Unendliche Weiten und leere Räume – das Weltall kennt keine Grenzen. Und doch besteht die Gefahr einer Kollision. Denn im Orbit fliegen Trümmerteile herum: alte Satelliten, Reste von Raketen, abgesplitterte Lackpartikel und sogar verlorene Schraubenzieher.

Schätzungsweise 600.000 Trümmerteile mit einem Durchmesser von einem Zentimeter und etwa 26.000, die größer als fünf Zentimeter groß sind, umkreisen die Erde. Sie bedrohen aktive Satelliten und auch die Internationale Raumstation ISS. „Wir haben uns deshalb Gedanken gemacht, wie man Weltraumschrott beseitigen und künftig vermeiden kann“, sagt Airbus-Physiker Ingo Retat.

Er leitet ein sechsköpfiges Team aus Wissenschaftlern und Ingenieuren, das sich seit rund sechs Jahren mit verschiedenen Techniken zum Einsammeln von Müll im All beschäftigt. Gemeinsam mit Kollegen der englischen Universität Surrey haben die Bremer einen Satelliten entwickelt, der drei Varianten für die Beseitigung von Weltraumschrott bereithält: ein fünf Meter großes Fangnetz, eine Harpune und ein optisches Navigationssystem, mit dem sich der „Remove Debris“-Satellit (übersetzt „Trümmer beseitigen“) dem Weltraumschrott nähern kann.

Selbst kleinste Trümmerteile haben große Zerstörungskraft

„Auch Mini-Teilchen können beim Aufprall auf aktive Satelliten oder die Internationale Raumstation verheerende Folgen haben“, sagt Airbus-Ingenieur Robert Axthelm. Selbst kleinste Partikel sind gefährlich, weil sie sich mit einer sehr hohen Geschwindigkeit um die Erde bewegen. Der Weltraumschrott rast vor allem in Höhen zwischen 400 und 1.000 Kilometern mit Geschwindigkeiten von bis zu 28.000 Stundenkilometern um den Globus.

Trifft zum Beispiel eine Aluminiumkugel mit einem Durchmesser von nur einem Zentimeter auf einen Satelliten, hat sie die Energie eines Mittelklasse-Wagens, der mit rund 50 Stundenkilometern in ein Hindernis rast. Nicht zuletzt deshalb muss auch die ISS immer wieder Ausweichmanöver fliegen, um nicht getroffen zu werden.

Fangnetz aus extrem reißfesten Spezialfasern

Das Netz, das die Bremer Ingenieure entwickelten, gleicht auf den ersten Blick einem Fischernetz. „Es hat aber, weil es rund ist, die Geometrie eines Spinnennetzes“, sagt Axthelm, „und seine Spezialfasern sind zwei- bis dreimal so reißfest wie Stahlseile.“

Die Wissenschaftler haben das Netz in ein kochtopfähnliches Gefäß gefüllt, das als Nutzlast in dem etwa 50 mal 50 mal 70 Zentimeter großen Remove-Debris-Satelliten transportiert wird.

Der wurde bereits im Juni 2018 von einem Roboterarm der ISS ausgesetzt. Ziel des Experiments: Remove Debris sollte zeigen, dass Weltraumschrott mit einem Netz wieder eingefangen werden kann. Den Schrott hatte der Satellit selbst dabei: einen Quader von der Größe eines Tetrapaks, der im Orbit auf eine Größe von etwa einem Meter Durchmesser „aufgefaltet“ wurde.

In der Nacht vom 16. auf den 17. September setzte Remove Debris den Körper im All aus. Was dann geschah, beschreibt Robert Axthelm: „Der Netzbehälter wurde geöffnet und das Netz mithilfe von sechs Auswurfgewichten nach außen gezogen. Als das Netz das Zielobjekt erreicht hatte, war es komplett aufgespannt und konnte den Körper wieder einfangen.“

Premiere im Weltraum ohne Probleme

Die Demonstration verlief zur Freude der Wissenschaftler erfolgreich. Im realen Einsatz hätte eine Leine das Netz mit dem Satelliten verbunden, der den Schrott dann aus dem Orbit gezogen hätte.

