München. Klimaschutz, demografischer Wandel und digitale Transformation stellen neue Anforderungen an Gebäude und Infrastruktur. Wie werden wir in 10 oder 20 Jahren leben? Wo wohnen und arbeiten? Der Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft zeigte bei einem Online-Kongress jüngst eine Vielfalt an Innovationen. aktiv stellt einige vor.

Als größte Herausforderung sehen die Experten die Nachhaltigkeit. Denn Bau und Betrieb von Gebäuden sind für etwa 40 Prozent der deutschen Emissionen an Treibhausgasen verantwortlich.

Drei Viertel der Gebäude in Bayern sind älter als 30 Jahre

Da geht also noch was, und zwar bei Neubauten und im Bestand. Mehr als drei Viertel der Wohngebäude im Freistaat sind älter als 30 Jahre. Zug um Zug müssen sie klimagerecht saniert werden, um die Klimaziele zu erreichen. Nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land.

Wer ökonomisch und ökologisch bauen will, braucht zudem bessere Datengrundlagen. Nur wer den aktuellen Zustand der Gebäude kennt, kann beim Sanieren zielgerichtet vorgehen, so der Rat. Building Information Modeling (BIM) ist hier ein Impulsgeber für die Digitalisierung. Das Verfahren bildet alle Phasen im Lebenszyklus eines Bauwerks in digitalen Modellen ab. Das sorgt für mehr Wirtschaftlichkeit, vom ersten Entwurf bis zum jahrelangen Betrieb.

Nicht zuletzt machen Automatisierung und Baukasten-Prinzip das Bauen günstiger. Beides wirkt zudem dem Fachkräftemangel entgegen, der auch im Bau immer deutlicher zu spüren ist.

Pflastersteine atmen, Dächer werden grün

Grünes Dach: Da fühlen sich sogar die Schafe wohl, wie hier hoch oben im Werksviertel in der Landeshauptstadt München.

Der Klimawandel wirkt sich in den Städten stark aus. Eine Ursache ist, dass viele Flächen versiegelt sind. Wo viel Beton ist, bilden sich Hitzeinseln, Wasser versickert nach Starkregen schlecht.

Unter anderem erforschen Fraunhofer-Institute wie das Institut für Bauphysik (IBP), was man da tun kann. Sie experimentieren etwa mit hydroaktiven Verkehrsflächen. Diese speichern Wasser in Hohlräumen. Bei Regen laufen sie voll und wirken so Überschwemmungen entgegen. Ist das Wetter heiß und trocken, wird das Wasser wie an einem Docht nach oben gezogen, verdunstet dort und kühlt die Umgebung.

Oder man nutzt Pflastersteine als Wasserspeicher, sie saugen sich bei Regen voll wie ein Schwamm. Im Hochsommer wird die Feuchtigkeit an die Oberfläche transportiert und kühlt die Steine ab. Das verhindert Wärmeeinlagerung – und dies macht es wiederum möglich, dass sich abends und nachts dicht bebaute Gebiete abkühlen.

An der TU München (TUM) laufen ebenfalls interessante Forschungen wie die „Grüne Stadt der Zukunft“. In dem Projekt geht es um klimaresiliente Quartiere. Die TUM untersucht in der Praxis, wie man den wachsenden Bedarf an Grünflächen und Wohnraum zusammenbringt und die Anpassung an das sich verändernde Klima in der Stadtplanung verankern kann.

Am Zentrum Stadtnatur und Klimaanpassung (ZSK) der TUM geht es um „Bunte Bänder“, Blühstreifen am Straßenrand und öffentlichen Plätzen, ebenfalls wichtig für die Lebensqualität. Sie spenden Schatten, Kühlung, Feuchtigkeit und schützen vor Wind. Sprießt dort mehr Grün, erhöht sich die Vielfalt (Biodiversität). Und es sieht schöner aus!

Das Badezimmer kommt aus dem Baukasten

Hergestellt werden die konfigurierbaren Bad-Module in der eigenen Fertigung von Tjiko in Rosenheim.

Einfacher geht’s nicht: Ein bezugsfertiges Bad, angeliefert just in time, ein Kran hebt es flugs ins Haus hinein. Die Firma Tjiko aus Rosenheim wendet dieses effiziente Baukastenprinzip für Neubauten an. Das Unternehmen hat dazu eine digitale Plattform geschaffen, über die es individuelle Badezimmer als vorgefertigte Module vertreibt.

