Grafenau/Düsseldorf. Hübsche Hausfassade, hölzerne Sitz-Fensterbänke, der Aperol-Spritz läuft an diesem sonnigen Vormittag auch schon ganz gut – das „Oma Erika“ im Düsseldorfer Stadtteil Flingern ist ein Café mit Klasse. Und einem Problem: Personalmangel! „Wir finden keine Leute für den Service“, sagt Betreiber Uli Müller.

Jammern aber ist nicht so Müllers Ding. „Man muss sich was einfallen lassen, das Beste aus seinen Möglichkeiten machen.“ Ein Fenster des Ladens hat er deshalb zu einer Art zentralem Bestellpunkt für die Außengastronomie umbauen lassen – „das entlastet mein Personal!“ Auch die Schnippelarbeit in der Küche hat das Team optimiert. „Seither sind wir viel produktiver“, sagt Müller. Zu wenig Leute, trotzdem höhere Produktivität – wenn’s doch nur überall so einfach wäre wie bei „Oma Erika“!

1,7 Millionen Stellen sind unbesetzt

Ist es aber nicht. Und deshalb, Deutschland, haben wir ein Problem! Dem Arbeitsmarkt hierzulande gehen die Menschen aus. Krasse 1,7 Millionen Stellen waren bereits Ende des vergangenen Jahres unbesetzt. 43 Prozent mehr als ein Jahr zuvor! Das ergab eine Erhebung des IAB-Forschungsinstituts der Arbeitsagentur. Und die Lage wird sich kaum verbessern.

Im Gegenteil. Weil bis Ende der 2030er-Jahre die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, in Rente gehen, droht dem Arbeitsmarkt ein neuerlicher, weit dramatischerer Aderlass. Allein in den nächsten 15 Jahren dürfte die Zahl der potenziell berufstätigen Bevölkerung um fünf Millionen Köpfe sinken. „Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind gravierend und gefährden unseren Wohlstand“, warnt folgerichtig eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Roboter unter sich: Die Zahl der menschlichen Arbeitskräfte wird hierzulande bald dramatisch abnehmen.

Was also tun? Wie kriegt man es hin, dass demnächst deutlich weniger Menschen zumindest das Gleiche erwirtschaften? Antwort: „Die Produktivität muss steigen“, sagt IW-Forscher Oliver Stettes. Eben so wie bei „Oma Erika“.

Und dabei helfen sollen: Roboter! Stettes: „Automatisierung kann durchaus ein Mittel gegen den Fachkräftemangel sein.“ Heißt: Für Menschen, die in Rente gehen, könnten zukünftig Maschinen die Lücke schließen. Das Potenzial ist gewaltig, die Anfänge schon zu sehen: Assistenzroboter in Operationssälen, Reinigungsroboter, Lieferroboter in Warenlagern, aber auch „Software-Bots“, die Büroarbeiten in Windeseile erledigen – alles längst da!

Und sicher nicht das Ende der Fahnenstange. Nach einer IAB-Schätzung arbeitet hierzulande ein Drittel aller Beschäftigten in einem Beruf, den zukünftig womöglich auch eine Maschine erledigen könnte. Schon heute ist Deutschland laut Zahlen des Branchenverbands International Federation of Robotics mit rund 230.000 Industrie-Robotern die am stärksten automatisierte Volkswirtschaft in der Europäischen Union.

Je größer die Engpässe, desto eher lohnt sich Technologie

Bislang setzten vor allem Großunternehmen, in der Automobil-Industrie beispielsweise, auf die Dienste von Robotern. Im Mittelstand und bei kleineren Unternehmen dagegen waren die stählernen Kollegen selten anzutreffen. Grund: zu teuer, zu groß, schwer zu integrieren.

Wegen des Fachkräftemangels aber könnte sich das jetzt ändern, glaubt auch Professor Ulrich Zierahn von der Universität im niederländischen Utrecht. „Je größer die Engpässe bei den Fachkräften werden, desto eher lohnt es sich für Firmen, auch in teurere Technologie zu investieren“, so Zierahn im Gespräch mit aktiv.

