Karlsruhe/Düsseldorf. Ein Fake-Profil auf Facebook oder Instagram ist leider schnell angelegt. Und „pling“ – schon lädt jemand damit peinliche Fotomontagen hoch. Etwa die junge Kollegin als knackiges Schweinchen, gleich daneben der Chef, mit Schnapsflasche und Partyhut. Großes Gekicher, wenn so etwas im Firmenchat die Runde macht. Also einen launigen Kommentar unters Bild gesetzt und Daumen hoch für den anonymen Post? Nein, das lässt man besser bleiben! Manche finden solche Aktionen zwar lustig. Der- oder diejenige, die es trifft, aber meistens nicht.

Vor allem, wenn sich solche digitalen Attacken wiederholen, richtig gemein und persönlich werden und sich womöglich über längere Zeit hinziehen. Dann spricht man von „Cybermobbing“, also dem systematischen Beleidigen, Belästigen oder Bloßstellen eines Menschen mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel.

Digitale Hetze unter Erwachsenen

Anfeindungen im Netz sind nicht etwa nur ein verbreitetes Phänomen unter Jugendlichen und an Schulen. Auch viele Erwachsene sind im Alltag bereits mit digitaler Hetze in Kontakt gekommen. Das stellt das „Bündnis gegen Cybermobbing“ in Karlsruhe in einer aktuellen Bestandsaufnahme für den deutschsprachigen Raum fest. Zwei Drittel der Befragten zwischen 18 und 65 Jahren gaben demnach an, schon einmal Beobachter, Schlichter oder auch selbst Betroffener von Cybermobbing gewesen zu sein. Ein kleiner Teil (2,4 Prozent) gab sogar offen zu, selbst Täterin oder Täter gewesen zu sein.

Die stetig wachsende Online-Kommunikation begünstigt Attacken. In den sozialen Medien macht man sich schnell mal Luft, hinterlässt einen hämischen Kommentar, vergreift sich im Ton. Denn das Web ist ja anonym, man sieht sein Gegenüber nicht und bekommt oft auch gar nicht mit, wie sehr die eigene Aktion andere verletzt.

Das Opfer fühlt sich bedroht, rund um die Uhr

Ein blöder Spruch allein ist natürlich noch kein digitales Mobbing. Doch manchmal nehmen die Anfeindungen aus dem Netz kein Ende. Das Opfer fühlt sich bedroht und bedrängt, sozusagen rund um die Uhr. Solches Cybermobbing hat tatsächlich in den letzten Jahren zugenommen. Das konstatieren Bundesinnen- und -justizministerium in ihrem jüngsten Periodischen Sicherheitsbericht von 2021. Er untersucht erstmals auch Übergriffe im digitalen Raum und kommt zum Schluss: „Digitale Werkzeuge bringen Missbrauch mit sich.“

Teen girl excessively sitting at the computer laptop at home. he is a victim of online bullying Stalker social networks

In vielen Fällen haben die Attacken System. Betroffene sind Gerüchten und Geläster ausgesetzt. Oder sie fliegen plötzlich aus einem Gruppenchat bei Whatsapp, werden also bewusst ausgegrenzt. Das ist mitunter hart und kann auf die Gesundheit durchschlagen. Wer digital gemobbt wird, hat der Karlsruher Studie zufolge jährlich fast doppelt so viele (!) Krankheitstage wie andere Mitarbeitende. Zwischen 15 und 20 Prozent der Betroffenen greifen wegen des Mobbings zu Alkohol, Medikamenten oder Drogen. 30 Prozent litten nach eigenen Angaben deswegen unter Depressionen.

Übergriffe durch Bekanntschaften im Internet

Cybermobbing-Vorfälle unter Erwachsenen gibt es leider überall, im Beruf wie im Privaten – auch das zeigt die Studie. Knapp die Hälfte der digitalen Übergriffe kam demnach aus dem Freundeskreis oder der Familie, gut ein Drittel hatte mit dem Job zu tun. Außerdem berichteten die Befragten auch von digitalen Schikanen aus einem „anderen Umfeld“, etwa in öffentlichen Foren oder durch private Bekanntschaften im Internet.

Wobei das Alter durchaus einen Unterschied macht: Digitale Häme betrifft besonders die Jüngeren. So hat von den 18- bis 24-Jährigen ein Fünftel bereits digitale Hetze erduldet. Mit zunehmendem Alter sinkt der Anteil, bei den 35- bis 44-Jährigen berichtet noch rund ein Zehntel von unfairen Attacken via Internet.

Uwe Leest, Vorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing, gibt eine mögliche Erklärung, warum gerade die „Generation Smartphone“ zur Zielscheibe wird. „Wer während der Schulzeit erlebt hat, dass Cybermobbing nicht bestraft wird, nimmt das gelernte Verhalten mit in die Arbeitswelt.“ Deshalb sei Prävention und Aufklärung so wichtig. Für beides setzt sich das Bündnis mit Unterstützung von Eltern, Pädagogen, Juristen, Medizinern sowie Forschern besonders an Schulen ein.

