Heidenau. Gokart-Fahren - für die einen ist es ein bisschen Spaß, für die anderen der Einstieg in den Motorsport. Das Reifenwerk Heidenau hat beim Rennsport beide Zielgruppen im Blick. „Der Sport erlebt einen echten Boom“, sagt Michael Wolf. „Wer einmal Blut geleckt hat, bleibt oftmals dabei.“ Der geschäftsführende Gesellschafter hat zum Gespräch mit aktiv seine Führungsmannschaft aus Vertrieb, Fertigung und Produktentwicklung dazugebeten.

In allen Abteilungen wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet. „Wir sind so etwas wie die Corona-Gewinner“, sagt Wolf. „Die Menschen nehmen sich wieder Zeit fürs Hobby. Und auch die jungen Leute haben Lust am Zweirad entdeckt.“

Nachfrage nach Reifen für Rennsport, Motorräder oder Oldtimer

In Zeiten unterbrochener Lieferketten aus Fernost wissen die europäischen Kunden die Zuverlässigkeit der Sachsen zu schätzen. Die Nachfrage nach Reifen für Kartrenner, Motorroller, Motorräder, Seilbahnräder, Pkw-Oldtimer oder Motorrad-Chopper ist zurzeit ebenso hoch wie die für Pneus zum Beispiel der Auslieferungsfahrzeuge von Lieferdiensten oder Postzustellern.

„Wo Sonderanfertigungen auch in geringen Stückzahlen und hohe Beanspruchung der Reifen zu finden sind, kommen wir ins Spiel“, sagt Vertriebsleiter Pierre Schäffer. „In Deutschland sind wir der einzige Anbieter, der Diagonalreifen von 4 bis 23 Zoll anbietet. Insgesamt kommen wir auf 560 verschiedene Artikel.“ Nicht höchste Geschwindigkeit, sondern komfortable Pneus, auch für hohe Belastung, sind die Stärke des Unternehmens.

Mit dem Motorrad einmal um die Welt reisen

In dieser Marktnische fühlen sich die Spezialisten aus der Nähe von Dresden pudelwohl. „Immer mehr Menschen mittleren Alters erfüllen sich den Lebenstraum, einmal mit dem Motorrad um die Welt zu reisen“, sagt Vertriebsleiter Schäffer. „Wer in Timbuktu ist, möchte keine Reifenpanne haben, sondern auf Nummer sicher gehen.“

Produziert wird nur in Deutschland. „Wir wollen nicht ausschließlich über den Preis definiert werden. Diese Strategie verfolgen wir konsequent“, erläutert Pierre Schäffer.

In den acht bis zu 2.000 Quadratmeter großen Produktionshallen im Reifenwerk Heidenau läuft trotz der vollen Auftragsbücher alles ruhig und konzentriert ab. 125 der insgesamt rund 200 Mitarbeiter arbeiten hier teilweise im Drei-Schicht-System. Die Maschinen sind auf Flexibilität ausgelegt. Eigene Fachabteilungen haben sie für den individuellen Bedarf gebaut und wissen sie auch jederzeit zu reparieren. Einige werden nur bei speziellen Kundenwünschen benötigt. „Roboter würden bei uns keinen Sinn machen. Unsere Mitarbeiter sichern uns die große Flexibilität – eine unserer Stärken“, sagt Benjamin Illmann, Leiter Fertigung und Technik.

E-Mobilität erfordert spezielle Materialeigenschaften

In der Reifenheizpresse zischt es, Dampf entweicht, bevor Facharbeiter Felix Kramer einen Motorradreifen für eine Enduro entnimmt und kontrolliert. „Mit seinem geschulten Blick erkennt er sofort, ob der Reifen in Ordnung ist“, erklärt Diplom-Ingenieur Illmann. „So sorgen wir für unsere hohe Qualität.“

In der Entwicklungsabteilung von Marcel Schander und Senta Reichelt stapeln sich die Anfragen. „Darunter sind viele Start-ups“, sagt Schander. „Die wollen auf den Zug aufspringen, der sich um die boomende E-Mobilität in Gang gesetzt hat.“

Vom Wandel in der Automobil-Industrie hin zum Elektrofahrzeug profitieren auch die Hersteller von Sonderfahrzeugen. „E-Fahrzeuge sind auch für uns aktuell ein Hype“, ergänzt Reichelt. Kartbahnen profitieren von den umweltfreundlichen Fahrzeugen, weil die Belüftung der Hallen einfacher und die Geräuschentwicklung angenehmer wird. Kautschukmischungen für Reifen mit möglichst geringem Rollwiderstand sind gefragt. Außerdem sorgen die Akkus für deutlich mehr Gewicht der Fahrzeuge. Reifenkonstruktion und Materialeigenschaften müssen bei Reifen für E-Fahrzeuge optimiert werden.

Standort Heidenau

Ein Stück Industrie-Geschichte

  • 1946 begann in Heidenau die Reifenproduktion.
  • 200 Mitarbeiter sind am Standort beschäftigt.
  • 500 und mehr Reifensorten hat der Hersteller im Programm.
Werner Fricke
Autor

Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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