Köln. Fridays for Future, Streit um die EU-Urheberrechtsreform (Artikel 13), der Hype um den Youtuber Rezo – die junge Generation lehnt sich auf und zeigt sich politisch. Was macht diesen Generationenkonflikt aus? aktiv sprach darüber mit Stephan Grünewald, Gründer des Rheingold-Instituts. Er weiß, wie unsere Jugend tickt.
aktiv: Was ist das Besondere am aktuellen Generationenkonflikt in Deutschland?
Grünewald: Moment, Moment ... Wenn wir hier überhaupt von einem Generationenkonflikt sprechen können, dann ist dieser sehr subtil - und überhaupt nicht vergleichbar mit den 68ern beispielsweise.
Warum? In diesen Jahren waren sich die Jungen und die Alten doch auch alles andere als grün.
Ja, aber das war viel ausgeprägter als heute. Früher haben die Jugendlichen das Leben ihrer Eltern total abgelehnt. Umgekehrt war die Erwachsenenwelt vom Nachwuchs geradezu angewidert. Stichwörter: lange Haare, Parkas, gruseliger Musikgeschmack. Da prallten kulturell Welten aufeinander.
Und heute?
Die Jugendlichen finden ihre Eltern zwar komisch, aber nicht total daneben. Sie erleben sie als tolerante Leute. Und auch umgekehrt: Bei den Älteren beobachten wir einen Jugendwahn. Sie tummeln sich in den sozialen Netzwerken, schauen dieselben Serien wie ihr Nachwuchs, hören ihre Musik und kleiden sich hip. Die Generationen sind viel näher beieinander.
Aber Fridays for Future lassen einen anderen Eindruck entstehen.
Mit Fridays für Future zeichnen sich vielleicht zarte Konfliktlinien ab. Die Jungen wollen die Alten auf etwas aufmerksam machen, was sie in Mitleidenschaft zieht. Dabei hoffen sie, die Älteren wachzurütteln, damit diese entsprechende Schritte einleiten. Schließlich haben sie die Kompetenz und die Macht. Aber auch das ist kein handfester Generationenkonflikt. Die Jungen sind gar nicht unbedingt auf Revolte aus.
Woran liegt das?
Fangen wir mal bei den Kindern an. Sie machen früh die Erfahrung, dass das, was wichtig ist und zentralen Halt gibt, auseinanderbrechen kann: die Familie. Kinder sind viel stärker nach innen mit der familiären Diplomatie beschäftigt als früher. Sie haben daher weniger Energie, die Welt umzugestalten. Und hier kommen die sozialen Netzwerke ins Spiel.
Weil sich Kinder dort einen Familienersatz suchen?
Überspitzt gesagt ja. Sie wollen sich möglichst breit mit der sozialen Welt verbinden. Sie wollen viele Freunde und Freundeskreise im Internet aufbauen, um das Gefühl zu haben, aufgehoben zu sein. Und die Auswahl der Bindungsebenen sind da ja groß: Musik, Serien, Videos, Posts und, und, und. Aber das Ganze hat auch eine Kehrseite.
Und wie genau sieht die aus?
Die sozialen Netzwerke geben den Kindern zwar Halt, entwickeln aber auch eine Sogkraft. Kinder fühlen den Zugzwang, die Medien zu bedienen, sich weiterzuentwickeln und ständig an ihrem Selbstbild zu feilen. Dadurch entsteht Druck und Stress. Und das setzt sich im Jugendalter fort.
Inwiefern?
Für Jugendliche ist die Brüchigkeit nicht mehr das dominante Thema. Sie spüren, dass die Welt so viel bereitstellt. Die Jugendlichen sind in einer digitalen Welt aufgewachsen und haben dadurch eben ziemlich viel, ziemlich schnell verfügbar. Was man früher mühselig erwerben musste, Schallplatten, Bücher und so weiter, bekommen wir mit Spotify oder Netflix heute ja gefühlt frei Haus.
„Wenn wir hier überhaupt von einem Generationenkonflikt sprechen können, dann ist dieser sehr subtil.“
Das klingt doch nach Unbeschwertheit.
Ja, aber in einer Welt, in der so viel da und möglich ist, fragen sich die Jugendlichen: Wie kann ich das übertreffen? Der Erwartungsdruck ist groß, mindestens Start-up-Millionär oder erfolgreicher Youtuber zu werden.
