Der Alltag ist hektisch, das Smartphone frisst viel Zeit und Aufmerksamkeit. Es sorgt für zusätzlichen Stress. Meditations-Apps wie „Headspace“, „Calm“ oder „Breathe“ versprechen da Abhilfe.
Was Apps leisten: Entspannung vielleicht, Meditation nein
Tatsächlich können Meditations-Apps eine gewisse entspannende Wirkung haben. „Studien zeigen, dass es kurzfristige Effekte geben kann, beispielsweise dass der Puls ruhiger wird“, sagt der Diplom-Psychologe und Psychotherapeut Björn Husmann von der Deutschen Gesellschaft für Entspannungsverfahren.
Doch mit Meditation im eigentlichen Sinne hat das nicht allzu viel zu tun. „Bei der Meditation lernt man, ganz in der Gegenwart zu sein, sich aufmerksam zu beobachten und dabei nichts zu wollen oder zu verändern“, sagt Husmann. Wer das Meditieren schrittweise und mit qualifizierter Anleitung gelernt hat, kann sich beispielsweise vor einer Prüfung, einem Vortrag oder in stressigen Zeiten selbst beruhigen – und das ganz ohne Smartphone oder andere Hilfsmittel. Einen ähnlichen Effekt erzielt man übrigens auch mit klassischen Entspannungsverfahren wie beispielsweise dem autogenen Training.
Das Smartphone übernimmt, man gibt die Selbststeuerung ab
Durch die Apps lernt man genau diese eigenständige Selbststeuerung jedoch kaum. Sie funktionieren nämlich in der Regel so, dass eine vom Programm gesteuerte Stimme sagt, was man tun soll, beispielsweise wann man einatmen und wann man wieder ausatmen soll. Manche Apps enthalten auch kurze Filmchen von Wäldern oder Wasserfällen und lesen dazu Geschichten vor, die in den Schlaf wiegen sollen.
So etwas kann zwar eventuell beruhigend wirken, ist aber weder Meditation noch ein Entspannungstraining im eigentlichen Sinne. Wer also wirklich lernen will, wie er sich selbst in stressigen Situationen wieder herunterbringt, wird mit solchen Meditation-Apps nur sehr begrenzt glücklich werden. „Die App kann zwar durchaus ein Einstieg in das Thema sein. Um wirklich wirksame Entspannungs- oder Meditations-Methoden zu erlernen, ist aber ein Kurs oder Einzelunterricht sinnvoll“, so die langjährige Erfahrung des Psychologen und Psychotherapeuten.
Meditation ist abhängig vom individuellen Bedürfnis – also Apps ausprobieren
Wer mithilfe einer App gut relaxen kann, kann dies natürlich tun. Eine sonderlich spezifische Wirkung kann man jedoch nicht erwarten. „Wer zur Entspannung gerne im Garten werkelt, Musik hört oder einen kurzen Mittagsschlaf macht, erzielt durchaus einen vergleichbaren Effekt“, erläutert der Experte. Es gibt erfahrungsgemäß sogar Menschen, die auf die Anweisungen von Apps regelrecht „allergisch“ reagieren und dadurch eher noch nervöser werden.
Welche App für wen am besten geeignet ist, ist individuell unterschiedlich. Dies findet man durch Ausprobieren heraus. Die meisten Anbieter bieten dazu eine kostenlose Basisversion. Die Vollversion muss aber häufig bezahlt werden. Manche Krankenkassen bezuschussen die Kosten oder bieten eigene Gratis-Apps an.
Bei der Auswahl kann man sich danach richten, wie gut man mit der App klarkommt und wie man auf die Übungen reagiert. Versteht man die Anweisungen? Kann man die Übungen gut umsetzen oder sind sie zu kompliziert? Passt das Tempo der Übungen? Gefällt einem die Stimme des Sprechers oder der Sprecherin? Ist die App übersichtlich und ansprechend gestaltet? Sind die Übungen systematisch aufgebaut? Gibt es verständliche Hintergrundinformationen und ausreichende Erklärungen? Gut ist es, wenn die App individualisierbar ist und man einzelne Funktionen wie beispielsweise das Tempo den persönlichen Wünschen entsprechend einstellen kann.
Meditieren mit der App: Vorsicht bei Vorerkrankungen
Gesunde Menschen können Meditations-Apps ausprobieren. „Bei bestimmten Vorerkrankungen können solche Apps aber problematisch werden“, warnt Björn Husmann. Beispielsweise sind bei schweren Depressionen oder psychotischen Störungen wie Schizophrenie Selbstversuche mit Meditations- und Entspannungsverfahren ohne qualifizierte Begleitung nicht zu empfehlen. Hier ist nämlich nicht vorhersehbar, wie jemand auf die Übungen reagiert.
Auch bei einem schweren Schmerzsyndrom sollte man solche Apps nicht bedenkenlos verwenden. „Die Übungen können die Schmerzwahrnehmung unter Umständen noch verstärken, sodass der Patient sich schlechter fühlt als vorher“, erklärt der Experte. Es kann aber sein, dass der Psychotherapeut oder der Arzt im Rahmen des Behandlungsplans eine speziell angepasste App empfiehlt – das ist natürlich etwas anderes.
Menschen mit starken Atemstörungen, schwerem Asthma oder Ähnlichem sollten ebenfalls vorsichtig sein. In einigen Fällen können Entspannungs- und Atemübungen nämlich Anfälle begünstigen. Vorsicht auch bei demenziellen Erkrankungen. Man sollte also beispielsweise nicht versuchen, die demenzkranke Oma mit solchen Apps zu beruhigen, denn das kann unter Umständen das Gegenteil bewirken.
Chronische Beschwerden: Apps können keine ärztliche Behandlung ersetzen
„Meditations-Apps und Ähnliches sollten keine notwendigen Behandlungen hinauszögern“, warnt Björn Husmann. Ständige Rückenschmerzen, dauernde Kopfschmerzen, Bluthochdruck, chronische Magenprobleme, aber auch Ängste oder gar Panikattacken, häufige Schlafstörungen, chronische Erschöpfung und viele andere Beschwerden können Symptome behandlungsbedürftiger Erkrankungen sein. In solchen Fällen sollte man nicht zur App greifen, sondern einen Termin beim Arzt oder Psychotherapeuten machen.