Attendorn. Silberhochzeit und 25. Firmenjubiläum fallen bei Samir Balic fast zusammen. Denn er hatte 1994 auf Anhieb die Frau fürs Leben und einen guten Arbeitgeber erwischt. Seine Frau - wie auch ihre ganze Familie - arbeitete bei Viega, einem Familienunternehmen im Sauerland, das Installationstechnik für Sanitär und Heizung produziert. Und der Schwiegervater hatte sich für Balic beim Personalleiter eingesetzt. Denn der damals 20-Jährige war Kriegsflüchtling aus Montenegro, nur mit einer Duldung, ohne Ausbildung.

Ehemalige Hilfskraft ist heute Chef von 95 Mitarbeitern

Er startete in Attendorn als Hilfskraft mit befristetem Vertrag, an einer Entgratungsmaschine. Der Mann hat sich gemacht: Heute, inzwischen 45 Jahre alt, leitet Balic eine Produktionslinie mit 95 Mitarbeitern in drei Schichten.

Sie stellen Rohrverbindungen (Fittings) für Trinkwasser- und Heizungsleitungen her. Viega ist Weltmarktführer für Pressverbindungssysteme aus Metall, die in zahlreichen Wohnhäusern, aber auch in vielen berühmten Gebäuden wie der Hamburger Elbphilharmonie oder dem US-Verteidigungsministerium Pentagon verbaut werden. Zudem verrichten sie ihren Dienst in Schiffen und Industrieanlagen. Und Balic ist verantwortlich für den gesamten Fertigungsprozess: vom Gießen der Rohlinge bis zur Auslieferung der Fittings an die Kunden.

Er wollte studieren – doch dann brach der Bürgerkrieg aus

Seine Geschichte fängt mit dem Bürgerkrieg in Bosnien an. Beim Ausbruch 1992 ist Balic 18 und gerade mit dem Gymnasium fertig. Er stammt aus einer Kleinstadt in Montenegro und hat sich für ein Wirtschaftsstudium im bosnischen Sarajevo eingeschrieben. Plötzlich ist er im Feindesland und soll eingezogen werden.

„Ein Onkel lebte schon lange in Deutschland, und wir dachten, der Krieg ist bestimmt nach drei bis vier Monaten vorbei, ich kann so lange bei ihm abwarten“, erinnert er sich. So flieht er ohne Pass und Visum nach Deutschland. „Aber der Krieg wurde immer heftiger. Ich wollte dem Onkel nicht länger zur Last fallen und fing an, auf Montage zu arbeiten.“

Seine Duldung wird alle drei Monate verlängert, jedes Mal heißt es: „‚Das nächste Mal packen Sie die Koffer …‛ Ich hatte das Gefühl, nichts planen zu können. Aber ich wollte ja eh zurück.“ Dann aber die Liebe, bald die Hochzeit, und der erste Job bei Viega, Beginn einer Glückssträhne. Ein Jahr später tippt Balic fünf Richtige plus Zusatzzahl im Lotto. „86.700 Mark“, erinnert er sich noch genau an den Gewinn. Damit kann sich das junge Paar ein Haus finanzieren – und die Rückkehr in die Heimat hat sich endgültig erledigt.

Fast die ganze Familie arbeitet beim selben Unternehmen

Der älteste Sohn arbeitet inzwischen auch bei Viega, als Verfahrensmechaniker, sein jüngerer Bruder macht hier eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Vielleicht wird auch der dritte Junge eines Tages die Familientradition bei Viega fortsetzen. „Ich bin ein Glückspilz!“, sagt Balic.

Glück hatte er zugegeben reichlich im Leben, aber vieles war auch harte Arbeit. Balic ergriff die Chancen, die sich boten, stieg schnell vom Bediener zum Einrichter und dann zum Vorarbeiter auf.

2008 fragte die Personalabteilung, ob er Lust habe, die Meisterschule zu besuchen. Das Unternehmen bescheinigte ihm langjährige Erfahrung im Beruf des Gießereimechanikers. „Das war für einen Ungelernten wie ein Jackpot!“

Seit drei Jahren ist er für die größte Produktionslinie am Fertigungsstandort Attendorn-Ennest verantwortlich. Unter seinen neun Azubis ist ein junger Asylbewerber aus Ägypten, der in seiner Heimat Rechtsanwalt war und nun Maschinenanlagenführer lernt. Außerdem arbeiten in seiner Abteilung zwei Flüchtlinge aus Eritrea, die ihre Lehre bei Viega schon abgeschlossen haben.

„Ich weiß, wie wichtig es ist, den Mitarbeitern Wertschätzung zu zeigen“

Für eine erfolgreiche Führungskraft sei es wichtig, alle Positionen „selbst durchgemacht zu haben“, meint Balic. „Ich weiß, wie ein Maschinenbediener oder -einrichter denkt. Und ich weiß, wie wichtig es ist, den Mitarbeitern Wertschätzung zu zeigen. “

Stolz ist Balic vor allem, weil er zu den Ausgewählten zählt, die das Wertegerüst der Firma mit über 4.000 Mitarbeitern weltweit formulieren durften. Die 50-köpfige Gruppe, die sich aus Vertretern verschiedener Abteilungen und Standorte zusammensetzte, hatte die Aufgabe, das „Viega-Gen“, die Seele des Unternehmens, in ein paar kurze Sätzen zu packen. Dann sollte Balic einen dieser fünf Werte vor rund 600 Kollegen präsentieren. Er entschied sich für: „Zeige Respekt!“

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Schon in jungen Jahren hatte ich klare Karrierevorstellungen. Viega hat mir diesen Traum erfüllt. Wir bekommen von der Firma alles, um unsere Ziele zu erreichen: Vertrauen, Weiterbildung, Unterstützung.

Was reizt Sie am meisten?

Ich begeistere gern Menschen. Wichtig ist, immer die Stärken des Gegenübers hervorzuheben. Gute Kommunikation ist das A und O.

Worauf kommt es an?

Auf Belastbarkeit – und die Führungsrolle lieben, nicht spielen. Als Führungskraft muss man konsequent sein: Loben, aber auch sagen, was nicht gut läuft.

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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