Apropos Youtuber, welche Rolle spielen denn Rezo, Bam, Luca und Co.?
Die sind wichtig für den Nachwuchs. Er identifiziert sich damit. Die Jugend erzieht sich mit Tutorials oder politischen Einordnungen ein bisschen selbst.
Und daraus lässt sich ableiten, dass die Jugendlichen nicht desinteressiert sind.
Ja, Lernen ist wichtig. Aber die Jugendlichen fragen dabei nicht, wo ist meine persönliche Neigung? Sondern: Was ist angesagt, wo kann ich erfolgreich mitspielen?
Erfolgreich im Hinblick auf Anerkennung im Freundeskreis oder auch im ersten Job?
Beides ist wichtig. Und was die Arbeitswelt betrifft, ist die junge Generation ja in einer komfortablen Position. Sie kennt die Situation auf dem Arbeitsmarkt und den Fachkräftemangel. Da kann und will sie die Arbeitswelt der Zukunft mitgestalten.
Und wie soll die aussehen?
Man hat viel Zeit für sich, alle sind direkt per du, kaum Hierarchien, zeitliche und räumliche Flexibilität. Die jungen Leute wollen klarmachen, was ihnen wichtig ist. Und darauf werden sich Wirtschaft und Arbeitswelt weiterhin einstellen müssen.
Und wie geht es jetzt weiter mit Jung und Alt?
Es wäre wünschenswert, wenn es mal zu einem richtigen Konflikt käme. Wir brauchen eine neue Streitkultur und kein symbiotisches Betroffenheitsabkommen. Denn ein Generationenkonflikt ist auch immer ein Entwicklungsmotor, der neue Ideen bringt.
Zur Person

Stephan Grünewald
- Diplompsychologe und Gründer des Kölner Rheingold-Instituts.
- Das Institut führt jährlich mit 5.000 Personen aus allen Alters- und Bevölkerungsschichten tiefenpsychologische Interviews.
- In diesem Jahr erschien Grünewalds viertes Buch: „Wie tickt Deutschland?“
Hintergrund: Jugendliche wollen mehr Einflussmöglichkeiten
Das politische Interesse ist groß, der Verdruss über zu wenig Mitspracherecht aber auch. Das sind immer wieder- kehrende Ergebnisse unterschiedlicher Jugendstudien. aktiv zeigt im Überblick, was die jungen Leute besonders beschäftigt.
- Fridays for Future. Alles begann mit der Rede der 16-jährigen Greta Thunberg auf dem Klimagipfel in Kattowitz. Das war im vergangenen Dezember, und inzwischen ist die Schwedin das Gesicht der jungen Klimabewegung Fridays for Future. In der westlichen Welt gehen mittlerweile jeden Freitag Schülerinnen und Schüler auf die Straße statt in die Schule, um gegen den Klimawandel zu demonstrieren. Sie finden auch Unterstützer in Wissenschaft und Politik.
- Artikel 13. Im März zogen europaweit Zehntausende junge Leute auf die Straßen und demonstrierten gegen die Reform des EU-Urheberrechts. Artikel 13, der übrigens jetzt Artikel 17 heißt, war besonders umstritten: Nach ihm sollen soziale Netzwerke das Urheberrecht, also das geistige Eigentum besser schützen - durch sogenannte Upload-Filter zum Beispiel. Die Gegner befürchteten die Einschränkung ihrer Freiheit. Die Reform wurde beschlossen, und Deutschland muss die Richtlinie nun umsetzen. Die Regierung gab das Versprechen ab, dass dies ohne Upload-Filter passieren soll.
- Influencer werden politisch. Kurz vor der Europawahl veröffentlichte der Youtuber Rezo sein Video „Die Zerstörung der CDU“. Unmittelbar danach taten es ihm 70 bekannte Youtuber gleich. Sie forderten ihre Altersgenossen auf, zur Wahl zu gehen und ihr Kreuz nicht bei einer der großen Parteien zu machen. Auch Influencer, die sich bis dato ausschließlich mit Lifestyle beschäftigt hatten, wurden über Nacht politisch. Ihre größten Kritikpunkte: die große Koalition und der Umgang mit dem Klimawandel.