Göttingen. Innovationen der Industrie versprechen Abhilfe bei einem dicken Problem: 93 Gramm Zucker nimmt im Durchschnitt jeder Bundesbürger am Tag zu sich – in Lebensmitteln wie Limo, Kuchen, Müsli, Pizza oder Ketchup. Mehr als 50 Gramm Zucker täglich sollten es aber nicht sein, fordert die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Zu viel von der weißen Süße führt zu Karies, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes.
Zucker wegzulassen, ist nicht so einfach. Er steckt in Getränken und Fertigprodukten. Frankreich, Großbritannien und Mexiko besteuern daher Limos. Die Bundesregierung setzt auf eine Selbstverpflichtung der Hersteller, in Cornflakes, Limos und Joghurts für Kinder bis 2025 den Zucker um 20, 15 sowie 10 Prozent zu verringern.
„Viele Hersteller und Handelsketten tüfteln heute an zuckerärmeren Rezepturen. Forscher haben sogar eigens neue raffinierte Zucker entwickelt“, berichtet Robert Möslein. Der Managing Director beim Institut für Sensorikforschung und Innovationsberatung (Isi) in Göttingen kennt sich aus. Er und 65 Kollegen beraten große Hersteller, die den Zucker in Lebensmitteln verringern wollen, mit Geschmackstests.
Neuer Zucker besteht aus porösen, luftgefüllten Partikeln
Die Neuheiten bieten gleiche Süße mit weniger oder fast null Kalorien. Wie etwa ein neuer Zucker des Schweizer Lebensmittelkonzerns Nestlé aus porösen, luftgefüllten Partikeln. „Bei der Herstellung kombinieren wir Haushaltszucker, Magermilchpulver und Wasser“, erklärt Pressesprecherin Nora Bartha-Hecking. „Diese Mischung wird unter Druck mit Stickstoff versetzt und in warmer Luft sprühgetrocknet.“ 250 Forscher haben daran gearbeitet. Ein erster Schokoriegel kam 2018 in Großbritannien auf den Markt – mit 30 Prozent weniger Zucker.
Südzucker-Konzern baut eigens eine neue Anlage
Sogar 40 Prozent weniger Kalorien bei gleicher Süße verspricht ein neuer Zucker, den der Mannheimer Südzucker-Konzern noch 2019 erstmals produzieren will. Bei ihm bildet normaler Zucker eine Hülle um Körnchen aus Kieselsäure (einem Lebensmittelzusatzstoff) und gelangt so besser an die Geschmacksknospen im Mund. Südzucker baut dafür eine Anlage in Offstein bei Worms. Europas größter Zuckerhersteller will die Neuheit gemeinsam mit der israelischen Firma Douxmatok vermarkten, die sie entwickelt hat.
Stille Revolution in den Supermärkten
Gute Nachrichten also für Naschkatzen. Jedoch eignen sich die Neuheiten nur für Brotaufstriche, Kekse, Back- und Süßwaren, nicht für Getränke. Da könnte ein Zucker helfen, den die Firma Savanna Ingredients im rheinischen Elsdorf aus Rübenzucker herstellen will: Allulose. Der Stoff ist nicht ganz so süß und kommt in Feigen und Rosinen vor. „Er liefert pro Gramm nur 0,2 Kilokalorien, normaler Zucker das 20-Fache an Energie“, sagt Geschäftsführer Timo Koch. „Mit Allulose kann man backen, kochen, Marmelade machen.“ Savanna Ingredients, die zum Kölner Zuckerhersteller Pfeiffer & Langen gehört, will für Allulose demnächst eine Zulassung bei der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA in Parma (Italien) beantragen.
Übrigens: Die Arbeit der Hersteller an zuckerärmeren Fertigprodukten trägt bereits Früchte. „In den Supermärkten passiert eine stille Revolution“, berichtet Isi-Experte Möslein. „Lange Zeit wurden viele Lebensmittel immer süßer. Seit einigen Jahren hat sich der Trend umgedreht.“