Die Zukunft von Aron Schöpf glitzert metallisch. Zumindest auf dem mannshohen Bildschirm, vor dem der 43-Jährige gerade steht. Der zeigt ein Spiegelbild von Schöpf – mit ein paar Unterschieden: Auf beiden Seiten ragen Roboter-Arme aus Schöpfs Körper. Auch sein linkes Bein könnte vom „Terminator“ stammen. Schöpf wippt leicht hin und her, die künstlichen Gliedmaßen auf dem Monitor bewegen sich mit. Und ein Balken am oberen Ende des Bildschirms zeigt: Bereits 33 Prozent von Schöpfs Biomasse wurden in dieser Simulation durch Technik ersetzt.
Werden wir in Zukunft alle Cyborgs? Mit künstlichen Gliedmaßen, leistungsfähigen Ersatz-Lungen und digitalen Schnittstellen im Hirn? Diese Frage stellt das Zukunftsmuseum in Nürnberg seinen Besuchern mit diesem Bildschirm. Oder, wie Aron Schöpf sagt: „Wir wollen herausfinden, was bestimmte Zukunftstechnologien bei Menschen auslösen.“
Schöpf gehört zum Kuratoren-Team des Nürnberger Museums, in dessen erstem Obergeschoss der Ersatzteil-Simulator steht. Der moderne Bau in der historischen Altstadt ist eine Zweigstelle des Deutschen Museums München. Seit 2021 wird in Nürnberg versucht, das „Übermorgen“ auszustellen. Während es im Münchner Mutterhaus um Technikgeschichte geht, stehen hier Zukunftstechnologien im Fokus – und die Frage, wie sie unser Leben verändern könnten.
Zukunftsforschung: Viele Unternehmen haben Abteilungen dafür
Welche heutigen Tech-Ideen könnten demnächst serienreif sein? Woher beziehen wir 2040 unsere Energie? Wie entwickeln sich Transport und Verkehr weiter – und wo bieten sich neue wirtschaftliche Chancen? Fragen wie diese beschäftigen nicht nur Museumsmacher, sondern auch viele Unternehmen. Konzerne wie Bosch oder BMW betreiben deshalb eigene Innovations- oder „Foresight“-Abteilungen (deutsch: Vorausschau). Andere holen sich Hilfe von Zukunftsforschern. Aber wie funktioniert der professionelle Blick in die Zukunft eigentlich? Und was unterscheidet ihn vom Rätselraten?
Anruf bei Simone Kimpeler. Sie leitet das Competence Center Foresight im Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Das ISI unterstützt Firmen und Verbände dabei, die Trends von morgen zu entdecken und Zukunftsszenarien zu entwickeln. „Wir betreiben Vorausschau, keine Vorhersage“, sagt Kimpeler. Niemand könne Entwicklungen im Jahr 2040 vorhersagen wie das Wetter von morgen. „Uns geht es nicht um Wahrscheinlichkeit, sondern darum, einen Möglichkeitsraum zu bestimmen. Wir entwickeln auf Basis von Daten und im Dialog mit Experten Szenarien, wie sich bestimmte Bereiche entwickeln könnten.“
Ein Beispiel dafür sind die Szenarien und das Trendradar, die das Fraunhofer ISI regelmäßig für den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau entwickelt. Darin geht es um Fragen wie: Wie sieht die Batterieentwicklung der Zukunft aus? Und wie finden Zukunftsforscher darauf eine Antwort? Der erste Schritt sei immer, das „Suchfeld zu strukturieren“, erklärt Fraunhofer-Expertin Kimpeler: „Wir suchen nach schwachen Signalen für Wandel, auch mithilfe künstlicher Intelligenz.“ Zeitungsartikel, wissenschaftliche Studien, politische Reden: „Wir verdichten die Trendsignale zu neuen Zukunftsthemen für unsere Auftraggeber oder zu Einflussfaktoren für eine Szenarioentwicklung“, sagt Kimpeler.
Die Gegenwart wie ein Fährtenleser auf Spuren möglicher „Zukünfte“ absuchen: So arbeiten auch die Kuratoren des Zukunftsmuseums. „Das Morgen gibt es ja noch nicht, deshalb schauen wir uns Entwicklungen von heute an“, sagt Kurator Schöpf. Gerade bei neuen Technologien oder Tools ergibt das auch Sinn: Von der ersten Idee bis zur Marktreife dauert es oft Jahrzehnte. Da ist die Chance groß, dass das Massenprodukt von morgen heute schon in irgendeinem Labor auf der Welt als Skizze existiert.
Früher Science-Fiction, heute real
Viele der Zukunftsprodukte aus Romanen und Filmen gibt es heute wirklich. Zum Beispiel diese:
- Smartwatch: Schon in den 1930er Jahren trug die Comic-Figur Dick Tracy ein Video-Funkgerät am Handgelenk.
- Bluetooth-Kopfhörer: In Ray Bradburys Roman „Fahrenheit 451“ von 1953 haben Figuren kleine „Muscheln“ im Ohr, die Musik spielen.
- 3D-Drucker: Bereits in der Kultserie „Raumschiff Enterprise“ werden mit sogenannten Replikatoren Gegenstände erzeugt.
- Künstliche Intelligenz (KI): Autos, die mit dem Fahrer sprechen? Das gab es in der Serie „Knight Rider“ bereits in den 1980ern. Auch die Wissenschaftler in Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ kommunizierten schon mit einer KI wie wir heute mit Siri oder Alexa.
- Augmented Reality (AR): Heutige AR-Anwendungen hat Hollywood schon 1991 gezeigt, als Arnold Schwarzenegger als Killer-Android „Terminator“ virtuelle Informationen in sein Blickfeld gespielt wurden.
