Stühlingen. Technologie des 21. Jahrhunderts mit Rohstoffen aus der Natur umsetzen? „Das ist eine ganz andere Dimension“, weiß Jack van Leeuwen, Leiter des Entwicklungslabors bei Sto. Der Baustoffhersteller in Stühlingen hat jetzt eine Fassadendämmung erfunden, deren Beschichtung auf nachwachsenden Rohstoffen basiert – das ist weltweit einzigartig!

Das Wärmedämm-Verbundsystem besteht aus mehreren Schichten wie Kleber, Dämmschicht, Putzen und Anstrich. Der Clou dabei: 30 Prozent der darin verwendeten Bindemittel basieren auf ressourcenschonendem Kiefernöl - statt Erdöl. Das verringert bei 800 Quadratmeter Fassadenfläche den Erdölverbrauch um rund 173 Liter.

Der Bio-Rohstoff wird aus Resten der Holzverarbeitung gewonnen. Warum nutzt man ihn nur mit 30 Prozent Anteil? „Die Eigenschaften der Putze und Farben dürfen sich nicht verschlechtern“, erklärt van Leeuwen. „Wir haben gesehen, dass der Einsatz pflanzlicher Rohstoffe zum Beispiel zu Vergilbungen führt. Das darf nicht sein.“

In 40 Tagen rund 30 Jahre Wind und Wetter simulieren

Nach 18 Monaten Laborarbeit testete man das Produkt im Freien: „Meine ältesten Muster liegen jetzt seit über vier Jahren draußen und sehen noch immer richtig gut aus“, berichtet Gabriele Egle, Ingenieurin für Farbe, Lack, Kunststoff.

Sie hat die neue Zutat in die Produktrezepturen eingepasst: „In Tests nehmen wir zum Beispiel die Wasserfestigkeit, Lichtstabilität, Viskosität und die Tönbarkeit unter die Lupe.“ Eine kniffelige Aufgabe: „Es wäre naiv zu glauben, ich nehme eine Komponente raus, kippe eine andere rein, und das war’s“, sagt Egle. Wie sich das neue Produkt im Einsatz verhält und ob es alle Richtlinien erfüllt, überprüfte Bauingenieurin Theresia Holder: „Es gibt exakte Vorschriften, was bei einem neuen System geprüft werden muss.“ Dazu wird eine Prüfwand gebaut, beregnet, Hitze und Frost ausgesetzt. In knapp 40 Tagen werden so 25 bis 30 Jahre Wind und Wetter simuliert.

Geprüft wird nicht nur das komplette System, sondern auch jede einzelne Komponente. Und das nicht nur im Labor: „Maler und Stuckateure, die für uns getestet haben, waren sehr zufrieden, aber auch überrascht vom frischen Geruch der Putze. Da spürt man doch sofort, dass da wirklich etwas Natürliches drin ist. Der Duft von Kiefernnadeln verfliegt bei der Trocknung jedoch schnell“, resümiert Holder.

Andrea Veyhle
Autorin

Nach dem Germanistik- und Anglistik-Studium absolvierte Andrea Veyhle ein Volontariat und arbeitete für eine Agentur. Seit 2007 ist sie freiberuflich für verschiedene Verlage tätig. Für aktiv berichtet sie in Reportagen über die Chemie in Baden-Württemberg und stellt mit Porträts die vielseitigen Berufsbilder der Branche vor. Außerdem erklärt sie, wo uns chemische Produkte im Alltag begegnen. In ihrer Freizeit experimentiert sie gerne in der Küche, Kalorien strampelt sie auf dem Rennrad wieder ab.

Alle Beiträge der Autorin