Auftragsrückgänge, Produktionsstopps, Kurzarbeit – die Corona-Krise hat auch die Unternehmen in der Region kalt erwischt. Insbesondere die Automobilzulieferer sind arg gebeutelt. Doch kein Schatten ohne Licht: Wenn es eng wird, zeigt sich die Stärke der heimischen Industrie. „Sie ist innovativ, umsetzungsschnell und lösungsorientiert“, lobt Özgür Gökce, Geschäftsführer des Märkischen Arbeitgeberverbands.

Im Klartext heißt das: Nicht wenige Unternehmen haben innerhalb kürzester Zeit neue Produkte aufgelegt, mit denen sie Beschäftigung sichern, aber auch das Wohl der Allgemeinheit im Blick haben. Kreativität, kurze Wege, Netzwerke und Engagement der Belegschaft – das sind Faktoren, die sich ausgezahlt haben, wie diese Beispiele zeigen.

1. Der praktische Hygiene-Haken

Türklinken anfassen, Einkaufswagen schieben – solche Hotspots möglicher Virenübertragung gerieten in der Corona-Diskussion schnell in den Blick. Das Kunststoffunternehmen Böhm Plast Technology aus Neuenrade entwickelte innerhalb weniger Tage eine hygienische Lösung.

Anregung war das Bild eines Hakenmodells aus dem 3-D-Drucker, das ein Freund an Geschäftsführer Dennis Böhm geschickt hatte. Vater Detlev Böhm, Mit-Geschäftsführer und erfahrener Werkzeugmacher, entwickelte übers Wochenende ein Werkzeug, innerhalb von fünf Tagen war der praktische Hygienehaken marktreif. Einkaufswagen, Türklinken, Toilettendeckel, Lichtschalter, die Haltewunsch-Taste im Bus: Mit dem multifunktionalen Teil lässt sich einiges ohne direkten Kontakt bewegen. Das hat überzeugt.

„Wir haben keinen klassischen Vertrieb für Endkunden. Also hab ich einfach mal ein Ebay-Konto errichtet und einige Zeitungen informiert“, berichtet Dennis Böhm. 600 Mails an einem Tag und ein Wochenende des Eintütens waren die Folge. Das hat mittlerweile ein befreundeter, auch von Kurzarbeit betroffener Industriegroßhandel übernommen.

Rund 15.000 Haken gingen in den ersten anderthalb Monaten weg. Gut 500 pro Woche sind es noch. „Wir könnten 70.000 Stück in der Woche herstellen“, sagt Dennis Böhm. Produziert wurde auf Lager, verkauft werde mehr oder weniger zum Selbstkostenpreis. „Wir wollten in erster Linie etwas Gutes tun“, sagt der junge Geschäftsführer, der erst im September das Unternehmen übernommen hat: „Retten könnten uns die Haken nicht.“

Spezialist für Kunststoffverarbeitung

Und sie haben die 80 Mitarbeiter auch nicht vor der Kurzarbeit bewahrt. Böhm Plast Technology ist auf hochtechnische Produkte aus Duro- und Thermoplasten spezialisiert. Für große Kunden liefern die Neuenrader hitzebeständige Pfannenstiele, Ventilbaugruppen für Schnellkochtöpfe oder Ausstattungsteile für Restaurantküchen – in Zeiten des Lockdowns waren das schwierige Geschäftsfelder. „Das erste Quartal lief über Plan, im Mai hat es uns dann voll getroffen“, erklärt Dennis Böhm. Bei ersten Kunden ziehe es allerdings wieder an. „Wir hoffen, dass wir so bis zu den Betriebsferien kommen und danach wieder hochfahren können.“ Der Hygienehaken bleibt auf jeden Fall im Programm.

2. Schläuche für Beatmungsgeräte

Rund 40 Prozent seiner Produktion liefert das Unternehmen BIW Isolierstoffe an die Auto-Industrie. Doch als die von heute auf morgen ihre Produktion herunterfuhr, wurde der Zulieferer nicht mehr gebraucht. Dafür setzten andere auf das Know-how und die Fertigungsmöglichkeiten der Ennepetaler.

Statt Kabelschutzsystemen fürs Auto rückten mit Covid-19 plötzlich wiederverwendbare Siliconschläuche für Beatmungsgeräte in den Fokus. In der Sache bekam Geschäftsführer Ralf Stoffels sogar Post von der Bundesregierung. Die hatte die Herstellung von mehreren Tausend Beatmungsgeräten in Auftrag gegeben – und ohne die Schläuche von BIW hätte das nicht erfüllt werden können.

„Wir haben für diese Aufträge zwischen 300.000 und 400.000 Meter produziert. Diese Menge wird sonst in zehn Jahren nicht abgerufen“, sagt der Firmenchef. Dafür wurde der kleine Bereich Medizintechnik im Unternehmen innerhalb kürzester Zeit hochgefahren, wurden Maschinen umgerüstet, Mitarbeiter geschult.

