Chemieunternehmen in Rheinland-Pfalz sind beim Umwelt- und Klimaschutz ganz vorne mit dabei: Sie wollen Ressourcen so lange wie möglich nutzen und Produkte oder Materialien an ihrem Lebensende wieder zurückgewinnen. Das große Ziel der Branche ist es, den in allen Chemieprodukten enthaltenen Kohlenstoff dauerhaft im Kreis zu führen. Dazu gibt es vier Möglichkeiten – jede von ihnen ist kniffelig und erfordert viel Know-how. Und jede von ihnen ist bereits Realität, wie diese Beispiele zeigen.

Recycling von Biomasse: Biokunststoffe aus Mais und Zellulose für den Autobau

Mais, Zuckerrohr, Zuckerrüben und Zellulose: Das sind die Stoffe, aus denen bei Röchling Automotive in Worms immer mehr Kunststoffteile für Autos entstehen. Aus Zuckerrüben lässt sich zum Beispiel Ethylen herstellen, aus dem man wiederum Polyethylen (PE) fertigen kann.

Stärke – gewonnen aus Mais oder Kartoffeln – lässt sich zu Milchsäure und danach zu Polylactiden (PLA) verarbeiten. Meist besitzen diese Biopolymere (Markenname „Röchling-BioBoom“) die gleichen Eigenschaften wie Kunststoffe aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl. „Ein Einfluss auf die Nahrungsmittelkette besteht nicht, da die Grundstoffe vorwiegend aus der Produktion für industrielle Zwecke stammen“, sagt Mirco Brusco, Vizepräsident Forschung & Entwicklung.

„Röchling Bio-Boom“: So heißt das neue Ökomaterial, das bald für alle Autoteile verfügbar sein soll.

Im Vergleich zu fossilen Polymeren kommt die Produktion mit bis zu 90 Prozent weniger Emissionen aus. So spart das neue Material etwa bei der Herstellung eines Mittelklassewagens 515 Kilogramm Kohlendioxid. Durch mehrjährige Entwicklungsarbeit wurde der Einsatzbereich des Biokunststoffs bereits stark erweitert. Brusco: „Unser nächstes Ziel ist es, für alle Produkte in unserem Portfolio auch eine Biovariante anbieten zu können.“ Aktuell bereitet Röchling Filterboxen, Luftklappensysteme, Windlaufabdeckungen, äußere Kühlergrills sowie Luftansaugkanäle aus Biokunststoff für den Markt vor, weitere Produkte sollen folgen.

Mechanisches Recycling: Kosmetikverpackungen aus Altplastik

Beim mechanischen Recycling wird sortenrein sortierter Kunststoff geschreddert, eingeschmolzen und ohne chemische Umwandlung zu neuen Produkten verarbeitet. Werner & Mertz, Spezialist für Reinigungs- und Pflegemittel aus Mainz, hat bereits Verpackungen aus recyceltem Altplastik im Einsatz. Doch jetzt hat das Gründungsunternehmen der Recyclat- Initiative einen weiteren Meilenstein erreicht: hochwertige Kunststoffverpackungen für Kosmetikartikel wie Duschgelflaschen – hergestellt mit 100 Prozent Post-Consumer-Recyclat. So nennt man Verpackungsabfälle, die Verbraucher über den Gelben Sack oder den Pfandautomaten entsorgen.

Umweltfreundlich: Die Duschgelflasche besteht aus recyceltem Altplastik.

Darüber hinaus hat das Unternehmen mit dem Kosmetikkonzern Beiersdorf und dem Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung ein Standardkonzept für Kosmetikverpackungen aus Altplastik entwickelt: Das soll die Branche zur Nachahmung animieren. Die Kosmetikindustrie, so eine Erkenntnis des Projekts, sollte möglichst Kunststoffverpackungen aus hochwertigem Material gestalten, bei denen Monomaterialien statt Verbundmaterialien zum Einsatz kommen.

Die könne man – etwa über den Gelben Sack – dem Kreislauf erneut zuführen. Hilfreich sind auch nachhaltige Druckfarben, ablösbare Etiketten sowie leicht trennbare Verpackungskomponenten. „Wir haben bewiesen, dass mechanisches Recycling einen gangbaren Weg für hochwertige Sekundärrohstoffe darstellt“, betont Immo Sander, Leiter Verpackungsentwicklung bei Werner & Mertz. „Wenn viele Unternehmen unserem Beispiel folgen, wird Bedarf erzeugt, was wiederum die Investitionen in Aufbereitungsanlagen beschleunigt und den wiederkehrenden Einsatz von Altplastik wirtschaftlich macht.“

Chemisches Recycling: „Das ist der Königsweg“

Stroh zu Gold spinnen, das scheint zum Greifen nahe: mit chemischem Recycling. Dadurch lassen sich gemischte Kunststoffabfälle, die heute nicht recycelt werden – etwa Mehrschichtverpackungen –, wieder in Rohstoff zurückverwandeln. Das geschieht mithilfe eines thermochemischen Verfahrens (Pyrolyse), das den Plastikmüll in molekulare Bausteine aufspaltet.