Weil es aber ein Test war, wurde die eingefangene Box nur gebremst und verlor von alleine langsam an Höhe. In einigen Monaten wird sie schließlich in der Erdatmosphäre verglühen.

Ebenfalls in den kommenden Monaten soll dann ein erster Test mit einer Harpune gestartet werden. Retat: „Das lohnt sich allerdings nur bei größeren Objekten wie toten Satelliten, die ungesteuert durchs All fliegen.“ Die Harpune soll die Satelliten an „weichen“ Stellen treffen und sie dann aus dem Orbit ziehen.

15 Millionen Euro hat das Projekt gekostet

Um den Schrott allerdings einfangen zu können, muss man ihn erst mal finden. Dafür hat der Remove-Debris-Satellit einen weiteren Mini-Kubus ausgesetzt. Retat: „Den wollen wir mit einem optischen Navigationssystem verfolgen und orten. Damit soll belegt werden, dass man Trümmerteile im All wieder auffinden kann.“

Am Ende des Experiments wird der Satellit selbst übrigens nicht zum Müllproblem. Der fliegende Schrottsammler wird ein Segel ausfahren, so seine Geschwindigkeit verringern und dann in die Erdatmosphäre eintreten, wo er schließlich verglüht.

Das Remove-Debris-Experiment ist ein Projekt, dessen Kosten in Höhe von rund 15 Millionen Euro zur Hälfte von der Europäischen Kommission getragen werden. Die andere Hälfte finanzieren die Projektpartner aus der Industrie, darunter Airbus und Surrey Satellite Technology Ltd, ein britischer Anbieter von kleinen Satelliten.

Altlasten im All

Planmäßig verglüht: Die Nasa-Raumsonde "Galileo" (grafische Darstellung) hatte wichtige Erkenntnisse über den Jupiter und seine Monde geliefert Foto: Nasa / picture-alliance / dpa
Planmäßig verglüht: Die Nasa-Raumsonde "Galileo" (grafische Darstellung) hatte wichtige Erkenntnisse über den Jupiter und seine Monde geliefert Foto: Nasa / picture-alliance / dpa

Auch im Weltraum gilt: Abfall möglichst vermeiden

Raumfahrt soll Müll vermeiden. Das ist das Ziel des Inter Agency Space Debris Coordination Committee, IADC, dem neben der NASA und der ESA noch weitere Raumfahrtagenturen angehören. Das Komitee hat eine Reihe von Maßnahmen veröffentlicht, um Müll im Orbit zu vermeiden. So sollen Raumfahrzeuge während ihrer Missionen möglichst wenig Abfall abwerfen – also weder Abdeckklappen, Adapter oder Sprengbolzen ins All entsorgen. Zudem gilt es, Explosionen zu vermeiden, die zwangsläufig Trümmer verursachen.

Satelliten, die am Ende ihrer Lebenszeit angelangt sind, sollen entweder auf eine „Friedhofsbahn“ gebracht werden, die noch über der in 36 000 Kilometer Höhe liegenden geostationären Umlaufbahn liegt – oder zum Verglühen in die Erdatmosphäre abgesenkt werden. Zudem wird angeregt, Daten, zum Beispiel zu Flugbahnen von Müll, verfügbar zu machen, damit Zusammenstöße vermieden werden können.

Lothar Steckel
Autor

Als Geschäftsführer einer Bremer Kommunikationsagentur weiß Lothar Steckel, was Nordlichter bewegt. So berichtet er für aktiv seit mehr als drei Jahrzehnten vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie, Logistik- und Hafenwirtschaft, aber auch über Kultur- und Freizeitthemen in den fünf norddeutschen Bundesländern.

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