Eine andere Inspirationsquelle für Zukunftsforscher ist die Science-Fiction. Im Nürnberger Museum begegnet man überall Filmen oder Romanen, in denen Zukunftsthemen – wie etwa die Besiedelung des Mars – schon durchgespielt wurden. Und manchmal ist die Zukunft auch heute schon ganz da, zumindest als einzelnes Produkt. Ein Beispiel dafür ist der Pflegeroboter Paro, der auch im Museum zu sehen ist. Die künstliche, aber täuschend echte Robbe wird heute schon als „Therapie-Tier“ für Demenzkranke eingesetzt. „Daran knüpfen wir an und fragen: Wie würde eine Zukunft aussehen, in der wir Pflegeroboter serienmäßig in der Pflege nutzen?“, sagt Schöpf. „Und: Was macht das mit uns?“
Ein anderes Beispiel: Flugtaxis. In der Nürnberger Ausstellung baumelt eine echte Passagierdrohne von der Decke. Audi hat den Prototypen zusammen mit Airbus entwickelt. Auch wenn dieses Modell vielleicht nie abheben wird: Dass irgendwann fliegende Autos den Himmel bevölkern, erwarten nicht nur futuristische Start-ups. Auch das Bundesverkehrsministerium rechnet mit Flugtaxis – und zwar schon ab 2026.
Transformation: Unternehmen müssen den Wandel aktiv angehen
Zukunftsforscher fahnden aber nicht nur nach neuen Technologien. Es geht auch um gesellschaftlichen Wandel – und um Fantasie. Christian Schuldt etwa arbeitet für den Frankfurter Thinktank The Future:Project, der unter anderem Zukunftsszenarien für Unternehmen entwickelt. „Neue Technologien setzen sich nur durch, wenn sie auch gesellschaftlich akzeptiert sind“, sagt Schuldt. Am Anfang eines Wandels stehe deshalb immer die Vorstellungskraft: Menschen und Unternehmen müssen sich etwas anderes, Besseres vorstellen können. „Das ist ein großer Hebel für Veränderung“, sagt Schuldt. „Um ins Handeln zu kommen, braucht man zuerst Kopf-Öffnung, die Idee einer erstrebenswerten Zukunft.“
Mitdenken, die Fantasie beflügeln: Das wollen Zukunftsforscher wie Museumsmacher bei ihren Kunden und Besuchern bewirken. In einer Zeit voller Krisen, in der die meisten wenig Hoffnung auf ein besseres Morgen haben, ist das eine Herkulesaufgabe. Gerade deshalb liegt Foresight-Forschern viel daran, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. „Wir bringen regelmäßig Forschende und Unternehmen in Workshops zusammen“, erklärt Fraunhofer-Forscherin Kimpeler. Denn ob ein Zukunftsprodukt irgendwann technisch machbar ist, ist das eine. Ob es fliegt, hängt von den Menschen ab, die es nutzen wollen.
Der Mond könnte 2042 besiedelt sein, das nächste Ziel ist der Mars
Und davon, ob genügend Geld und politischer Wille dafür vorhanden sind. Wie stark manche Entwicklung von einzelnen Akteuren abhängt, zeigt sich nirgendwo so plastisch wie in der Raumfahrt. „Aktuell bringt hier ein Mann rund 80 Prozent der Nutzlast ins All – Elon Musk mit seiner Firma Space X“, sagt Schöpf, der als Kurator den „Raum & Zeit“-Bereich des Museums betreut. Die neue kommerzielle Raumstation wiederum, die nach dem geplanten Ende der ISS 2030 entstehen soll, wird von Amazon-Gründer Jeff Bezos vorangetrieben. „Bezos plant im All einen Gewerbepark mit gemischter Nutzung“, sagt Schöpf. „Ein Bereich ist für Touristen gedacht. Ein anderer für Firmen, die etwa pharmazeutische Produkte in der Schwerelosigkeit produzieren wollen.“ Und die Nasa hat Pläne für ein „Moon Village“: Der dauerhafte Außenposten im All soll 2042 stehen. Und auch der Mars ist schon im Visier.
Firmen, die mitmischen wollen, sollten sich am besten heute schon mit der Zukunft befassen.
Das könnte möglich werden
Diese Produkte sehen Zukunftsforscher voraus:
- Smarte Kleidung: Klamotten mit eingebauten Sensoren überwachen künftig in Echtzeit unsere Gesundheit. Aktuell schon in Erprobung sind etwa Zahnimplantate, die Essen chemisch analysieren können.
- Dinge, die sich selbst reparieren: Dank Nanotechnologie gehen beschädigte Oberflächen von allein zurück in Form.
- Holografische Telemedizin: Dreidimensionale Projektionen von Ärzten werden einen Teil der Arztbesuche ersetzen.
- Gedruckte Organe: Herzen und Lungen könnten in Zukunft aus dem 3D-Drucker kommen.
- KI-gesteuerte Geräte: Kühlschränke gleichen den Nahrungsbedarf mit vorhandenen Lebensmitteln ab und geben Ernährungsempfehlungen.
- Virtuelle Reisen: Im Geschichtsunterricht werden Schüler mit VR-Brillen in die Antike reisen – und wir in den Urlaub. Mithilfe von Inhalatoren können dabei in Zukunft auch Gerüche imitiert werden.
- Raumtourismus: Bis 2040 rechnen Zukunftsforscher mit einem „Moon Village“ – einem ständigen bewohnten Außenposten der Menschheit auf dem Mond .

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band.
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