Pyrolyseöl aus Kunststoffabfällen: Ein Mitarbeiter der BASF mit einer Probe vor dem Steamcracker.

Die entstehenden Verbindungen finden sich im sogenannten Pyrolyseöl wieder, aus dem Kunststoffe in Neuware-Qualität entstehen. Der Chemiekonzern BASF verfolgt mit seinem Projekt „ChemCyclingTM“ im Stammwerk Ludwigshafen das Ziel, auf diesem Weg Kunststoffabfälle in kommerziellem Maßstab zu verwerten.

Nach einem Prototyp für eine Mozzarellaverpackung, der 2019 auf den Markt kam, sind inzwischen weitere Mehrschichtverpackungen für Lebensmittel im Supermarkt zu finden. Johannes Remmele, Chef des Verpackungsherstellers SÜDPACK, ist begeistert: „Das ist der Königsweg, das ist das Recycling der Zukunft.“

Es gibt auch schon transparente Kühlschrankelemente und Isolierboxen, die aus chemischem Recyclat bestehen. Aktuell investiert BASF 16 Millionen Euro in ein Technologieunternehmen an der Saar, das bis zu 10.000 Tonnen Altreifen jährlich in einer Pyrolyseanlage verarbeiten kann.

Recycling von Kohlendioxid: Kunststoff aus der Luft

Der Folienhersteller Renolit in Worms arbeitet derzeit mit dem niederländischen Technologieunternehmen Photanol an sauberen chemischen Rohstoffen der nächsten Generation: In einem mehrjährigen Kooperationsprojekt wollen die Partner die Grundbausteine von Kunststoffen, die Polymere, aus Kohlenstoffdioxid (CO2) herstellen. Damit wird das Treibhausgas zu einem nützlichen Rohstoff – raus aus der Luft und rein in neue Produkte. Zum Beispiel in Spezialfolien und -schläuche für die Dialyse oder sterile Verpackungen für Infusionen.

Die Kooperation steht: Veronique de Bruijn, Photanol, und Thomas Sampers, Renolit.

Der Umwandlungsprozess geht so: CO2 ist der Rohstoff, der von Cyanobakterien als Biokatalysator mithilfe von Licht in der Photosynthese in sogenannte Monomere zerlegt wird, also die Bausteine für Polymere. Dabei wird Sauerstoff frei.

Der Vorteil: Man benötigt dafür weder fossiles Öl noch Gas. Zudem wird der Anteil von Kohlenstoffdioxid in der Luft reduziert. Also eine effiziente Nutzung von Ressourcen und ein Beitrag zu Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft.

Thomas Sampers, Vorstandsmitglied und Geschäftsleitung der Geschäftseinheit Healthcare, betont: „Diese Partnerschaft bringt unseren Kunden und Patienten im Gesundheitswesen viele Vorteile, zum Beispiel vollständig nachhaltige Rohstoffe, eine bessere Qualität der Medizinprodukte durch höhere Reinheit der Rohstoffe und eine gesicherte Lieferkette.“

Bald sollen auch Monomere für andere Anwendungen der Gruppe verfügbar sein. Auch andere Chemiefirmen haben Produkte mit dem „Rohstoff Treibhausgas“ auf dem Markt, zum Beispiel weiche Schaumstoffmatratzen von Covestro. Demnächst soll Kohlenstoffdioxid als Rohstoff auch in Bindemitteln für Sportunterböden verfügbar sein.

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Sabine Latorre
Leiterin aktiv-Redaktion Rhein-Main

Dr. Sabine Latorre ist spezialisiert auf Themen aus der Chemie- und Pharma-Industrie. Sie liebt es, komplizierte Zusammenhänge einfach darzustellen – so schon vor ihrer Zeit bei aktiv als Lehrerin sowie als Redakteurin für die Uniklinik Heidelberg und bei „BILD“. Nebenbei schreibt sie naturwissenschaftliche Sachbücher für Kitas und Schulen. Privat reizen sie Reisen sowie handwerkliche und sportliche Herausforderungen.

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