Normalerweise braucht es viele Handwerker, bis so ein Badezimmer fertig ist. Man muss etwa Fliesenleger, Elektriker und Installateure für Armaturen kommen lassen. Mit Tjiko geht alles in einem Rutsch. Sogar Fußbodenheizung, Schallschutz und Brandschutzelemente sind in dem Modul bereits enthalten. So ist das neue Bad innerhalb von nur zehn Minuten eingebaut.

Dafür stehen mehrere Designlinien zur Wahl, für Massiv- und Holzhäuser. So gibt es etwa verschiedene Fliesen, Farbtöne und auch Module mit und ohne Badewanne.

Hergestellt werden die Badezimmer von der Stange in Rosenheim, in eigener Fertigung. Das geht nicht nur schneller, es ist nach Angaben des Unternehmens auch um ein Zehntel günstiger als ein herkömmliches Bad.

Zügig: Der Kran hebt das fertige Bad von Tjiko ins Haus.

Das Start-up gibt es seit circa fünf Jahren. Sein Verfahren vereinfacht Bauprojekte und ermöglicht umweltfreundliches Bauen durch mehr Effizienz in der Planung und auch auf der Baustelle. Durch das standardisierte Vorgehen werden zudem weniger Fachkräfte benötigt. Das funktioniert für große sowie kleine Bauprojekte, vom Einfamilienhaus bis zum großen Wohnkomplex. Studenten in Bremen können schon in den Modulen von Tjiko duschen. Die Rosenheimer haben dort ein Studentenwohnheim mit Bädern ausgestattet.

KI bringt Ordnung auf die Baustelle

Conxai setzt auf Daten zum Überwachen der Arbeitsschritte.

Bagger, Kräne, Muldenkipper. Dazu jede Menge Arbeiter und Handwerker. Auf so einer Baustelle ist ganz schön was los! Künstliche Intelligenz (KI) bringt Ordnung in das Durcheinander. Die Technik koordiniert Arbeiten, Geräte sowie Personal und Material.

Das Münchner Start-up Conxai macht sich die Infrastruktur zunutze, die bereits auf Baustellen besteht, um sie zu digitalisieren. Es füttert seine Plattform etwa mit Daten aus Kameras, die zur Diebstahlsicherung installiert wurden. Probleme bei Sicherheit, Qualität oder Logistik werden dadurch erkannt.

Alles im Griff: Die digitale Plattform von Conxai nutzt verschiedenste Datenströme, um die komplexen Abläufe auf der Baustelle sichtbar zu machen.

Das digitale Abbild macht die komplexen Vorgänge und Bewegungen am Bau greifbar. Das System zeichnet etwa Lauf- und Fahrwege auf und hilft so, unnötige Strecken zu vermeiden. Es erkennt zudem, wo welches Material gelagert wird. Liegen da Verschalungen herum, die seit Wochen keiner abholt? Das lässt sich ändern, der Auftraggeber erhält eine Erinnerung. Und die Conxai-Gründer gehen noch weiter: In Zukunft soll ihre Erfindung in Echtzeit erkennen können, wann auf der Baustelle etwas falsch läuft. Das geht mithilfe eines digitalen Zwillings der Baustelle und dem Wissen um die genauen Baupläne. Dadurch wird etwa vermieden, dass Wände falsch gesetzt werden, weil die Arbeiter eine veraltete Version des Bauplans hatten. Das Nutzen der Daten spart am Ende also Arbeit, Bauzeit und senkt die Kosten.

Eine neue Methode zum Erfassen von Bestandsgebäuden kommt von Voxelgrid. Die Firma hat dazu mobile Scanner entwickelt, die in den Gebäuden Maß nehmen. Algorithmen verarbeiten die gesammelten Messdaten und erstellen automatisch den Gebäudeplan. Er enthält alle wichtigen Angaben von Fläche bis Raumhöhe, sogar Bodenbelag. Für 3-D-Modelle und Außenansicht setzt man Drohnen ein.

Der Putz isoliert wie eine Thermoskanne

Automatisiert: Das Material kann maschinell verarbeitet werden, auch mithilfe von Robotik.

