Düsseldorf. Bei einigen internationalen Verkehrsprojekten kommt es zu massiven Verzögerungen. Und Deutschland gilt da häufig als Bremser. Sind wir zu langsam? aktiv sprach darüber mit Alexander Labinsky, Experte für europäische Infrastrukturprojekte beim Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen Prognos.

Warum dauern große Bauvorhaben in Deutschland so lange?

Das hat viele Gründe. Klar, zunächst einmal die komplizierten Zuständigkeiten. An Großprojekten sind neben dem Bund und den Ländern auch untergeordnete Behörden beteiligt. Beispiel neuer Großflughafen in Berlin: Der Landkreis Dahme-Spreewald ist da verantwortlich für das gesamte Brandsicherungssystem. In solchen Fällen braucht es statt Wirrwarr der Zuständigkeiten eine Kompetenzbündelung, damit klare Entscheidungen schnell getroffen werden.

Es gibt aber auch andere Gründe?

Ja. Wir haben zu wenige Ingenieure in den Planungsbehörden und bei der Bahn. Wir haben zu wenige Richter, weshalb sich Klagen gegen Verkehrsprojekte hinziehen. Und wir haben zu wenige Mitarbeiter bei den Baufirmen. All das führt zu weiteren Verzögerungen.

Manchmal hat man den Eindruck, Deutschland hat keinen Plan …

In der Tat fehlt bei uns eine Strategie für Großvorhaben! Es gibt zwar den Bundesverkehrswegeplan, aber keine Vision wie: Wo wollen wir 2030 stehen? Hierzulande müssen wir jedes einzelne Projekt bis ins Detail begründen, anstatt auf eine Gesamtstrategie zu verweisen. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Bürger den Sinn einer Baumaßnahme oft nicht erkennen – und womöglich dagegen vorgehen.

Die Bürger sehen oft nur Nachteile?

Leider ja. Die Experten und Politiker sollten mehr die Vorteile kommunizieren, wie neue Bahnhaltestellen nahe am Wohnort. Und wenn auf den Güterwagen stünde, was da drin ist, würden die Menschen eher verstehen, was sie von der Strecke haben. Ach klar – da kommt ja mein neues Auto, mein neuer Laptop!

Wie könnte es schneller gehen?

Nehmen wir als Beispiel die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, die in der Bevölkerung auf eine große Akzeptanz stießen. Ende 1991 wurden die Vorhaben zwischen Ost und West über eine besondere Gesetzgebung auf den Weg gebracht. Und die Bürger konnten nur beim Bundesverwaltungsgericht klagen, was einen zeitraubenden Weg durch die Instanzen vermied. Zahlreiche Autobahnprojekte wurden schon nach acht bis zehn Jahren fertig. Ende 2018 hat der Bund erneut ein Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz verabschiedet. Jetzt dürfen bei allen Großprojekten vorläufige Genehmigungen erteilt werden, um Vorarbeiten zu beginnen, wie etwa die Beseitigung von Kriegsbomben.

Trotzdem dauern ambitionierte Projekte bei uns sehr lange.

Ja, 20 Jahre muss man inzwischen kalkulieren. Wir leben halt in einem dicht besiedelten Land – und zum Glück nicht in China, wo Großprojekte häufig ohne Rücksicht auf Verluste durchgedrückt werden.

Läuft es bei unseren Nachbarn besser?

Zumindest in der Schweiz. Dort gibt es zu wichtigen Themen eine Volksabstimmung. So entschied 1994 die Mehrheit, dass möglichst viele Lkws im Transitverkehr huckepack per Schiene durch die Schweiz transportiert werden. Ein klarer Auftrag an die Politik, die Eisenbahninfrastruktur zu stärken und einen neuen Gotthard-Tunnel bohren zu lassen. Inzwischen werden 70 Prozent der Güter per Bahn durch die Alpen gekarrt. Die Zahl der Lkw-Fahrten ging von 1,4 Millionen im Jahr 2000 auf 941.000 zurück. Es könnten sogar noch weniger sein.

Woran hakt es denn?

Das Nadelöhr sind die Zulaufstrecken, beispielsweise zum Gotthard-Tunnel. Vor allem Deutschland hinkt mit der Fertigstellung um Jahrzehnte hinterher.

Und das ist kein Einzelfall?

Ähnlich verhält es sich mit dem Fehmarnbelt-Projekt im Norden Deutschlands. Dieser Tunnel ist für Dänemark extrem wichtig, weil er schnelle Verbindungen zu deutschen Wirtschaftszentren und den Häfen Hamburg und Bremerhaven ermöglicht. Deutschland dagegen sieht die Linie eher als regionale Verbindung und macht deshalb weniger Druck.

Deutschland sollte Tempo machen?

Richtig! Wir liegen im Herzen Europas. Wenn wir die internationalen Projekte nicht auf die Kette kriegen, hat Europa ein Riesenproblem.