Kaiserslautern. Es sind ungewohnt unsichere Zeiten, in denen wir gerade leben. Wie schafft man es da, gelassen zu bleiben, den Alltag nicht nur irgendwie zu meistern, gar neuen zu Mut zu schöpfen? aktiv sprach darüber mit Ulrich F. Schübel. Der Wirtschaftspsychologe leitet unter anderem das Institut für Veränderungsmanagement, Unternehmensentwicklung und Training.
Angst um die eigene Gesundheit und die der Familie, dazu oft Sorgen um den Job: Was macht das mit der Psyche?
Solche Belastungen wirken sich sehr unterschiedlich aus, je nachdem, wie „stressresistent“ jemand ist. Das wiederum hängt vom individuellen Gesundheitszustand ab, aber auch von den sozialen Beziehungen. Da also Belastungen durch Menschen unterschiedlich verarbeitet werden, können gleiche Belastungen zu unterschiedlicher Beanspruchung führen. Kurzfristig können Anspannung, Reizbarkeit und Angst normale Folgen sein, auf lange Dauer Einschlafstörungen, Ängstlichkeit, Rückzugsverhalten, Hilflosigkeit und Resignation – leider bis hin zu psychosomatischen Erkrankungen oder Depressionen.
Klingt dramatisch.
Es kann aber zum Glück oft auch anders sein: Belastungen können sogar positiv wirken! Dann nämlich, wenn die Situation als Herausforderung gesehen wird, zu deren Bewältigung man mit den eigenen Kompetenzen beitragen kann.
„Belastungen können sogar positiv wirken.“ Ulrich F. Schübel, Diplom-Psychologe
Da hilft es, die Perspektive zu wechseln, sich die Frage zu stellen: Was könnten die guten Seiten der aktuellen Situation sein? Etwa die Extra-Zeit für die Familie. Ein sonst oft zu kurz kommendes Hobby. Vielleicht der Sport – oder ein Online-Sprachkurs, den man schon lange mal beginnen wollte – bis hin zu Gedanken über die persönliche berufliche (Weiter-) Entwicklung, für die man im Alltag sonst keine Zeit hatte.
Die Perspektive wechseln, um cool zu bleiben: Interessant, aber gar nicht so einfach … Sind eigentlich einige Menschen schon von Natur aus gelassener als andere?
Die psychologische Forschung zeigt tatsächlich, dass der Umgang mit Unsicherheit sich von Mensch zu Mensch sehr unterscheidet. Die sogenannte Ambiguitätstoleranz, also die Fähigkeit, mit unsicheren, nicht überschaubaren Situationen und Entwicklungen gut zurechtzukommen, wird als Persönlichkeitsmerkmal stark durch den individuellen Sozialisationsprozess in Familie, Freundeskreis und Beruf geprägt.
Kann man es denn lernen, in ungewissen Situationen gelassen zu bleiben?
Grundsätzlich ja – allerdings geht das nicht von heute auf morgen. Hier sind derzeit alle im Vorteil, die Entspannungstechniken wie Meditation oder Yoga schon wenigstens halbwegs beherrschen. Vielleicht bringt die Corona-Situation da einen Lerngewinn, schärft den Blick dafür, dass es lohnenswert sein kann, hier eigene Kompetenzen aufzubauen.
Sollte man vielleicht derzeit bewusst weniger Nachrichten schauen?
Das Bedürfnis, jederzeit die aktuellste Entwicklung im Auge zu haben, ist verständlich – es führt aber zu einer sehr starken Fokussierung von Aufmerksamkeit und Denken auf dieses eine Thema. Und das verstärkt sicher vorhandene Ängste! Sich dem Corona-News-Bombardement bewusst zu entziehen, ist also tatsächlich eine gute Strategie: Man sollte kritisch prüfen, welche Newsfeeds man benötigt und ob die Abendnachrichten eines seriösen Senders nicht ausreichen, um den Überblick zu behalten.
Viele arbeiten nun eher unfreiwillig im Homeoffice. Oder in Kurzarbeit viel weniger als sonst. Wie lässt sich da der Frust bekämpfen – oder die Langeweile?
Es kann helfen, sich den Tag so zu strukturieren, als wäre man normal im Job. Heißt: (Arbeits-)Aufgaben planen, Telefon- oder Videochat-Termine vereinbaren, eine gewisse Routine beibehalten. Und man sollte sich nicht im Jogging-Anzug an den Schreibtisch setzen, sondern im Büro-Outfit. Ganz wichtig ist es, in der Pause an die frische Luft zu gehen, damit einem die Decke zu Hause nicht auf den Kopf fällt.
Die neuen Kommunikationswege und andere Homeoffice-Praktiken sind für manche auf Anhieb nicht so einfach zu bewältigen... Können Sie dafür Tipps geben?
