Göttingen. Die Corona-Pandemie prägt unser Leben – nun schon seit gut einem Jahr. Wie lange das noch dauert, weiß keiner genau. Wie können wir die nächsten Monate gestärkt erleben? Darüber hat aktiv mit dem Resilienz-Experten Sebastian Mauritz gesprochen – und ihn nach hilfreichen Tipps gefragt.

Gelassen zu bleiben, das fällt uns gerade oft schwer. Wie schaffen Sie das, was tun Sie dafür?

Ich mache vermutlich das, was auch viele andere Menschen im Lockdown für sich entdeckt haben: Ich gehe regelmäßig spazieren, mindestens zehn Minuten – daraus kann dann gerne eine halbe Stunde werden. Und ich meditiere zweimal am Tag, morgens und abends.

Nicht jeder weiß, wie das geht.

Das ist kein Hexenwerk: Es kann schon helfen, sich ganz bewusst für fünf Minuten hinzusetzen, sich nicht vom Handy, vom Radio oder anderen Dingen ablenken zu lassen – und nur auf seinen Atem zu achten. Auch das hilft uns schon, resilienter zu werden.

„Wir können uns selbst stärker machen!“

Resilienz: Was ist das eigentlich genau?

Einfach ausgedrückt ist Resilienz unsere mentale Gesundheit bei Problemen, bei Stress und in Krisen. Das ist inzwischen gut erforscht: Die Resilienzforschung untersucht unsere geistige Widerstandsfähigkeit, wenn wir Widrigkeiten, sogenannten Stressoren, ausgesetzt sind. Erkenntnis: Wer resilient ist, bleibt länger gelassen, entspannt und flexibel.

Und woran merke ich, ob ich resilient bin – oder eher nicht?

Meistens merkt man eher die fehlende Resilienz, wenn es einem nicht so gut geht. In schwierigen Zeiten spürt man, dass die eigene Vulnerabilität, also die Verletzbarkeit, zunimmt und die eigene Stärke abnimmt. Ein Warnsignal ist es jedenfalls, wenn man körperliche Reaktionen auf den Stress zeigt. Dazu zählt zum Beispiel vermehrtes Schwitzen, aber auch, wenn man schlechter einschläft oder nachts hochschreckt. Viele merken vermutlich auch, dass sie ihren Ärger schlechter kontrollieren können, häufiger „an die Decke gehen“, schon von harmlosen Dingen total genervt sind. Bei solchen Warnsignalen sollte man gegensteuern.

Welche hilfreichen Tipps können Sie dafür geben?

Resilienz, diese geistige Stärke, kann man lernen und viel dafür tun. Gute Gewohnheiten sind wichtig! Denn das Gehirn mag Struktur, das Gehirn mag gute Gewohnheiten. Und die kann man sich antrainieren. Also: Ganz konkret schauen, wo ich für mich gute Rituale etablieren kann. Nach Feierabend kann das der Spaziergang sein. Und der morgendliche Kaffee-Talk mit den Kollegen geht ja auch per Teams oder Zoom.

„ Wir haben im Leben schon viel gemeistert – es hilft, wenn wir uns das klarmachen.“

Ist die digitale Kommunikation also ein guter Ersatz für fehlenden persönlichen Kontakt?

Ja. Auf digitalem Weg zu sprechen, ist besser, als still zu bleiben! Der Austausch, miteinander lachen oder auch die Sorgen teilen, das tut uns gut. Es gibt in der Psychotherapie auch die Erkenntnis „das Gehirn heilt im Kontakt“. Wir konnten über Jahrtausende nur überleben, wenn wir in Gruppen gelebt und gearbeitet haben. Die Betonung des Individuums ist eine Erfindung der Moderne, und diese Vereinzelung ist tatsächlich etwas, das uns auch stresst. Derzeit ist viel von „Social Distancing“ die Rede. Ich finde, wir sollten lieber vom „Spacial Distancing“ sprechen – also: räumliche Entfernung, aber doch soziale Nähe. Ich kann meiner Familie oder meinen Freunden auch aus der Ferne nah sein.

Auf allen Kanälen läuft Corona, Impfen, Mutationen. Das stresst uns doch auch, oder?

Ja. Ich schaue daher nur einmal am Tag in die Nachrichten. Man muss nicht laufend über alles informiert sein. Unser Gehirn klammert sich leider eher an negativen Dingen fest. Gerade jetzt sollte man sich aber lieber auf positive Sachen konzentrieren.

Was kann uns dabei helfen?

Zum Beispiel zwei Fragen, die man sich jeden Tag wieder stellt: Was läuft gut für mich? Was soll sich auch nach Corona nicht ändern? Die Antworten schreibt man sich auf, das hilft, negative Nachrichten für einige Zeit zu verdrängen. Und auch ein Rückblick kann helfen, ein Zurückdenken an andere Krisen, die wir überstanden haben: Es macht Mut, wenn wir uns an das erinnern, was wir im Leben schon alles gemeistert haben.

Nadine Bettray
aktiv-Redakteurin

Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald. 

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