Köln. Öl-Krise? Von wegen! Jedenfalls nicht auf der Palette, die Staplerfahrer Erdal Uslu gerade transportiert: In drei Lagen stapeln sich da Hunderte Flaschen Sonnenblumenöl. Und es gibt hier noch sehr viel mehr davon, wie aktiv beim Besuch im gigantischen Rewe-Hochregallager im Kölner Stadtteil Langel erfährt.

Das 16 Fußballfelder große Lager ist eines von 20, die Rewe republikweit betreibt. In den Lagern von Deutschlands zweitgrößtem Lebensmittelhändler ist Pflanzenöl weiterhin verfügbar. Und doch kommt bei Kunden in manchen Supermärkten zeitweise wenig davon an: Dort herrscht Ebbe im Regal. Der Grund: Die Deutschen hamstern derzeit besonders Sonnenblumenöl und Weizenmehl. Zwei Produkte, die wegen des Kriegs in der Ukraine knapp werden könnten – so die Angst der Panik-Käufer.

Die EU ist bei den meisten Lebensmitteln Selbstversorger

„Vollkommen irrational“ nennt Lars Siebel dieses Einkaufsverhalten: „Kein Verbraucher muss Angst haben, demnächst kein Pflanzenöl oder Mehl im Regal zu finden.“ Siebel muss es wissen, er ist Logistik-Chef der Rewe Group, vorher war er beim Konkurrenten Edeka. Der Branchenkenner weiß um den Zustand der Lieferketten und den Füllgrad der Lager. Und rät zu Gelassenheit: „Beim Pflanzenöl werden zurzeit etwa dieselben Mengen in unser Netzwerk geliefert wie vor einem Jahr. Bei anderen Einzelhändlern dürfte die Versorgungslage ähnlich sein.“ Und beim Mehl? Hier gibt es sogar noch mehr Vorrat: „Von Januar bis April haben wir über alle Typen, Produktgrößen und Marken hinweg rund 19 Millionen Stück Mehl ausgeliefert“, sagt der Logistik-Chef. „Das waren 21 Prozent mehr als 2021.“

Eigentlich braucht also niemand Angst zu haben, bald nicht mehr backen und braten zu können. Trotzdem lassen sich viele zum Hamstern verleiten. Zum einen ist das ein psychologischer Reflex (mehr dazu im aktiv-Interview mit dem Konsumpsychologen Hans-Georg Häusel). Zum anderen fällt es vielen schwer, die Lage einzuordnen. Kein Wunder, wenn in den Nachrichten ständig von Ernteausfällen, Fahrermangel oder Palettenknappheit die Rede ist. Drei Problemfelder dazu:

1. Ernteausfälle

Durch den Krieg könnte ein Großteil der Weizenernte in der Ukraine wegfallen. Experten sehen die Versorgung in Deutschland trotzdem gesichert. Nach Berechnungen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung könnte sich Deutschland theoretisch sogar selbst versorgen! Wobei die heimische Produktion aber mehr kostet – und bisher zum Teil ins Tierfutter geht.

Heutzutage sollte man freilich anders denken, wie Professor Sebastian Hess sagt, Agrarökonom an der Uni Hohenheim: „Deutschland ist Teil des EU-Binnenmarkts, man kann die deutsche Nahrungsmittelsituation also nicht getrennt von der europäischen betrachten. Und die EU ist bei fast allen Produkten Selbstversorger – bis auf Ölsaaten, Reis, Tee, Kaffee und tropische Früchte.“ Weizen mag also teurer sein, ist bei uns aber weiterhin im Regal zu finden. In Schwellenländern sieht das leider anders aus (über die bedrohte Weizenversorgung hat aktiv bereits berichtet).

Bei den Sonnenblumenkernen ist die Ukraine als Produzent sogar noch wichtiger als beim Weizen. Laut Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie deckt Deutschland seinen Bedarf an Sonnenblumenöl zu 94 Prozent über Importe, meist aus der Ukraine. Was jetzt dort nicht geerntet werden kann, dürfte kommendes Jahr bei uns fehlen. Wobei es ja beim Pflanzenöl einige Ausweichmöglichkeiten für die Verbraucher gibt – und die Märkte und Produzenten weltweit sich schon auf die neue Lage einstellen.

2. Fahrermangel

Mehr als 100.000 ukrainische Lkw-Fahrer haben ihren Job aufgrund des Kriegs verloren: Davon geht man beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) aus. „Diese Fahrer fehlen uns tatsächlich auf manchen Ost-West-Routen“, sagt Rewe-Mann Siebel. „Allerdings beschäftigt uns das Thema Fahrermangel seit Jahren. Wir können damit umgehen.“ Zudem müsse man die Zahl einordnen: Laut BGL dürften insgesamt mehr als fünf Millionen Lkw-Fahrer auf den europäischen Straßen unterwegs sein.