Und: „Cobots“, kleine Roboter, die mit dem Menschen Hand in Hand arbeiten können, boomen. Weltweit hat sich die Zahl der jährlichen Neuinstallationen zwischen 2017 und 2020 verdoppelt. Experten erwarten, dass der Fachkräftemangel gerade kleinere und mittelständische Unternehmen in den nächsten Jahren geradezu zur Automatisierung zwingen wird.

Maschinen sollen Menschen entlasten. Nicht ersetzen!

Manche haben das schon hinter sich. Grafenau im Bayerischen Wald, gut 8.000 Einwohner, einen Steinwurf nur von der Grenze zu Tschechien. Am Ortsrand schmiegt sich das Werkgelände des Familienunternehmens „BS Blech mit System“ an einen fichtenbewachsenen Hügel. Das Unternehmen macht in Gehäusetechnik, die Auftragsbücher sind pickepacke voll. Das Land braucht Ladesäulen dank boomender E-Mobilität. Doch auch hier – wieder „Oma Erika“.

„Wir haben Arbeit bis unter die Decke“, sagt Geschäftsführer Fabian Schremmer, „aber wir finden keine Leute.“ Weil besonders Schweißer kaum zu kriegen sind, setzt das Unternehmen seit rund einem Jahr auf zwei Schweiß-Cobots. Seither teilen sich Mensch und Maschine die Aufgaben. „Hohe Stückzahlen und einfache Schweißnähte übernimmt der Roboter, die komplexen Aufgaben erledigt der Mensch“, sagt Schremmer. Weil Cobot und Kollege parallel arbeiten können, ist die Produktivität des Unternehmens gestiegen. „Die Cobots leisten einen echten Beitrag zur Zukunftssicherung unserer Firma“, sagt Schremmer.

Bis dahin aber war es ein langer Weg. Über Jahre habe man schon nach Automatisierungslösungen gesucht. „Aber traditionelle Industrie-Schweißroboter passten einfach nicht zu unseren kleinen Stückzahlen.“ Mit den neuen Cobots sehe das nun endlich anders aus. Jetzt sucht die Firma nach weiteren Automatisierungsmöglichkeiten. „Nicht um unser Personal zu ersetzen, sondern um es zu entlasten“, betont der Chef. Noch ist der Markt der kollaborierenden Roboter überschaubar. Weniger als 5 Prozent der Tätigkeiten bei kleineren und mittelständischen Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe sind derzeit automatisiert, so eine Schätzung des Deutschen Robotik-Verbands. Doch mit jedem neuen Cobot wächst derzeit die Vielfalt der Einsatzgebiete: Spritzguss, Fräsen, Kleben, Polieren, Verschrauben, Entgraten – technisch gesehen lässt sich heute bereits so gut wie alles automatisieren! Und die Branche ist optimistisch: Sie sieht weltweit ein Potenzial von neun Millionen Cobots!

Ohne gute Ausbildung wird’s wohl schwer

Nur: Wenn Roboter demnächst so gut wie alles können, nie krank sind, nicht müde werden, müssen sich menschliche Fachkräfte nicht vielleicht doch Sorgen machen um ihren Job? Ein wenig zögert Professor Ulrich Zierahn da mit der Antwort. Dann: „Es kommt drauf an, über wen man da spricht.“ Einerseits, so Zierahn, belege die Forschung klar, dass Automatisierung unter dem Strich keine Jobs vernichte, sondern mehr Beschäftigung aufbaue.

Nur: Davon profitiere eben nicht jeder im gleichen Maße. „Wer sich weiter qualifiziert, fit macht für sich verändernde Aufgaben, der profitiert dann auch von der durch Roboter gestiegenen Produktivität“, sagt Zierahn. Heißt: Man verdient mehr. Menschen ohne Ausbildung oder die Bereitschaft zur Fortbildung könnten es dagegen schwer haben, sich in der neuen Arbeitswelt zurechtzufinden. Zu welchem Lager man gehöre, „das liegt dann immer an den Möglichkeiten der Leute“. Und da ist man dann schon wieder – bei „Oma Erika“.

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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