Bergisch Gladbach. Das elegante, 453 Meter lange Bauwerk an der Autobahn A 45 hat deutschlandweit traurige Berühmtheit erlangt. Die 1968 eröffnete Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid ist seit Dezember letzten Jahres komplett gesperrt und muss ersetzt werden. Ein Horror für Brummi-Kapitäne und Tausende Berufspendler. Über diese Brücke fuhren täglich bis zu 64.000 Fahrzeuge, darunter 13.000 Lkws. Von einem „schweren Schlag für die Wirtschaft“, spricht Marco Voge, Landrat des Märkischen Kreises (Südwestfalen), in dem die Brücke liegt.

Drittgröße Industrieregion Deutschlands könnte dauerhaft Schaden nehmen

Selbst wenn eine neue Brücke schon in fünf Jahren stehen würde, verursachten Staus auf den überlasteten Umleitungsstrecken, Lärm und eine sinkendende Standortqualität für die Unternehmen in Südwestfalen und dem östlichen Ruhrgebiet einen Schaden von 1,8 Milliarden Euro, so Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft.

In einer gemeinsamen Stellungnahme forderten Arbeitgeberverbände und Unternehmerverbände in Südwestfalen deshalb Bundesregierung und NRW-Landesregierung auf, zügig zu handeln. Sie warnen: Die drittstärkste Industrieregion Deutschlands könnte dauerhaft Schaden nehmen.

Lkw- und Autofahrer müssen sich auf noch mehr Staus einstellen

Und der großräumige Ausweichverkehr belastet andere Fernstrecken zusätzlich. Es sei zu befürchten, „dass Auto- und Lkw-Fahrer sich auf den ohnehin stark belasteten Autobahnen A 1, A 3, A 4 und A 46 in den kommenden Jahren auf noch mehr Staus einstellen müssen“, warnt Professor Roman Suthold vom Autoklub ADAC.

Die Folgen spüren Betriebe schon jetzt, auch im benachbarten Oberbergischen Kreis. Dort gaben in einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Köln fast neun von zehn Unternehmen an, von der Sperrung direkt oder indirekt betroffen zu sein. Gut 60 Prozent haben schon finanzielle Auswirkungen zu verkraften, etwa durch deutlich längere Fahrtzeiten und höhere Spritkosten.

Land hat für Fernstraßen 600 Millionen Euro zusätzlich an Bundesmitteln abgerufen

Besonders hart trifft die Sperrung die Metall- und Elektro-Industrie im Oberbergischen: Sieben der zwölf größten Unternehmen im Kreis gehören zur Branche.

Es besteht also dringender Handlungsbedarf, denn die Rahmedetalbrücke ist längst nicht die einzige verschlissene Überquerung. Und es passiert etwas. Mit einem Zehn-Punkte-Programm will die Landesregierung NRW mehr Tempo bei Sanierung und Neubau machen. Seit 2017 hat das Land für Fernstraßen 600 Millionen Euro zusätzlich an Bundesmitteln abgerufen. Und unlängst hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing angekündigt, die Mittel für Autobahnbrücken schrittweise aufzustocken – und ab 2026 jährlich 1 Milliarde Euro extra zur Verfügung zu stellen.

52.271 Fernstraßenbrücken gibt es bundesweit, davon 9.036 in NRW

Im Schnitt sind die Brücken in NRW 60 Jahre alt, und sie waren bei Weitem nicht für die heutige Belastung ausgelegt. Beispiel A 40-Brücke in Duisburg-Neuenkamp: 1970 erbaut, sollte sie täglich 30.000 Fahrzeuge aushalten, zuletzt waren es gut 100.000 – mehr als eins pro Sekunde. Sie gehört wie die Rahmedetalbrücke zum Zuständigkeitsbereich der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH des Bundes, die seit Anfang 2021 für Planung, Bau und Betrieb aller deutschen Autobahnbauwerke verantwortlich ist.

Mehr zum Thema

Leiterin der Niederlassung ist Elfriede Sauerwein-Braksiek, die in der Region mit besonders großen Problemen zu kämpfen hat: Mehr als 60 große Talbrücken liegen allein an der A 45, fast alle erbaut vor 50 oder mehr Jahren und geplant für weitaus weniger Verkehr. Und wegen der vielen Transitstrecken in der Region ist der Lkw-Anteil und damit der Verschleiß besonders hoch.

Elf Jahre für Planung und Neubau

Nach einer Erhebung der Bundesanstalt für Straßenwesen in Bergisch Gladbach sind allein unter den deutschen Autobahnbrücken 13 Prozent in einem nicht ausreichenden oder gar ungenügenden Zustand, bei den Brücken an allen Fernstraßen sind es 11,5 Prozent. Das entspricht über 4.000 Bauwerken mit akutem Sanierungsbedarf. Häufige Folge: Abriss oder Sprengung!

Beispiel Leverkusen: Im Norden Kölns wird die alte Rheinbrücke, über die bis zur Sperrung 2016 für schwere Lkws täglich allein 14.000 Laster rauschten, durch zwei neue mit jeweils vier Fahrspuren ersetzt. Kosten allein der Bauwerke, ohne Auf- und Zufahrten: über 200 Millionen Euro.

Dabei verliefen Planung und Bau nicht gerade reibungslos. 2020 wurde dem österreichischen Generalunternehmer wegen der Bestellung mangelhaften Stahls der Auftrag entzogen. Die gesamte Baumaßnahme musste neu ausgeschrieben werden.

Seit März 2021 gehen die Arbeiten endlich weiter, vor ein paar Wochen wurde das erste Stahlteil mit mehr als 1.000 Tonnen Gewicht auf den Pfeiler montiert. Ende 2023 soll die erste Brücke fertig sein, Ende 2027 die zweite – so zumindest der offizielle Zeitplan. Von der Sperrung für Lkws bis zur endgültigen Fertigstellung des Neubaus werden dann mindestens elf Jahre verstrichen sein. Für die Wirtschaft sind das einige Jahre zu viel. Zum Vergleich: Die eingestürzte Morandi-Brücke in Genua war schon nach zwei Jahren durch einen Neubau ersetzt worden.

Landesregierung will Bummelfirmen künftig bestrafen

Auch in Deutschland muss es künftig schneller gehen. So soll die Rahmedetalbrücke noch in diesem Jahr gesprengt werden; zudem will die Politik die Planung für den sechsspurigen Neubau beschleunigen.

Die Landesregierung appelliert mit ihrem Zehn-Punkte-Programm an Berlin, mit einem speziellen standardisierten digitalen Verfahren Planung, Genehmigung und Bau zu forcieren. Bei Ersatzneubauten solle ausnahmslos auf eine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden. Die Einhaltung oder Unterschreitung der vereinbarten Bauzeit sei künftig zu belohnen, die Überschreitung solle bestraft werden.

Werner Grosch
Autor

Werner Grosch war lange Jahre leitender Redakteur einer Tageszeitung mit den Schwerpunkten Politik und Wirtschaft. Für aktiv schreibt er Reportagen aus Unternehmen der Metall- und Elektrobranche und porträtiert Mitarbeiter aus diesen Branchen mit ihren ungewöhnlichen Fähigkeiten oder Hobbys. Privat und beruflich ist er am liebsten mit dem Rad unterwegs.

Alle Beiträge des Autors