Die weltweit enorme Nachfrage nach Corona-Impfstoffen sowie stark steigende Chemikalienpreise haben der Chemieindustrie zu einem Umsatzsprung verholfen – nach zwei Minusjahren. Der Chemieverband VCI hält es für möglich, dass im Jahr 2021 die Marke von 220 Milliarden Euro genommen wurde. Trotzdem: Vieles spricht dafür, dass die besten Zeiten schon wieder vorbei sind.

Nur zwei Chemiesparten noch im Plus

Denn anhaltende Lieferengpässe, hohe Transportkosten und der starke Anstieg der Energiepreise haben die Industriekonjunktur weltweit abgekühlt. Auch China verringerte die Produktion in letzter Zeit merklich, was die Knappheiten weiter verstärkte. Hierzulande verbuchte neben Pharma nur noch die Petrochemie ein Produktions-Plus vom zweiten aufs dritte Jahresquartal. Alle anderen Chemiesparten drehten ins Minus. Schon jetzt sind die Produktionsanlagen nur noch im unteren Normalbereich ausgelastet.

Ein näherer Blick auf die Energiepreise, die derzeit für Schlagzeilen sorgen: Ihre Entwicklung ist für die energieintensive Chemieproduktion entscheidend wichtig. Zum Sorgenkind Nummer eins haben sich hier die Gaspreise entwickelt. Innerhalb Europas verdoppelten sie sich im Vorquartalsvergleich. Auf Jahressicht war Gas fast 500 Prozent teurer. Die Preise für Kohle und Strom folgten in einigem Abstand – aber immer noch mit großen Steigerungen. Gegen eine baldige Entspannung der Situation sprechen die unzureichend gefüllten Gasspeicher in Europa, der bevorstehende Winter und die starke Nachfrage nach Energie gerade auch aus China. Klar ist: Wo jetzt neue Verträge mit Energielieferanten abgeschlossen werden müssen, steigen die Tarife.

Schnelle Besserung nicht in Sicht

Wie also geht es weiter für die Chemieindustrie? VCI-Präsident Christian Kullmann sagt: „Weder bei der Materialknappheit noch bei den hohen Energiekosten ist eine schnelle Besserung in Sicht. Diese Faktoren belasten die Wirtschaft und führen dazu, dass das Chemiegeschäft im kommenden Winter weiter abkühlen wird.“ Und selbst wenn es danach wieder aufklart: Die Zuwächse 2022 dürften deutlich unter denen von 2021 bleiben, erwartet der Branchenverband. Als große Unbekannte hinzu kommt jetzt auch noch die Entwicklung im zweiten Corona-Winter.

Arbeitsplatzangebot bislang unbeeinträchtigt

Von all dem bislang unbeeinträchtigt ist die Jobsituation. Die Zahl der Chemiearbeitsplätze wuchs im dritten Quartal 2021 im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht (plus 0,5 Prozent). Damit beschäftigt die Branche derzeit 466.500 Menschen. Grund für die stabile Beschäftigungslage ist nicht zuletzt der Fachkräftemangel. Und der dürfte sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Auslöser sind der demografische Wandel und das vergleichsweise hohe Durchschnittsalter der heutigen Chemiebelegschaften. Hinzu kommen die neuen Anforderungen einer veränderten Arbeitswelt angesichts von Digitalisierung und Energiewende sowie Belastungen für die Unternehmen durch den Green Deal der EU-Kommission und die Chemikalienregulierung. Mitten im Umbruch und angesichts wirtschaftlicher Unsicherheit steht 2022 die nächste Chemie-Tarifrunde an.

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Stephan Hochrebe
aktiv-Redakteur

Nach seiner Redakteursausbildung absolvierte Stephan Hochrebe das BWL-Studium an der Universität zu Köln. Zu aktiv kam er nach Stationen bei der Funke-Mediengruppe im Ruhrgebiet und Rundfunkstationen im Rheinland. Seine Themenschwerpunkte sind Industrie und Standort – und gern auch alles andere, was unser Land am Laufen hält. Davon, wie es aussieht, überzeugt er sich gern vor Ort – nicht zuletzt bei seiner Leidenschaft: dem Wandern.

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