Mehrwert durch Qualität und Entwicklung vor Ort

„Sie waren richtig gut motiviert und sind sehr stolz, dass sie diesen Beitrag leisten konnten“ sagt Ralf Stoffels. „Wir konnten flexibel reagieren und diesen Bedarf schnell decken.“ Er weiß aber auch, dass dieses Hoch ein kurzfristiges ist: „Die Gerätehersteller produzieren diese Menge nicht auf Dauer.“

Als Effekt erhofft er sich aber, dass die Wertschätzung der lokalen Lieferanten wächst: „Wir liefern Qualität vor Ort und machen die Entwicklung hier. Das ist ein Mehrwert.“ BIW produziere zudem wiederverwendbare Schläuche, mit denen sich der viele Müll der Wegwerfartikel vermeiden lasse.

Zumindest einen zusätzlichen neuen Kunden in der Medizintechnik wird BIW wahrscheinlich aus der Krise mitnehmen können. Und auch bei den Hausgeräten, einem anderen Geschäftsfeld des Unternehmens, sei der eine oder andere zurückgekommen, als die globalen Lieferketten unterbrochen waren. Das hat die Einführung der Kurzarbeit in Teilbereichen Mitte Mai zwar nicht verhindern können, lässt aber hoffen.

3. Hygieneschutz und Outdoor-Möbel

Kurzarbeit in Teilbereichen, Ausweitung des Homeoffice, andere Schichtabläufe, strenge Hygienevorschriften: Auch im Unternehmen Paul Müller in Balve, das Logistik- und Verpackungssysteme insbesondere für die Automobil-Industrie herstellt, hat das Corona-Virus einiges auf den Kopf gestellt. Und zugleich eine kreative Welle ausgelöst. „Wir wollten einen Beitrag zum Schutz der Menschen leisten“, sagt Geschäftsführer Tobias Müller, „das war das Hauptziel.“

Und so entwickelte ein Team direkt zum Beginn des Lockdowns innerhalb weniger Stunden einen Spuckschutz, der im Einzelhandel, in Arztpraxen oder Banken vor gefährlicher Tröpfchenübertragung schützen soll. Gemeinsam mit der Firma Optimal Planen aus Menden wurden mobile Trennwände aus mit Kunststoffplanen bespannten Metallrahmen auf den Markt gebracht, die beispielsweise in Krankenhäusern zum Einsatz kommen können.

Mitarbeiter steuerten viele Ideen bei

Den ersten einfachen Modellen sind mittlerweile etliche Varianten gefolgt. „Wir haben darauf reagiert, was gebraucht wurde. Und die Mitarbeiter haben viele Ideen und Gedanken eingebracht“, berichtet Katharina Capua, Assistentin der Geschäftsführung. Es gibt optisch ansprechende Trennwände, die sich auch im Restaurant gut machen.

Für viele Kirchen im Umkreis wurde eine Lösung für die Hostienausgabe gefunden. Abtrennungen für Taxis, Fahrschulen, Bürgerbus und Polizeifahrzeuge sind im Angebot. „Wir haben für uns keine Desinfektionsständer bekommen. Also haben wir sie selbst gebaut. Erst einfach aus Edelstahl, jetzt bieten wir zusätzlich eine schicke Variante aus Kunststoff und Metall an“, sagt Katharina Capua. Das Unternehmen hat den entsprechenden Maschinenpark, kennt sich mit beiden Materialien aus – und mit Holz. Ein großer Vorteil und der direkte Weg in ein weiteres Geschäftsfeld.

Denn durch Auftragsrückgänge war Zeit da, auch eine zuvor nur grob angedachte Idee weiterzuverfolgen und in die Tat umzusetzen: die Sparte Müller-Outdoor. „Wir starten mit geschwungenen Holzliegen, sauerländisch Fläzbänksken genannt. Denkbar sind dann auch besondere Fahrradständer oder ein Bierkühlschrank zum Mitnehmen oder, oder, oder…“, erzählt Katharina Capua. Durch eine CNC-Fräsung könne man die Bänke individualisieren. Sie seien langlebig und nachhaltig – wie das Unternehmen selbst. „Es ist eine harte Zeit, aber sie hat uns in vielem auch nach vorn gebracht.“

Spontane Corona-Hilfen – einige Beispiele

Kaum Schutzmasken für Ärzte und Pflegekräfte: Die Firma Grohe in Hemer half mit 130 FFP2- und FFP3-Masken aus. BIW Isolierstoffe versorgte Ärzte in Ennepetal. Die Firma Carl Hübenthal aus Altena (Zell- und Vliesstoffe) packte mit dem Rotary-Club Hemer 300 Behelfsmasken-Sets aus Tüchern, Klettband und Schnullerclips.

Unterstützung der Hagener Tafel: Führungskräfte von Thyssenkrupp stellten über einen Gehaltsverzicht 5.000 Euro für Lebensmittel zur Verfügung. Tatkräftige Hilfe gab es von den Azubis der Firma C.D. Wälzholz – und zwar beim Packen der Tüten.

Desinfektionsmittel-Knappheit im Plettenberger Krankenhaus: An der Fachhochschule Iserlohn mischte man eine größere Menge aus Laborbeständen und übergab sie zusammen mit Atemschutzmasken und Einwegkitteln.

Hildegard Goor-Schotten
Autorin

Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie außerdem bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten

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