Konflikte lassen sich vermeiden, indem man Rollen klar verteilt

Gruppendynamik spielt beim Cybermobbing eine besondere Rolle – auch das besagt die Studie: Einer fängt irgendwie an, am Ende machen fast alle mit. Ein weiterer Grund, weshalb es oft zu Schikanen kommt, ist Ärger des Täters über das Opfer – etwa, weil dieses unliebsame Kritik offen geäußert hat.

Nun lässt sich gerade Letzteres im Job ja nur schwer vermeiden. „Konflikte gehören zum Arbeitsalltag“, betont Psychologe Stephan Sandrock vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft in Düsseldorf: „Man muss unterschiedliche Meinungen auch mal aussprechen können.“ Nur so komme man gemeinsam weiter, etwa bei der Lösung eines organisatorischen oder technischen Problems. „Harte Konflikte lassen sich aber vermeiden, indem man die Rollen im Team klar verteilt“, so der Psychologe weiter. Dann weiß jeder, was er zu tun hat und ist nicht neidisch auf den anderen.

Ein gutes Betriebsklima als Gegenmittel

Das beste Gegenmittel gegen Mobbing im Job, sei es nun „klassisch“ oder eben digital, ist und bleibt: ein gutes Betriebsklima! Da sind sich die Forscher einig. In der jüngsten Erwerbstätigenbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gaben zum Glück immerhin rund 90 Prozent der Befragten an, mit dem Klima im eigenen Betrieb „zufrieden“ oder sogar „sehr zufrieden“ zu sein.

    „Gerade mit einem guten Miteinander können Unternehmen dazu beitragen, dass Cybermobbing erst gar nicht entsteht“, bekräftigt Sandrock. Der Psychologe rät, auf gute Kommunikation zu achten und genügend Raum für Austausch im Kollegenkreis zu schaffen, ganz besonders jetzt in der Pandemie. „Wir brauchen Dinge, die den kleinen Schnack in der Kaffeeküche ersetzen“, so Sandrock, „irgendetwas, das die Leute einander näherbringt.“ Das gehe auch virtuell.

    Gut findet es der Experte, wenn ein Unternehmen Streitschlichter einsetzt oder Ansprechpartner benennt, die als Lotsen fungieren, falls es mal ein Problem mit Mobbing gibt. An solche Kollegen solle man sich ruhig wenden, so Sandrock, oft helfe ja schon ein klärendes Gespräch.

    „Niemand sollte wegschauen, wenn Cybermobbing andere trifft.“

    Grundsätzlich gelte: „Raus aus der Isolation und sich nicht in die Ecke drängen lassen! Digitale Angriffe sollte man auf keinen Fall einfach hinnehmen, sondern sich Bündnispartner suchen“, so der Experte. Das können etwa Kollegen sein, denen man vertraut, oder auch verständnisvolle Vorgesetzte. Wenn es gar nicht anders geht, solle man sich psychologische Hilfe holen.

    Was bei Dauerattacken stets wichtig ist: die Angriffe dokumentieren, als Beweis. Die Übeltäter ruhig den entsprechenden Plattformen melden – auch wenn das manchmal aufwendig ist. Praktische Tipps dazu bietet zum Beispiel die EU-Initiative Klicksafe. In Deutschland gibt es zwar bislang keinen speziellen Straftatbestand für Cybermobbing. Doch können normale Regeln des Strafgesetzbuchs greifen, etwa wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung, übler Nachrede, Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes oder von Persönlichkeitsrechten. Nicht zuletzt kann Cybermobbing arbeitsrechtliche Konsequenzen für die Täter haben.

    Führungskräfte sollten da genau hinsehen, fordert der Psychologe: Sie sind als „Erkenner“ kritischer Situationen gefragt, brauchen gute Antennen, müssen wissen, was los ist in ihrem Team. Wobei Sandrock da auch an jeden einzelnen Kollegen appelliert: „Niemand sollte wegschauen, wenn unfaire Attacken andere treffen!“ Sicher, das erfordert Courage. Aber wer nichts sagt, signalisiert indirekt Zustimmung zu der fiesen Tat.

      Tipps für Betroffene

      • Kurzschlussreaktionen und Gegenangriffe vermeiden, so etwas schafft nur neue Probleme.
      • Raus aus der „Opferecke“: Sich nicht isolieren, sondern Verbündete suchen und sich die Sorgen von der Seele reden.
      • Professionelle Hilfe holen, etwa in speziellen Beratungsstellen.
      • Datenhygiene: Möglichst wenig Privates im frei zugänglichen Internet preisgeben, nur wenige Bilder oder Videos online stellen, Profile auf „privat“ setzen.
      Friederike Storz
      aktiv-Redakteurin

      Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.

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