Friedrichshafen. Es geschah ganz plötzlich an einem ganz normalen Arbeitstag im MTU-Werk von Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen: Ein Mitarbeiter brach zusammen. Herzversagen! Seine Kollegen holten schnellstens Thom Zick. Der wusste genau, was zu tun war. Zum Glück – aber nicht zufällig: Zick ist betrieblicher Ersthelfer, seit 30 Jahren nun schon.

Normalerweise begutachtet der Mann im technischen Labor des Motorenherstellers defekte Teile. Zwischendurch aber eben auch mal die eine oder andere kleinere Verletzung.

Die richtigen Maßnahmen kennen und anwenden

Er empfinde das gar nicht als etwas Besonderes, sagt Zick im Gespräch mit aktiv. „Wenn Not am Mann ist, bin ich eben da. Zum Beispiel, wenn sich jemand an einem scharfen Metallteil geschnitten hat. Oder wenn der Kreislauf schwächelt. Dann versorge ich selbst die Leute aus dem Verbandskasten oder begleite sie zum Werksarzt.“ Oft tue es schon ein einfaches Pflaster.

Der Herzstillstand damals, das war eine echte Ausnahmesituation: „Alles musste sehr schnell gehen: Notruf absetzen – die Kollegen anweisen – den Verunfallten lagern. Da hat sich gezeigt, dass die Rettungskette bei uns super funktioniert: Als ich gerade zur Herzdruckmassage ansetzen wollte, war der Werksarzt schon da.“

Regelmäßige Kurse geben Sicherheit für den Notfall

Dass Zick so geistesgegenwärtig reagieren konnte, verdankt er dem regelmäßigen Training, das er seit seiner Ersthelferschulung alle zwei Jahre zur Auffrischung absolviert. „Dadurch bekommt man eine sichere Routine. Zuerst hatte ich Bedenken, dann habe ich aber gemerkt: Man hat viele Abläufe so verinnerlicht, dass sie zum Automatismus werden.“ Auch einen Defibrillator könne er nun problemlos bedienen, betont Zick, falls das mal sein müsse. Die Geräte sind längst Standard in dem Betrieb.

Zu Recht, weiß Dr. Samuel Schmidt, Leiter des werksärztlichen Dienstes: „Bei Herzkranzflimmern ist der frühzeitige Einsatz des Defibrillators lebensrettend.“ Die häufigsten Einsatzgründe seien Kreislaufschwäche, Herzinfarkte, Blutzuckerabfälle, Schlaganfälle, aber auch epileptische Anfälle oder mal ein Hexenschuss. Schwere Verletzungen hat es bei dem Motorenbauer am Bodensee in den letzten fünf Jahren fast keine mehr gegeben. Die typischen Fälle hängen auch mit dem Durchschnittsalter der Belegschaft zusammen: Aktuell liegt es bei 47 Jahren.

Prinzipiell kann sich jeder zum Ersthelfer schulen lassen

Im Schnitt muss einmal pro Woche irgendwo im Betrieb ein Ersthelfer ran. „Das hört sich dramatisch an, liegt aber bei rund 5.500 Mitarbeitern und mehr als 750 Ersthelfern an der statistischen Untergrenze“, erklärt Schmidt.

Für die Zahl der Ersthelfer in Betrieben gibt es gesetzliche Vorgaben, die Auswahl ist Aufgabe der Führungskräfte. Wer sich also selbst für die Kollegen engagieren möchte, wendet sich am besten einfach an den Vorgesetzten. „Im Prinzip kann sich jeder schulen lassen“, weiß Werksarzt Schmidt aus 17 Jahren Erfahrung, „vorausgesetzt, man hat keine körperlichen Einschränkungen zum Beispiel in puncto Rücken oder Gelenke.“

Die eintägigen Ersthelfer-Kurse und die obligatorischen Auffrischungstrainings finden bei Rolls-Royce Power Systems in der Firma statt und gelten grundsätzlich als Arbeitszeit. Dafür stehen hier fünf speziell ausgebildete Notfallsanitäter bereit, die zusammen mit vier Ärzten und drei Arzthelferinnen das professionelle Praxisteam am Standort bilden.

Zur Information für die Mitarbeiter hängen Fotos der Ersthelfer aus

Natürlich wäre keiner verpflichtet, den freiwilligen Helfer-Job über Jahrzehnte zu machen, versichert Schmidt: „Man kann jederzeit aussteigen, wenn man sich nicht mehr fit genug fühlt. Dafür steigen andere Kollegen ein.“

Zu den Aufgaben der Ersthelfer gehört es hier auch, die Unfälle zu dokumentieren und dem Praxisteam Bescheid zu geben, wenn im Notfallkasten etwas nachgefüllt werden muss.

In einem so großen Betrieb wie Rolls-Royce Power Systems ändert sich oft etwas in der Belegschaft: Die einen gehen in Rente, andere wechseln die Abteilung, Neue treten ein. So kommt es, dass es auch unter den Ersthelfern immer wieder neue Gesichter gibt. Damit trotzdem alle wissen, wen sie bei Unfällen rufen müssen, hängen Fotos der entsprechenden Ersthelfer aus.

„Es befriedigt ungemein, wenn man helfen kann"

Ein Urgestein wie Thom Zick ist freilich auch ohne Foto bekannt – und beliebt. „Die Kollegen kommen immer zu mir, wenn sie etwas haben“, sagt er mit einem Schmunzeln. Seinem Ehrenamt wird der 61-Jährige, der sich in der Freizeit mit Fahrradfahren fit hält, wohl bis zur Rente treu bleiben.

Zick ist überzeugt: Auch wenn man kein betrieblicher Ersthelfer ist, schadet es nicht, sich in der Materie einigermaßen auszukennen. „Überall kann ja mal etwas passieren: im Familien- oder Freundeskreis, auf der Straße, beim Sport. Wer will dann schon ratlos dastehen oder kopflos rumrennen?“ Besser, man kann etwas tun. „Und das befriedigt dann ungemein – helfen macht glücklich!“

Fakten und Zahlen

  • 800.101 meldepflichtige Arbeitsunfälle gab es im Jahr 2019 in der gewerblichen Wirtschaft.
  • 1,8 Millionen Menschen nehmen jedes Jahr an einem Erste-Hilfe-Kurs des Deutschen Roten Kreuzes teil.

Quellen: DGUV, DR

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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