Europa nun mal kein Google gibt, kein Microsoft, kein IBM, die mal eben Milliarden in die Forschung pumpen.

Doch Blatt ficht das nicht an. „Wir wollen eigene Quantencomputer entwickeln, nicht zukaufen. Man muss diese Technologie selbst beherrschen.“ Den Hype, der rund um den Globus zuletzt entstanden sei, müsse man nutzen. „Natürlich ist das gerade eine Riesenwelle“, sagt er. Aber wenn man eine führende Technologienation bleiben wolle, „muss man die eben reiten, die Technik mit Verve nach vorn bringen“.

Zudem sei die Quantenphysik eigentlich gar nicht so mystisch, gar esoterisch wie oft unterstellt, findet der Forscher. „Jede Elektronik, jeder Transistor, Messtechnik, medizinische Bildgebung, GPS, alles beruht auf den Gesetzen der Quantenphysik.“ Nur sei das eben Quantenphysik der etwas älteren Generation. „Jetzt aber stehen wir an der Schwelle zu einer neuen!“

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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