Malente. Alles ist picobello ordentlich, die Mitarbeiter wirken recht entspannt. Nur das stetige Rattern der Maschinen zeigt: Die Auftragsbücher des Textilunternehmens Julius Koch sind voll. Die Bedienschnüre, Kordelleitern und Aufzugbänder aus dem ostholsteinischen Malente sind bei den großen europäischen Herstellern von Sonnenschutzsystemen begehrt: Die Jahresproduktion reicht inzwischen rund sechsmal um die Erde – 240 Millionen Laufmeter!

„Wir schaffen heute mehr – und haben gleichzeitig weniger Stress“, sagt der käufmännische Leiter Dirk Renner. Selbst in Spitzenzeiten gibt es zweimal pro Woche Ausgleichsgymnastik während der Arbeitszeit – und einmal pro Monat ein Mitarbeiterfrühstück. „Früher wäre das zeitlich definitiv nicht machbar gewesen“, so Renner.

Lagerbestand verringert, Anlagen intelligenter ausgelastet

Das Erfolgsgeheimnis heißt „Lean Management“. Die 35 Mitarbeiter haben die Arbeitsplätze nach den eigenen Bedürfnissen gestaltet.

Renner: „Es war überraschend, wie viele gute Ideen die Leute haben, wenn man sie machen lässt.“ Ein cleveres Ordnungssystem bewahrt nun vor der Suche nach Besen, Leitern, Werkzeug oder Arbeitsmaterial. Viele Abläufe sind effizienter geworden, die Urlaubs- und Krankheitsvertretung klappt besser.

Auch finanziell war die Umstellung erfolgreich: „Wir konnten Lagerbestände halbieren. Außerdem trotz höherer Produktion auf die Anschaffung einer neuen Maschine verzichten, weil die bestehenden Anlagen intelligenter ausgelastet werden“, erklärt Renner.

Keine unnötigen Wege mehr laufen

„Früher bin ich mehrmals am Tag durch alle Hallen gelaufen, um zu sehen, wo welche Bestände liegen“, erzählt Ulrike Lindner, seit über 20 Jahren für die Produktionsplanung und den Einkauf bei Julius Koch zuständig. Heute genügt ihr ein Blick auf den Leitstand mit magnetischen Kanban-Karten: Die verschiebt jeder Mitarbeiter, sobald er eine Webspule umsetzt. „Ich war da anfangs selbst sehr skeptisch“, sagt der Betriebsleiter Frank Neuber. „Viele Mitarbeiter hatten Angst um ihren Job – oder dachten, sie hätten bislang alles falsch gemacht …“ Anfangs war viel Überzeugungsarbeit nötig.

Auch das zweite Werk in der Ukraine ist jetzt „lean“

Das Konzept ging auf. „Es wurde so viel entspannter, dass eine Mitarbeiterin sich sorgte, ob wir genug zu tun hätten“, sagt Neuber. Tatsächlich aber ist der Umsatz des 1895 in Dänemark gegründeten Unternehmens in den letzten Jahren auf fast 9 Millionen Euro gestiegen.

Inzwischen ist auch das zweite Werk in der Ukraine mit 45 Mitarbeitern dem „Lean“-Virus erlegen. Dort führen die Malenter Montage- und Näharbeiten durch, die hierzulande zu personalintensiv sind. Mit Konfektionierungsarbeiten für Kunden wird dort die Produktion aufgestockt. Renner: „Dadurch entlasten wir unsere Fachkräfte in Deutschland, die wir für komplexere Tätigkeiten benötigen.“

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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