Bei Videokonferenzen ist zu beachten, dass hier nicht nur der Teilnehmende, sondern auch der Hintergrund zu sehen ist – was möglicherweise zu Unbehagen führt, wenn man den Hintergrund als nicht „videotauglich“ einschätzt, es aber keine rechte andere Möglichkeit innerhalb der Wohnung gibt. Dafür bieten viele Tools technische Lösungen an, also neutrale Hintergründe, hier sollte man ruhig auch die IT des Unternehmens um Unterstützung bitten. Ansonsten gilt auch in Corona-Zeiten, was stets im Homeoffice gilt: Es braucht eine hohe Selbstmanagementkompetenz, um sich Arbeit und Arbeitszeit selbstgesteuert gut einzuteilen, um effizient, effektiv und nicht zuletzt auch gesundheitsförderlich zu arbeiten. Dazu gehört auch, sich Notizen über die tägliche Arbeitszeit zu machen und die Vorgesetzten darauf anzusprechen, wenn die Aufgaben nicht in der vorgesehenen Zeit bearbeitet werden können. Dies kann in der aktuellen Situation durchaus geschehen, da Homeoffice für viele ein Sprung ins kalte Wasser ist.
Was kann ich machen, wenn ich gerade nichts oder nur wenig in meinem normalen Job tun kann, aber es so gerne würde?
Jetzt hat man oft Zeit, sich auf eine spezielle Aufgabe zu fokussieren und zum Beispiel für Prozesse, die nicht optimal erscheinen, eine Verbesserungsidee zu entwickeln. Mögliches Ziel: Jede Woche einen neuen Vorschlag aufschreiben! Und sich gleich auch gedanklich vorstellen, wie und wann man die Ideen dann tatsächlich im Betrieb präsentieren oder einbringen kann.
Mal angenommen, für mich gilt Kurzarbeit in erheblichem Umfang. Sollte ich Kontakt zu den Kollegen oder zum Chef halten?
Ja, natürlich! Die Pflege sozialer Beziehungen stärkt, das Erleben von Gemeinschaft führt zu mehr Sicherheit – auch wenn das aktuell leider oft nur virtuell erlebt werden kann. Dazu kommt, dass es für die meisten Menschen – gerade auch in solchen Zeiten – sinnstiftend ist, für andere da zu sein. Ein gutes Gespräch dient der gegenseitigen Unterstützung, das gilt privat wie betrieblich. Schließlich ist auch wichtig, zusätzlich zu den offiziellen Informationswegen aktuelle Informationen aus dem Betrieb zu bekommen, was wiederum Sicherheit geben kann.
Wie geht man mit der Scham darüber um, dass man in Kurzarbeit ist, sich jetzt womöglich sogar einen neuen Job suchen muss?
Hier hilft es, sich als Teil einer sehr großen Gemeinschaft zu sehen, der es ähnlich ergeht. Man ist ja nicht aus eigenem Verschulden oder gar wegen eigener Unfähigkeit betroffen – und auch die Firma kann oft überhaupt nichts dafür. Die Finanzkrise 2008/09 hat ja gezeigt, wie sinnvoll der Einsatz dieses arbeitsmarktpolitischen Instruments ist und wie sehr dadurch Beschäftigung gesichert werden kann. Das sollte allen Mut machen können.
Wie erkläre ich das alles meinen Kindern?
Je nach Alter und damit kognitiver Leistungsfähigkeit der Kinder empfiehlt sich eine gute, ehrliche Transparenz: Offen ansprechen, was gerade anders ist als sonst und weshalb dies so ist. Kindgerechte Erklärungen – nicht Verharmlosungen! – sind hier nötig, unbedingt gepaart mit dem Vermitteln von Zuversicht, dass die Situation zu bewältigen ist und die Familie das gemeinsam schaffen wird.
Warum vermisst man eigenltich jetzt sogar Leute, die einen sonst eher nerven, etwa bestimmte Kollegen?
Es gibt viele einzelne Facetten, die zu solch einem Gefühl beitragen können. Es geht sicher auch darum, dass auch ein Sich-Ärgern über „nervige“ Teammitglieder ein Anzeichen von Normalität ist – und nach dem ganz normalen, also eben auch mal nervigen Alltag sehnen sich Menschen in solchen Ausnahmezeiten einfach wieder. Berechtigterweise.
Kostenlose Hilfe
Der Psychologen-Berufsverband BDP hilft Überforderten und Ratsuchenden derzeit kostenlos: Die Corona-Hotlineist täglich von 8 bis 20 Uhr erreichbar. Unter der Rufnummer 0800 - 777 22 44 kann man sich dort anonym melden und beraten lassen.