Rheinfelden. In einem Audi Q7 oder einem Porsche Panamera sieht Entwicklungsleiter Stuart Wiesner immer etwas von seiner Arbeit: Hier sind Materialien verbaut, die von Rheinfelden Alloys kommen. Es geht um einen leichten Aluminiumguss, der schwere Stahlkonstruktionen oder Eisenguss ersetzt - auch im Elektroauto.

Mit Aluguss-Legierungen ist das Unternehmen (80 Mitarbeiter) Weltmarktführer. „Das sind Formteile, auf denen zum Beispiel Türen aufgebaut sind“, erklärt Wiesner. Und hat einen schönen Vergleich parat: „In einem Fachwerkbau geben Holzbalken die Struktur vor, im Auto können es Strukturbauteile aus Aluguss sein.“ Auch im Lenkrad kann ein solches Aluguss-Skelett stecken.

Das Material muss sich in der Praxis gut verarbeiten lassen

Bei der Entwicklung von Werkstoffen kommt es nicht nur auf die Eigenschaften der daraus gefertigten Teile an: „Mit einer Labor-Legierung, die in der Praxis nicht funktioniert, ist niemandem geholfen“, sagt der 50-Jährige, der seit vier Jahren im Unternehmen ist. „Druckguss ist ein Handwerk, das Material muss sich in der Gießerei gut verarbeiten lassen.“ Je nach Verwendung müssen die Strukturteile zudem schweißbar sein, man muss sie vernieten können und der Korrosionsschutz gewährleistet sein.

„Reine Metalle haben oft nicht die nötige Härte, die Bruchfestigkeit oder die Korrosionsbeständigkeit für spezielle technische Anwendungen“, erklärt Wiesner beim Besuch von aktiv. Er deutet auf Materialproben in der Größe einer halben Schokoladentafel, die in verschiedenen Grautönen schimmern. „Mit Legierungen kann man diese Probleme lösen.“ Dazu wird der leichte Grundstoff Aluminium mit Metallen wie Kupfer, Magnesium und Zink oder dem Halbmetall Silizium verschmolzen. In den Legierungen entstehen neue Gitterstrukturen mit neuen Eigenschaften.

„Besonders die sogenannten crash-relevanten Strukturteile dürfen bei einem Unfall nicht gleich reißen, sondern müssen sich verfomen“, erklärt Wiesner. Und hat auch hier ein Alltagsbeispiel: „Fahre ich beim Einparken versehentlich auf einen Bordstein, darf der Federbeindom nicht brechen.“ Der Fachmann spricht von der Duktilität, also der Zähigkeit eines Werkstoffs.

Wärmebehandlungen verändern die Materialeigenschaften

Kupfer erhöht zum Beispiel die Festigkeit des Werkstoffs, ist aber korrosionsanfällig - so bringt jeder Zusatz Vor- und Nachteile mit sich. Eine Möglichkeit, unerwünschte Nachteile aufzufangen, sind Wärmebehandlungen. „Sie verändern die Beschaffenheit eines Materials“, erklärt Fabian Niklas, ein Ingenieur aus Wiesners Team. „Wenn man eine Alu-Legierung mit Silizium herstellt, entsteht leicht eine nadelige Struktur.“ Setzt man das Material über einen fest definierten Zeitraum bestimmten Temperaturen aus, verändert sich die Struktur wieder. Doch Wärmebehandlungen kosten Zeit, Arbeitskraft und Energie.

Deshalb tüfteln Wiesner und Niklas an neuen Legierungen, die schon bei Raumtemperatur aushärten. Nicht die einzige Herausforderung, der sich das Entwickler-Team stellen muss: In E-Autos werden neue Teile benötigt, etwa Batteriewannen. Auch sie können aus Aluguss gefertigt werden. „Man braucht Durchhaltevermögen! Bis ein Werkstoff freigegeben wird, dauert es manchmal Jahre“, sagt Wiesner.

Das Nachdenken über verbesserte Legierungen endet nicht am Werktor: „Ich hatte schon Ideen beim Skifahren oder beim Aufstehen“, verrät der Ingenieur. Weshalb er stets Stift und Zettel parat hält. Oder er spricht mit seiner Ehefrau Ana Lucia.

Engagiert setzt er die Tradition von Rheinfelden Alloys fort: Vor 25 Jahren entwickelte man mit Audi die Aluguss-Legierung „Silafont-36“ für den A8 – bis heute das Standardmaterial für viele Anwendungen in der Automobil-Industrie.

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Mir gefällt seit dem Studium die Vielseitigkeit in der Entwicklung. Denn das ist kein rein wissenschaftlicher Beruf, man braucht auch handwerkliches Wissen.

Was reizt Sie am meisten?

Die Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Menschen, die alle unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse haben, um ihre Arbeit machen zu können.

Worauf kommt es an?

Man braucht neben theoretischem Wissen auch Menschenkenntnis.

Andrea Veyhle
Autorin

Nach dem Germanistik- und Anglistik-Studium absolvierte Andrea Veyhle ein Volontariat und arbeitete für eine Agentur. Seit 2007 ist sie freiberuflich für verschiedene Verlage tätig. Für aktiv berichtet sie in Reportagen über die Chemie in Baden-Württemberg und stellt mit Porträts die vielseitigen Berufsbilder der Branche vor. Außerdem erklärt sie, wo uns chemische Produkte im Alltag begegnen. In ihrer Freizeit experimentiert sie gerne in der Küche, Kalorien strampelt sie auf dem Rennrad wieder ab.

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