Hier steckt der Klimaschutz im Putz: Der fränkische Baustoff-Spezialist Franken Maxit hat eine neue Wärmedämmung für Gebäude entwickelt. Innen oder außen wird „maxit ecosphere“ fugenlos aufgespritzt. Das Material ist rein mineralisch und besteht zur Hälfte aus „Glas Bubbles“, mikroskopisch kleinen, teilvakuumierten Glashohlkugeln. Das wirkt wie die schützende Schicht einer Thermoskanne, so geht kaum noch Heizenergie verloren. Das Material lässt sich vollständig recyceln, wird mit der Putzmaschine einfach und zügig verarbeitet, auch unter Einsatz von Robotik. Der Zuschnitt von Platten aus Styropor oder Steinwolle, die bei herkömmlicher Dämmung verwendet werden, entfällt.

Die Baustofftechnologie wurde vom Bund gefördert und war 2020 für den Deutschen Zukunftspreis nominiert. Sie zahlt auf die Klimaziele ein, denn sie hilft, gerade ältere Gebäude mit schlechter Energiebilanz rasch zu sanieren.

Ein weiterer innovativer Baustoff kommt von ING3D. Das Unternehmen druckt leichte, beliebig geformte Teile aus Gesteinspulver. Sie wandern nicht nur in Häuser, am Meeresboden können darin sogar Korallen wachsen.

Fahrzeuge werden im Turm geparkt

Parken im Grünen: Im rotierenden System von VePa findet ein Dutzend Fahrzeuge Platz und kann auch aufgeladen werden.

Statt Parkdeck oder Tiefgarage baut man einfach einen Turm. Außen ranken Kletterpflanzen hoch, innen sind in mehreren Etagen übereinander Stellplätze untergebracht. Mit ihrem rotierenden Parksystem löst die VePa Vertical Parking GmbH nicht nur das Parkproblem, sie schafft auch Platz für neuen Wohnraum in der Stadt. Der Turm ist mit Photovoltaik und Elektroladestationen ausgestattet, den Stellplatz bucht man digital. Das System schafft eine nachhaltige, flexible Parkinfrastruktur, sie passt in jede moderne, grüne Stadt. Nur 35 Quadratmeter sind nötig, um ein Dutzend Fahrzeuge abzustellen. Mit einer Art Paternoster-System, das man von älteren Aufzügen kennt, werden sie eines nach dem anderen nach oben befördert und nach Ende der benötigten Parkzeit wieder zurückgebracht.

Der Aufbau des Turms dauert nur eine knappe Woche. Ebenso schnell ist er auch wieder abgebaut, falls man ihn an der Stelle nicht mehr benötigt.

Mittelfristig sollen sogenannte Urban Mobility Hubs entstehen, Stütz- und Ladepunkte, die den Städten bei ihrem Wandel weg von der traditionellen Mobilität hin zu mehr gemeinsam genutzten, alternativen Verkehrsmitteln mit weniger Emissionen helfen.

Die ersten Parktürme entstehen an einem Klinikum in München. Der Aufbau soll im nächsten Frühjahr beginnen.

Ein Roboter schleppt das sperrige Gerüst

Mit Akku: Der Liftbot von Kewazo hilft beim Aufbau des Gerüsts.

Bauingenieurwesen und Programmieren passen gut zusammen. Heraus kommt dabei zum Beispiel ein Hightech-Start-up wie Kewazo, Pionier der Baurobotik aus München. Es entwickelt robotische Lastenaufzüge, sogenannte „Liftbots“, für Baustellen und Industrieanlagen, für den autonomen Materialtransport.

Erster Anwendungsfall ist der Gerüstbau. Der Roboter spart Personalkosten und erhöht zugleich die Arbeitssicherheit. Das System braucht nicht viel Platz, kann in weniger als 20 Minuten installiert werden und funktioniert mit Akku, also komplett kabellos. Wo der Robo mithilft und Teile transportiert, geht alles noch schneller als bisher. Dabei werden bis zu 44 Prozent der Mannstunden gespart. Der digitale Mitarbeiter ist also eine Lösung für den Fachkräftemangel, den auch der Bau zu spüren bekommt. Klettert das smarte Gerät auf der Baustelle herum, sammelt es überdies noch Daten. So weiß der Bauunternehmer stets, wie viel transportiert wurde, wohin und auch wie schnell. Das dient der besseren Dokumentation und hilft, Arbeitsabläufe zu optimieren.

Friederike Storz
aktiv-Redakteurin

Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.

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