Nürnberg. Nüchterne Wände aus Sichtbeton, hier und da ragt ein Kabel aus der Decke, ein Handwerker ruft fluchend nach seinem Kollegen: Der Ort, von dem aus man bald einen Blick in unsere Zukunft werfen kann, sieht noch aus wie ein Rohbau. Melanie Saverimuthu aber ficht das nicht an. Mit federnden Schritten eilt die Kuratorin des neuen Deutschen Museums Nürnberg durch das jungfräuliche Gebäude. Sie deutet nach links und rechts, feuert dabei verbal ab, was hier bald alles zu sehen sein wird. Ein Flugtaxi hier – eine Raumkapsel dort: „In der wurden im All sogar schon Tomaten gezüchtet.“

Welche Folgen hat neue Technik für unser Leben?

Man hört die Begeisterung in ihrer Stimme, doch wenn man dann fragt, wie es denn jetzt konkret aussehen wird, unser aller Leben in der Zukunft, bleibt Saverimuthu abrupt stehen, schaut ein wenig streng und sagt: „Wir sind keine Kristallkugel. Und außerdem: Es gibt nicht nur die eine Zukunft, vieles ist möglich.“ Spätestens dann ahnt der Besucher: Wird wohl doch was komplizierter mit dem Blick in die Zukunft.

Aber dafür umso spannender! Denn hier, mitten in der Nürnberger Altstadt, entsteht gerade Einzigartiges: das erste Zukunftsmuseum der Welt!

Während man in Museen sonst ja eher Vergangenes bestaunt, soll man hier den Blick nach vorn richten. Und sich den großen Fragen von morgen stellen: Wie werden wir in Zukunft leben und arbeiten? Wie bewahren wir unseren Planeten? Werden die Maschinen die Macht übernehmen? „Wir wollen, dass sich der Besucher auch mit den Folgen technischer Innovationen auseinandersetzt“, erklärt die Kuratorin.

Innovationsforscher erwarten radikale Veränderungen durch neue Technologien

Fakt ist: Von der Dampfmaschine bis zur Digitalisierung – technischer Fortschritt hat ganz zwangsläufig stets einen immensen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen. Von daher dürfte uns zukünftig wohl so einiges ins Haus stehen: Wegen immer rasanterer Fortschritte etwa bei künstlicher Intelligenz oder Robotik erwarten Innovationsforscher schon in nächster Zeit starke Veränderungen in weiten Teilen unserer Wirtschaft. Bewegte Zeiten also – die wiederum einiges an Unsicherheiten auslösen dürften. „Und gerade deshalb sind Wissenschafts- und Technikmuseen heute wichtiger denn je!“, betont Professor Helmuth Trischler, renommierter Münchner Technikhistoriker und Mitglied der Nationalakademie Leopoldina, gegenüber aktiv.

Laut Trischler sorgen Technikmuseen nicht nur für ein besseres Verständnis von Innovationsprozessen und der Notwendigkeit wissenschaftlicher Kontroversen. „Solche Museen binden die Öffentlichkeit mit neuen Formaten partizipativer Wissensvermittlung aktiv ein, sie wirken berufsstiftend und bilden damit ein wichtiges Bindeglied in der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette.“

Hyperloop und Quantencomputer

Technik zum Anfassen also – das wollen sie auch im Nürnberger Zukunftsmuseum leisten. Wobei das ja so eine Sache ist. Denn: Wie stellt man eigentlich Dinge aus, die es in echt bisher noch gar nicht gibt? „Wenn die Objekte noch nicht existieren, dann stellt man den Weg dorthin aus – die Prototypen“, sagt Andreas Gundelwein dazu, der Projektleiter des ambitionierten Museums. Um diese Teile zu beschaffen, reisten Gundelwein und sein Team durchs Land, monatelang. Man knüpfte Kontakte zur Industrie, zu Forschungseinrichtungen und zu Start-ups. Das ehrgeizige Ziel: Wissenschaft und Technik von morgen schon heute greifbar zu machen.

Es sieht so aus, als wäre das gelungen. Ein schnittiges Solarauto und der Prototyp für den Hyperloop stehen im neuen Haus bereits an ihren Plätzen. Ebenso die magnetisch angetriebene Hochgeschwindigkeits-U-Bahn und ein wie eine Turbine aussehendes Ungetüm, mit dem sich Kohlendioxid aus der Luft abscheiden lässt. Und unter der Decke schwebt ein gigantischer Globus, auf den bald Wetterdaten von Satelliten projiziert werden sollen: „So kann man Winde, Meeresströmungen oder die Erhitzung von Kontinenten beobachten“, erklärt Kuratorin Saverimuthu.

Besucher können Carrerabahn mit Hirnströmen steuern

Das klingt imposant. Und es gibt noch viel mehr: eine Carrerabahn, die mit den eigenen Gehirnströmen gesteuert werden kann, einen kollaborativen Roboter, gegen den man im Wettkampf antreten darf, ein Holodeck wie bei „Star Trek“, auf dem man mit VR-Brille in zukünftige Welten eintaucht.

Aber: Was den Machern hier am Herzen liegt, ist mehr als reine Materialschlacht oder Wissenschaftsanbetung. Saverimuthu: „Wir wollen, dass unsere Besucher zwischen Vor- und Nachteilen der Technik abwägen.“

Und sich gerne auch die Frage stellen, ob Technik denn wirklich alles darf, was sie theoretisch kann. Beim Gang durchs Museum ist Saverimuthu mittlerweile im zweiten Geschoss angelangt: um „Körper und Geist“ soll es hier unter anderem gehen. Auch um Gentechnik. Und um die heikle Frage, welche Art von Fehlentwicklung beim menschlichen Embryo unsere Gesellschaft zukünftig noch zulassen soll – oder gibt es künftig nur noch Barbie und Ken?!

„In der Ausstellung wird man auch miterleben können, wie in einer Versuchsanordnung ein menschliches Herz im 3-D-Drucker entsteht“, sagt Saverimuthu. Das klingt gruselig. Andererseits: Wäre das irgendwann nicht ein Segen für alle, die sehnsüchtig auf ein Spenderorgan warten? „Aber wenn Organe quasi beliebig verfügbar sind“, gibt die Kuratorin zu bedenken, „welche Folge hat das dann wieder für unseren Umgang mit dem eigenen Körper?“

Ein Hightech-Museum, das vor allem zum Nachdenken anregen will

Vielleicht ist es genau das, was das neue Nürnberger Zukunftsmuseum von herkömmlichen Technikmuseen unterscheidet: Es stellt eher Fragen, als dass es Antworten gibt. Und stellt den Dialog über die Technik – und eben auch die Ethik – in den Fokus. Schon rein baulich. Denn: Herz des Museums ist ein das sogenannte Forum, eine riesige Tribünen-Treppe. Stündlich (!) soll hier zukünftig diskutiert werden, über Technik und ihre Folgen. Über die Zukunft. Von der sie auch im Zukunftsmuseum natürlich nicht so genau wissen, wie sie aussehen wird. Das ist auch nicht nötig, denn das eigentliche Ziel des Museums ist ein ganz anderes: Dem Besucher zu zeigen, dass die Zukunft nichts ist, was einfach so passiert – „sondern etwas, das wir alle selbst gestalten können“.

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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