3. Palettenknappheit

Die Europalette war bislang oft ukrainisch-russische Gemeinschaftsarbeit: Nägel aus russischen Stahlwerken, Holz aus ukrainischen Wäldern. „Diese günstigen Hersteller fallen jetzt aus. Deshalb müssen wir Paletten auf alternativen Wegen beschaffen“, sagt Siebel. Folge: Der Preis steigt. Kostete eine Palette vor zwei Jahren noch 8 Euro, muss man heute laut Euwid-Preisspiegel 20 Euro hinblättern. „Trotzdem gibt es keine Knappheit“, betont der Logistik-Chef. „Wenn ich 100.000 Paletten kaufen möchte, bekomme ich welche. Nur sind sie eben teurer.“

Viele Verbraucher sind nicht so gelassen. Und ihre Panik-Käufe erzeugen selbst Stress im System: „Hamsterkäufer täuschen dem Markt eine Nachfrage vor, die gar nicht existiert“, erklärt Agrarökonom Hess. Plötzliche starke Schwankungen können selbst riesige Lager nicht direkt ausgleichen. Logische Folge: Nach einem Hamster-Sturm bleibt ein Regal im Supermarkt schon mal eine Weile leer.

Künstliche Intelligenz hilft bei noch besserer Planung

Um die eigene Logistik künftig noch besser auf Nachfrage-Hochs vorzubereiten, investiert man bei Rewe gerade stark in die Lager-Infrastruktur. „Vom Regal rückwärts denken“ ist das Motto der Strategie. „Wir bilden zum Beispiel in unseren IT-Systemen die Regalbilder ab“, erklärt Siebel. Das Ziel: Rollbehälter bereits im Lager so zu bepacken, dass die Produkte im Markt schneller verräumt werden können.

Ein weiterer spannender Punkt: mit künstlicher Intelligenz (KI) voraussagen, wie viele Artikel ein einzelner Markt zu einer bestimmten Zeit brauchen wird. „Eine KI kann allerdings immer nur das berechnen, was sie zuvor über Muster gelernt hat“, so Siebel. Ereignisse wie eine Pandemie mit Lockdown oder einen Krieg in Europa hatte aber bis vor Kurzem niemand auf dem Schirm. Und ob die KI wirklich jemals so schlau sein wird, irrationales Hamstern zu prognostizieren?

Experteninterview: „Gute Alternativen beim Pflanzenöl“

Agrarökonom Professor Sebastian Hess von der Uni Hohenheim über die Lage beim Weizen und beim Öl.

aktiv: Deutschland hat beim sogenannten Weichweizen einen Selbstversorgungsgrad von 125 Prozent. Warum führen wir überhaupt Weizen aus der Ukraine ein?

Weil ein Großteil unseres Weizens ins Viehfutter geht. Das ist auch sinnvoll, wenn man bedenkt, dass es bei Brot auf den Eiweißgehalt ankommt. Die dafür nötigen Qualitäten gedeihen besser im kontinentalen Klima, zum Beispiel in Kanada oder der Ukraine. Getreide aus Gebieten in Küstennähe, etwa in Norddeutschland, wird eher als Futterweizen genutzt.

Einen Teil unseres Brotweizens werden wir also weiterhin importieren, aber das weltweite Angebot wird knapper. Wie stark werden die Brötchenpreise noch steigen?

Sicher ist, dass wir mit weiteren Preissteigerungen rechnen müssen. Auch wegen der hohen Energiekosten – Dünger etwa wird sehr energieintensiv erzeugt. Trotzdem beeinflussen diese Steigerungen die Preise nur graduell. Zum einen, weil der Anteil des Grundrohstoffs am Preis relativ gering ist. Zum anderen, weil sich Mühlen durch langfristige Verträge abgesichert haben. Gibt es an einer Warenterminbörse eine Preisexplosion, wird deshalb nicht gleich das Toastbrot astronomisch teuer.

Was heute Sonnenblumenöl ist, waren letztes Jahr noch Kerne. Sehen wir die Folgen der Knappheit hierzulande vielleicht erst mit Verzögerung?

Die Frage ist: Wie gut schafft es die Ukraine, die neue Ernte mit Zügen und Lkw aus dem Land zu bringen? Die Situation ist in der Tat ernst. Aber das Welternährungssystem ist groß genug, um Ausfälle zu ersetzen. Zumal es beim Pflanzenöl gute Alternativen gibt.

Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band. 

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