Cottbus. Deutschland steigt aus Kernkraft und Kohle aus und setzt voll auf erneuerbare Energien. Was das für die Versorgungssicherheit bedeutet und warum wir mehr Speicher brauchen, fragte aktiv Professor Harald Schwarz von der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Noch im Juni nahm der Energieexperte dazu vor dem Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie Stellung.
Herr Professor Schwarz, 2022 gehen die letzten Kernkraftwerke vom Netz, bis 2030 schon viele Kohleblöcke. Kommt der Strom dann noch sicher aus der Steckdose?
Wenn beides wie beschlossen umgesetzt wird, kann es im Jahr 2023 zu ersten kritischen Situationen kommen. An Werktagen, wenn die Wirtschaft brummt, benötigen Unternehmen, Geschäfte und Haushalte 80 bis 90 Gigawatt Kraftwerksleistung. In unserem Land sind 2023 aber nur noch Kraftwerke mit einer gesicherten Leistung von knapp 64 Gigawatt in Betrieb.
Sie vergessen den Ökostrom. Derzeit sind Wind- und Solaranlagen mit 110 Gigawatt installierter Leistung am Netz.
Das ist die Nennleistung, die bringen die Anlagen bei optimalen Wind- und Sonnenverhältnissen. Und normalerweise erzeugen sie ja jede Menge Strom. Aber: Die gesicherte Leistung, also die Leistung von Wind- und Solaranlagen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 97 Prozent ständig verfügbar ist, liegt aktuell bei nur 1,1 Gigawatt. Bei einer Dunkelflaute, wie wir sie im Januar 2017 meistern konnten, gäbe es in ein paar Jahren ein Problem: Sollte zwei Wochen lang weder der Wind wehen noch die Sonne scheinen, hätten wir dann zu wenig gesicherte Kraftwerksleistung.
Dann können wir doch Strom aus Nachbarländern importieren.
Das strebt die Bundesregierung ja auch an. Vom europäischen Strommarkt soll dann Energie eingeführt werden. Zum Beispiel Ökostrom. Nur, das wird kaum funktionieren. Erzeugen die Windanlagen hierzulande wenig Strom, ist das bei den Windrädern in unseren Nachbarländern meist auch der Fall. Wir haben für das gesamte Jahr 2018 die Erzeugungsspitzen und die Tiefs bei Windstrom in Deutschland und sechs Nachbarstaaten verglichen. Ergebnis: Die treten nahezu an den gleichen Tagen auf.
Und wenn wir konventionell erzeugten Strom einführen?
Auch das wird kaum gehen. Wenn wir den höchsten Stromverbrauch haben, sind laut Statistik auch unsere Nachbarländer nahe am Höchstbedarf. Dort also wären bei einer Dunkelflaute nicht so viele Erzeugungskapazitäten frei, um unsere Lücke zu füllen. Und selbst wenn es irgendwo viele ungenutzte Kraftwerke gäbe, könnten wir deren Strom kaum nutzen.
Warum das denn nicht?
Man kann über die Grenzkuppelleitungen, die die Stromnetze von Europas Ländern verbinden, keine großen Strommengen liefern. Die Verbindungen sind eigentlich nur für Notfälle gedacht. Sie transportieren Strom über die Grenze, wenn im Nachbarstaat ein oder zwei große Kraftwerke ausfallen, und stabilisieren dort die Versorgung.
Was können wir für mehr Versorgungssicherheit tun?
Wir müssen viel mehr Speicherkapazität aufbauen, um die schwankende Überproduktion an erneuerbaren Energien aufzufangen. Wir brauchen viele Anlagen, um mit Grünstrom Wasserstoff zu erzeugen, den wir speichern und wieder verstromen können. Zudem sollten wir Wege finden, herkömmliche Kraftwerke für eine Dunkelflaute einsatzfähig zu halten. Etwa indem wir bei Kohlekraftwerken Klimagas auffangen und in der Chemie-Industrie nutzen. Strom aus importiertem Erdgas jedenfalls ist eine fragwürdige Alternative. Das bringt dem globalen Klimaschutz nichts.
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